Hintergrund zur Plastikverschmutzung und dem geplanten Vertrag
Die weltweite Plastikproduktion und -verschmutzung haben in den letzten Jahrzehnten enorme Ausmaße erreicht. Jährlich werden über 460 Millionen Tonnen Kunststoff erzeugt, und schätzungsweise rund 20 Millionen Tonnen davon gelangen in die Umwelt . Ohne Gegenmaßnahmen dürfte sich die Produktion bis 2060 sogar verdreifachen, was Ozeane, Ökosysteme und Klima massiv belasten würde . Vor diesem Hintergrund verabschiedete die UN-Umweltversammlung (UNEA) im März 2022 einen Beschluss, ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen gegen Plastikverschmutzung auszuarbeiten . Das Verhandlungsgremium (INC) tagte seither mehrfach, um genau diesen Vertrag zu gestalten.
Scheitern der Genfer Verhandlungen (INC-5.2)
Die fünfte Verhandlungsrunde (INC-5.2), die vom 5. bis 14. August 2025 in Genf stattfand, sollte ursprünglich den Vertragstext finalisieren. Über 1.400 Delegierte aus 183 Ländern nahmen teil . Nach zehn intensiven Sitzungstagen gelang es jedoch nicht, eine Einigung zu erzielen. Wie Reuters berichtet, „scheiterten Delegierte… daran, Konsens zu erreichen“ , und der Vorsitzende Luis Vayas Valdivieso (Ecuador) setzte die Beratungen ergebnislos aus, mit der Ankündigung, die Gespräche zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen . Auch die EU-Kommission nannte den endgültigen Abbruch enttäuschend und sprach von Bemühungen, den Vertrag weiter voranzutreiben . UN-Umweltchefin Inger Andersen betonte, man werde das Verhandlungsmandat fortführen, denn die Staaten wollten einen bindenden Vertrag gegen Plastikverschmutzung .
Viele Teilnehmer äußerten jedoch Ungeduld und Kritik am bisherigen Verfahren. So erklärte Südafrikas Delegierter, das heutige Konsensverfahren werde „nicht funktionieren“ . Vor Ort spürte man deutlich, dass die politischen Positionen der Staaten weit auseinanderliegen: Frankreichs Ministerin Agnès Pannier-Runacher erklärte, sie sei „wütend“, weil trotz großer Anstrengungen kein „greifbares Ergebnis“ zustande gekommen sei . Ähnlich beklagte Kolumbiens Delegierter, eine „kleine Anzahl von Staaten“ habe die Einigung verhindert . Palau, das für die Allianz von 39 kleinen Pazifikinseln sprach, drückte „ungesehenen Fortschritt“ ihrer Bevölkerung gegenüber aus und nannte es ungerecht, dass SIDS die Folgen dieser Umweltkrise ertragen müssten, zu der sie nur wenig beitrügen .
Zentrale Streitpunkte: Produktionskappung und Chemikalien
Das Kernproblem ist nach wie vor, ob der Vertrag die Plastikproduktion begrenzen soll oder nicht. Eine breite Koalition von über 100 Ländern – darunter EU-Mitgliedstaaten, Großbritannien, Kanada sowie viele Länder in Afrika, Lateinamerika und einige kleine Inselstaaten – drängte darauf, neue Plastik-Herstellung zu drosseln und besonders schädliche Chemikalien zu verbieten . Sie berufen sich auf den ganzheitlichen Ansatz, wonach nicht nur die Abfallentsorgung, sondern der gesamte Lebenszyklus des Plastiks geregelt werden müsse. Demgegenüber stand ein Block von erdöl- und petrochemieproduzierenden Staaten, der ein solches Produktions-Kap als unangemessene Einmischung in nationale Industriepolitik ablehnte. Zu diesem „like-minded“-Block zählten vor allem Golfstaaten (z.B. Saudi-Arabien, Kuwait), aber auch Länder wie die USA, Indien und Russland . Sie forderten, dass sich der Vertrag auf Abfallbewirtschaftung, Recycling und Technologien konzentriert. Entsprechende Grenzwerte für Neuproduktion seien für sie inakzeptabel.
Die Verhandlungen verhärteten sich genau an diesem Punkt: So stellten die USA klar, sie würden „praktischen globalen Ansätzen wie Produktionszielen oder Verboten“ von Plastik nicht zustimmen . Auch Branchenvertreter wie der amerikanische Chemie-Verband (ACC) warnten, dass die USA ein Abkommen mit Produktionsbeschränkungen oder weit reichenden Chemikalienverboten nicht ratifizieren könnten . Demgegenüber betonte etwa Umweltkommissarin Jessika Roswall (EU), ein „schwaches, statisches Abkommen“ helfe niemandem, und ein Vertrag müsse den gesamten Lebenszyklus des Plastiks abdecken und mit der Wissenschaft Schritt halten .
Ein weiterer Streitpunkt waren die giftigen Zusatzstoffe in Kunststoffen. Auch hier gab es Bruchlinien: Die Hochambitions-Koalition forderte beispielsweise das schrittweise Verbot besonders schädlicher Stoffe in Plastikprodukten, während die petrochemische Seite auch dies als überzogen ablehnte. Parallel ging es um die Finanzierung: Entwicklungsländer und kleine Staaten pochten auf einen Finanzmechanismus zur Umsetzung (etwa für Sammelsysteme), was wiederum von einigen Industriestaaten als zu teuer kritisiert wurde. Diese Fragen nach Chemikalienkontrolle und Finanzausstattung trugen zusätzlich zur Blockade bei.
Wichtige Akteure und Koalitionen
Zu den Hauptakteuren gehörten auf Seiten der Befürworter strenger Regeln vor allem die EU-Staaten (etwa Deutschland, Frankreich, Dänemark), unterstützt von Ländern der Hochambitions-Koalition (HAC) wie Kanada, Norwegen oder Namibia, sowie zahlreiche kleine Insel- und Entwicklungsländer (SIDS), die stark unter Plastikeintrag leiden. Deren Sprecher weisen darauf hin, dass sie kaum zum Plastikproblem beigetragen haben und nun unverhältnismäßig darunter leiden . Die USA waren formell vertreten, allerdings ohne eigenes Regierungsmandat; ihre Verhandler ließen durchblicken, dass sie das Thema Produktion außen vor sehen würden . Auch China nahm teil und plädierte wie schon zuvor für Geduld: Die chinesische Delegation nannte die Bekämpfung der Plastikverschmutzung ein „langes Marathonrennen“ und rief zu konstruktiver Zusammenarbeit auf .
Auf der Gegenseite standen vor allem erdölproduzierende Länder. Neben den Golfmonarchien (Saudi-Arabien, Kuwait, VAE) schlossen sich weitere petrochemisch ausgerichtete Staaten wie Indien oder Russland dem Widerstand an . Sie bildeten mit den USA einen Block, der möglichst viel Spielraum für die Industrie erhalten wollte. Selbst im Kreis der EU gab es Dissens: Während etwa Dänemark und Frankreich einen strikten Vertrag forderten, äußerten etwa Großbritannien und Teile der Industriewirtschaft Bedenken gegen zu weit gehende Beschränkungen, obwohl sie formal Teil der HAC sind.
Weiterer Prozess und Ausblick
Nach dem Scheitern von INC-5.2 ist die weitere Vorgehensweise offen. Formal wurde vereinbart, die Verhandlungen zu einem späteren Datum fortzusetzen , doch ein konkreter Termin steht nicht fest . Viele Delegierte betonten, dass eine Einigung trotzdem nötig bleibe: „Das kann hier nicht enden“, forderte Südafrikas Vertreter . Zugleich wächst der Druck auf die Verfahrensregeln. Experten und Umweltschützer monieren, dass das Einstimmigkeitsprinzip (Konsens) ein Haupthindernis ist, weil schon wenige Länder blockieren können. Es wird erwogen, bei künftigen Sitzungen Abstimmungen zuzulassen, um das Patt zu lösen .
Auf politischer Ebene gab es nach Genf bereits Vorschläge für Alternativwege. So überlegen einige Verbündete der ambitionierten Koalition (etwa einzelne EU-Staaten und subnationale Akteure wie Kalifornien), parallel zu arbeiten oder einen kleineren „Fortschrittsclub“ ins Leben zu rufen, der einen harten Vertrag vorlegt. Solche Pläne sind aber umstritten und würden den formalen UN-Prozess unterlaufen. Offiziell bleibt die Einigung über ein Abkommen das Ziel. INC-Vorsitzender Vayas Valdivieso appellierte, trotz Rückschlag „unseren Willen wieder zu sammeln und die Anstrengungen zu erneuern“ . Auch UNEP-Chefin Andersen bekräftigte, dass die Arbeit nicht aufhören werde, weil das Problem ja bestehen bleibe .
Fazit
Das vorläufige Scheitern der Plastikvertrag-Verhandlungen in Genf verdeutlicht die Spaltung im Umgang mit der Kunststoffflut: Industrienationen und Entwicklungsländer sind sich zwar einig, dass ein globaler Vertrag notwendig ist, aber noch nicht darüber, wie weitreichend er sein darf. Insbesondere die Frage, ob die Neuproduktion von Plastik begrenzt werden muss, spaltete die Lager: Einige sehen darin unverzichtbare Klimaschutz- und Gesundheitsmaßnahme , andere – vor allem rohstoffexportierende Staaten – einen unzumutbaren Eingriff. Durch das bisherige Konsensprinzip kann schon ein kleines Bündnis einen Abbruch erzwingen, was Umweltschützer als „Schlag gegen den Multilateralismus“ kritisieren . Trotz der Enttäuschung äußern viele Delegierte jedoch die Absicht, weiterzumachen. Die künftigen Verhandlungen werden eine neue Balance zwischen Ambitionen und Realpolitik finden müssen – sei es durch Prozessreformen (etwa Abstimmungen statt Einstimmigkeit) oder durch politischen Druck aus der Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Nur so ist zu hoffen, dass ein handlungsfähiges Abkommen zustande kommt, bevor die Plastikflut noch größeren Schaden anrichtet.
Quellen: Aktuelle Berichte und Pressemitteilungen der UN sowie renommierte Medien und Umweltorganisationen (UNEP, Reuters, Al Jazeera, The Guardian, WEF) .
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