Freitag, 22. August 2025

Systemdesign von CubeSats (Stand 2025)

 Systemdesign von CubeSats (Stand 2025)

1. Einführung in CubeSat-Konzepte, Normen und Zielsysteme

CubeSats sind genormte Kleinstsatelliten auf Basis eines „Einheiten“-(1 U)-Formats (1 U = 10 cm×10 cm×11 cm, etwa 1–1,3 kg) . Übliche Formate sind 1U, 1.5U, 2U, 3U und darüber hinaus 6U, 12U usw. (z. B. 3U = 10×10×34 cm) . Die Spezifikation für CubeSats (CubeSat Design Specification, CDS) wurde 2022 in Revision 14.1 aktualisiert und enthält nun auch Standards für größere Bauformen bis 12U . Für den Start werden CubeSats in standardisierten Dispensern untergebracht, typischerweise dem NASA-POD («Picosatellite Orbital Deployer», P-POD). Dieser kann z. B. bis zu 3 U aufnehmen (beliebige Kombination bis zu 3 U, etwa 3×1U oder 1U+2U) und öffnet sich nach Freigabe durch das Trägersystem .

Das „New Space“-Umfeld hat zu einer explosionsartigen Verbreitung von CubeSats geführt. So wurden 2023 weltweit etwa 390 Nanosatelliten gestartet (davon 359 CubeSats) . Größere Betreiber wie Planet, SpaceX (Swarm), Spire usw. steuern jeweils dutzende CubeSats bei. Dabei überholte die Gesamtzahl der gestarteten CubeSats 2023 erstmals die Marke von 2000 (innerhalb von wenigen Jahren nach Erreichen des ersten Tausends) . Dieses Wachstum bringt neue Zielsysteme hervor (z. B. Erdbeobachtung, Kommunikation, Weltraumforschung) und stellt zugleich Herausforderungen an Startintegration (z. B. P-POD und neue Dispenser für 6U/12U) sowie an Normung und Betriebsphilosophie.

2. Systemarchitektur und zentrale Subsysteme

2.1 Struktur und Mechanik

Die Struktur eines CubeSats besteht meist aus Aluminium- oder kohlefaserverstärkten Rahmenplatten mit seitlichen Führungen (Rail-System) für Dispenserkompatibilität. Die mechanische Auslegung muss Startlasten (Vibration, Stoß) überstehen, oft werden gewichtssparende Leichtbaukonstruktionen (z. B. ausgefräste Halterungen) verwendet. Neuere Konzepte nutzen auch 3D-gedruckte Metall- oder Kunststoffteile. Die Struktur trägt alle Subsysteme und ggf. Ausleger für Solarzellen oder Antennen. Dabei werden Halterungen und Massenbilanz so optimiert, dass der Austausch einzelner Module bei Integrationstests (EMI/Vibration) möglich bleibt.

2.2 Energieversorgung (Solarzellen, Akkus, EPS)

CubeSats verwenden leistungsfähige Solarzellen (meist Multijunktions-GaAs-Zellen >30 % Wirkungsgrad), zum Teil auf starr montierten Flächen oder als ausklappbare Paneele. Auch flexible Folienzellen kommen vereinzelt zum Einsatz. Die erzeugte elektrische Energie wird in wiederaufladbaren Batterien gespeichert, typischerweise Lithium-Ionen- oder Lithium-Polymer-Zellen. Moderne Energiespeicher bieten hohe Energiedichte und können mehrere hundert Zyklen überstehen . Das Energiemanagement (EPS – Electrical Power System) umfasst Laderegler und DC/DC-Wandler zur Verteilung. Aufgrund des hohen Risikobereitschaft der Kleinsatelliten-Gemeinschaft werden häufig kostengünstige COTS-Bauteile verwendet: Lithium-Polymer-Zellen und Consumer-Elektronik reduzieren Preis und Entwicklungszeit . Insgesamt nutzen CubeSats zukunftsweisende Technologien: Beispielsweise kommen bereits Solarzellen mit >32 % Wirkungsgrad und Lithium-Ionen-Akkus zum Einsatz . Superkondensatoren werden derzeit evaluiert, können aber aufgrund niedriger Energiedichte üblicherweise nicht Li-Ionen-Batterien ersetzen .

2.3 On-Board-Computer, Software, FDIR

Der On-Board-Computer (OBC) steuert alle Subsysteme und führt die Missionssoftware aus. Häufig kommen leistungsfähige eingebettete Prozessoren oder FPGAs zum Einsatz, oft in Kombination mit redundanter Architektur. Die Software ist verantwortlich für Missionsplanung, Sensordatenverarbeitung und Überwachung („Health Monitoring“). FDIR (Fault Detection, Isolation and Recovery) ist essenziell: Die Flugsoftware überwacht kontinuierlich Spannungen, Temperaturen und Funktionssignale, kann Fehlfunktion erkennen (z. B. durch Watchdog-Timer) und autonom in einen sicheren Modus wechseln. Wegen der begrenzten Ressourcen ist FDIR in CubeSats eher eingeschränkt, setzt aber auf einfache Strategien (Soft-Reset, gesicherter Wiederhochfahren-Modus). Für Deep-Space-Missionen und zunehmend auch LEO-Constellations werden zunehmend robuste Betriebssysteme und sogar On-Board-AI-Module erforscht (siehe Abschnitt 8).

2.4 Kommunikation (Frequenzbänder, IARU/ITU, optische Downlinks)

CubeSats nutzen meist Funkkommunikation im Amateur- oder kommerziellen Spektrum. Gängige Frequenzbänder sind VHF/UHF (bis 400 MHz) für Telemetrie/Kommandos und S-/X-Band (ca. 2–8 GHz) für Hochgeschwindigkeits-Downlinks . Damit ist man im Rahmen der amateurfunkbasierten IARU-Koordination (v.a. für VHF/UHF) oder muss beim nationalen Telekommunikationsamt Frequenzzuteilungen (z. B. FCC in den USA) und ITU-Files durchführen. Für hohe Datenraten rücken Ka-Band (20–30 GHz) oder optische Kommunikationssysteme in den Fokus. In den letzten Jahren haben vor allem optische Downlink-Experimente Schlagzeilen gemacht: So demonstrierten die OCSD-Kubik-Sats der Aerospace Corp. 2017 einen Laser-Downlink mit 200 Mbps von einer 1,5U-Plattform . Auch das deutsche OSIRIS-Programm (DLR) erzielte mehrere hundert Mbps mit 1U-Optiktermini , und die Mikro-Terminal OSIRIS4CubeSat erreichte 2021 100 Mbps bei 1550 nm aus nur 0,3U Ausgangsleistung . Solche Laser-Links erfordern präzises Pointing (siehe Abschnitt 4). Der Trend geht zu immer höheren Datenraten (optisch bis mehrere Gbps) und zu integrierten Software-Defined-Radios, um flexibel Frequenzen und Modulationsschemata zu nutzen.

2.5 Lage- und Orbitregelung (ADCS/AOCS)

Für die Lageregelung (Attitude Determination and Control, ADCS) setzen CubeSats verschiedene Sensoren ein: Coarse Sun Sensoren und Magnetometer für grobe Lage, präzise Sternsensoren oder Inertialsysteme (Gyros) für Feinstdetektion. Aktoren umfassen Reaction Wheels oder CMG für Drehimpuls, Magnetorquers (Spulen) zum Entmagnetisieren und Feinkorrektur sowie gelegentlich kleine Magnetbremspaddles (zum passiven Abbremsen). Moderne CubeSats können durch Kombination dieser Komponenten Punktgenauigkeiten von Bruchteilen eines Grades erreichen, ausreichend etwa für Erdmessung oder optische Kommunikation . Für Orbitmanöver nutzen manche CubeSats auch integrierte Mini-Triebwerke (siehe Abschnitt 2.7). Der Trend geht zudem zu autarker Formationserkennung: Aktuelle Projekte (z. B. Starling-Schwarm) demonstrieren, dass mehrere CubeSats ihre relative Lage selbstständig bestimmen und halten können .

2.6 Thermalkontrolle

Die Wärmeführung bei CubeSats erfolgt meist passiv: Oberflächenbeschichtungen und Radiatoren werden so ausgelegt, dass Sonnen- und Ir-Einstrahlung ausgewogen abgegeben werden. Wärmespeicher (Phasenwechselmaterialien) und Wärmepfade (Wärmebrücken) gleichen Lastspitzen aus. Aktive Thermalkontrolle (Heizer) ist nur begrenzt verfügbar (kleine Widerstandsheizer für Batterien). Bei Missionen jenseits niedriger Erdbahnen (z. B. Sonnenorbit) gewinnt die Auslegung auf Temperaturzyklen an Bedeutung. Flex- oder Star-Tracker-Module werden oft thermisch entkoppelt. Grundsätzlich muss der thermische Entwurf sicherstellen, dass alle Komponenten im zulässigen Bereich bleiben (typisch –20 °C bis +60 °C). TVAC-Tests sind daher unverzichtbar (siehe Abschnitt 9).

2.7 Antriebssysteme (Cold-Gas, PPT, Elektroantriebe, Green Propellants)

Klassische CubeSats fliegen meist ohne Antrieb, halten sich durch vorgesehene Umlaufbahnen an Passivregelung und Reibungslimit. Neue Projekte integrieren jedoch verstärkt kleine Triebwerke, um Bahnanhebungen oder Konstellationsmanöver durchführen zu können. Beispiele: Cold-Gas-Druckgas (wenige mN Schub) erlauben kleine Bahnänderungen. Pulsed Plasma Thruster (PPT) oder Ionen-Antriebe (EP, wenige Dutzend mN) sind seit einigen Jahren verfügbar – z. B. Microlauncher ION-Sat oder Busek Iod thruster. Ein Trend sind sogenannte „grüne“ Treibstoffe (z. B. AF-M315E oder gelöster Nitromethan), die ungiftiger sind als Hydrazin und sich für Kleinsat integrieren lassen. Die Wahl hängt von Missionsprofil ab: LEO-Aufgaben kommen oft mit passiver Deorbithilfe aus, während interplanetare CubeSats (Abschnitt 7) eher elektrische Antriebe nutzen.

2.8 Nutzlastintegration und Datenhandling

Die Nutzlasten variieren je nach Mission (Kameras, Sensoren, Kommunikations- bzw. Wettertransponder etc.). Die Datenverarbeitung erfolgt onboard: Typischerweise komprimiert der OBC Sensordaten und verwaltet die Speicherinterface. Bei leistungshungrigen Payloads (z. B. spektrale Bilddaten) werden spezialisierte DSP- oder FPGA-Module eingesetzt. Die Integration erfolgt modular: Nutzlasten sind mechanisch und elektrisch an das Bussystem (Backplane/Harness) anschließbar. Flugdatenrekorder mit non-flüchtigem Speicher (SDRAM, Flash) sichern die Telemetrie.

2.9 Bodenstation/Ground Segment

Im Ground Segment sind meist Amateur- oder kommerzielle Bodenstationen im Einsatz. Für Forschungs-CubeSats nutzt man oft bestehende Bodenfunknetze (z. B. GENSO, SatNOGS). Die Stationen decken in Abhängigkeit vom Frequenzband (VHF/UHF bis S/X/Ka-Band) meist nur Rundumblick-Bodenabdeckung ab, da CubeSats niedrige Bahnen (LEO) haben. Für Missionen jenseits LEO (z. B. cislunar) verwendet man das NASA Deep Space Network (DSN) oder vergleichbare Trackingnetze. Die Planung umfasst Linkbudget-Berechnungen (Absorption, Abstand, Antennengewinn, Datenrate), um zuverlässig Befehle und Daten auszutauschen.

3. Kommunikationsschnittstellen, Linkbudget und optische Links

Die Kommunikation umfasst u. a. RF-Funkverbindungen und Laserkommunikation. Bei RF-Links bestimmt das Linkbudget die erreichbare Datenrate: Schlüsselfaktoren sind Sendeleistung, Antennengewinn, Freiraumdämpfung (quadratisch mit Distanz und Frequenz), Systemtemperaturen und Atmosphärenverluste. Kleinserien-Cubesats nutzen meist niedrige Leistung (wenige Watt) und kompakte Antennen, daher liegen die üblichen Downlink-Raten für S-Band eher im Mbps-Bereich. Neue Optical Communication Technology Demonstrators (z. B. OCSD, OSIRIS) erzielten dagegen mehrfach zweistellige bis dreistellige Mbps bei vergleichsweise geringer Sendeleistung .

Aktuelle Demonstrationsmissionen zeigen den Trend zu Laserlinks: NASA’s OCSD (Optical Communication and Sensor Demonstration) setzte 2017 erste Maßstäbe, als zwei 1.5U CubeSats 200 Mbps mit 1064 nm-IR-Laser bei 40 cm-Empfangsoptiken übertragen . Das deutsche OSIRIS-Programm lieferte in den letzten Jahren optische Terminals für Mikrosatelliten: OSIRISv1 erzielte 200 Mbps (2017), OSIRISv2 sogar bis 1 Gbps (2016) bei höheren Leistungen; eine Miniaturversion (OSIRIS4CubeSat) erreichte 2021 100 Mbps mit nur 0.4 W Ausgangsleistung . Diese Erfolge demonstrieren, dass optische Downlinks von CubeSats technisch machbar sind. Zukünftige Missionen (etwa 2023–2025) planen weitere Laser-Demo-Module, die etwa Polarisstreifung und hohe Datenraten ermöglichen. Gleichzeitig erlauben Fortschritte bei SDR und flexiblen Multiband-Systemen, schnell zwischen Amateur- und kommerziellen Frequenzen zu schalten. Linkbudget-Optimierung erfolgt dabei durch präzise Orbitkenntnis (GNSS/AIS) und adaptive Modulation (LDPC-Codes, Turbocodes) zur Maximierung der nutzbaren Bandbreite.

4. Navigation, Pointing-Anforderungen und Regelgüte

CubeSats benötigen genaue Lageregelung, um Nutzlasten oder Kommunikationsantennen präzise auszurichten. Beispielsweise erfordern Laserkommunikation oder sternenbasierte Beobachtungen Richtungen unter 0,01° Genauigkeit. Typische Sensoren sind Sternenkameras und Sun-Finder für Präzisionsbestimmung, Gyros und Magnetfeldsensoren zur Stabilisierungsüberwachung. Reaktionsschwungräder bzw. Magnetkreisel erzeugen kontrolliert Drehmomente, während Magnettorquer externe Felder zur Feinkorrektur nutzen. Für Formationsflug (mehrere CubeSats kooperativ) wurden bereits autonome Navigationssysteme demonstriert: Der „Starling“-Schwarm zeigte 2023, dass drei CubeSats mittels Winkelmessungen untereinander ihren relativen Orbit bestimmen und stabilisieren können . Wenn Kamera- oder Lasersysteme auf Himmelsobjekte zielen, werden zusätzlich Sensorketten (Sichtfelddetektoren, Focusing) eingesetzt und die Regelschleife mit hoher Abtastrate getaktet. In Deep-Space-Szenarien (z. B. MarCO, CAPSTONE) kommen auch GPS-ähnliche Kreuzmessungen zum Einsatz (z. B. CAPSTONE verwendet LRO als Referenzobjekt) . Die Regelgüte erreichte bisher für CubeSats typischerweise einige hundert Bogensekunden bis wenige Zehntel Grad, je nach Sensor/Bordnetz-Qualität.

5. Energie- und Thermalkonzepte für Betriebsmodi

Die Leistungsanforderungen ändern sich je nach Missionsphase. In Erdumlaufbahn schaltet man z. B. im Sonnenlicht Volllast und in den Erdschatten Sparmodi. Energiespeicher müssen sowohl Peak-Bedarf als auch lange Finsternisphasen (bis zu 35 min in LEO) abdecken. Dies wird durch Akkugröße und Pufferung gelöst; Laststeuerung (Power Duty Cycling) optimiert den Verbrauch. Bei Mond- oder interplanetaren Missionen mit langen Schattenperioden rechnet man auch Strahlenflächenausrichtung (Sun-pointing) mit ein und nutzt Thermalspeicher. Das Thermalkonzept passt dazu: LEO-CubeSats mit häufigen Schattenwechseln werden so ausgelegt, dass kritische Komponenten die Temperatursprünge verkraften. In strahlungsarmen Umgebungen kann man passive Radiatoren großzügiger dimensionieren. Abschließend stellt jedes Missionsprofil sicher, dass der thermische Gleichgewichtszustand bei allen Betriebszuständen innerhalb der Designgrenzen liegt, unterstützt durch detaillierte Wärmehaushalts-Simulationen und TVAC-Tests.

6. Entsorgung und Weltraumschrottvermeidung

Mit der hohen Zahl gestarteter CubeSats wächst die Bedeutung der End-of-Life-Regulierung. Aktuelle Normen wie die ISO 24113:2023 (und in Europa die überarbeitete ECSS-U-AS-10C Rev. 2) schreiben vor, dass Satelliten nach Missionsende kontrolliert deorbitieren oder in ein Friedhofsorbit manövriert werden müssen. Für CubeSats bedeutet dies zumeist: a) Orbitwahl <500 km (sofern keine aktive Bahnhebung) für Reentry innerhalb von 25 Jahren, oder b) aktive Deorbit-Technologien einbauen. Zu den eingesetzten Maßnahmen zählen Drag-Segel oder -Mastsysteme: Zum Beispiel deorbitierte der 3U-CubeSat Inflatesail mit einem 10 m²-Drachensegel 2017 in nur 72 Tagen und war damit der erste Satellit Europas mit erfolgreiches Drag-Segel-Deorbit . Neuere Konzepte wie das D3-Dragdevice (2U-Tapespring-System) können laut Simulationen einen 15 kg-Satelliten sogar aus 700 km in akzeptabler Zeit absenken . Zusätzlich müssen Tanks und Batterien passiviert (unbrauchbar gemacht) werden, um unkontrollierte Explosionen zu verhindern. Design-for-Demise (D3) – also die Materialauswahl, damit der Satellit bei Wiedereintritt vollständig verglüht – wird ebenfalls beachtet. Die Debris-Compliance wird meist im Rahmen von Mission Reviews geprüft: CubeSat-Teams dokumentieren, wie sie ISO 24113-Anforderungen erfüllen.

7. Deep-Space-fähige CubeSats: Lessons Learned aus MarCO, DSOC, LunIR, CAPSTONE, NEA Scout

Abbildung: Die NASA-Mission MarCO (Mars Cube One) mit ihren beiden 6U-CubeSats im Flug Richtung Mars. Sie demonstrierte 2018 erstmals erfolgreiche CubeSat-Kommunikation im interplanetaren Raum .

CubeSats sind längst keine LEO-Gefangenen mehr. Das eindrücklichste Beispiel ist MarCO (Mars Cube One): Zwei 6U-CubeSats begleiteten 2018 die InSight-Marslandung als Kommunikationrelays. Dies bewies erstmals, dass CubeSats auch im Deep Space funktionieren können . Für MarCO wurden leistungstarke X-Band-Antennen (Faltungsreflektor) eingesetzt, um über 200 Millionen km Daten zu übertragen. Eine Lehre war, dass handelsübliche Kleinsat-Busse (in Terrestrik optimiert) robust für interplanetare Umgebung adaptiert werden müssen. Ähnliche Erkenntnisse kamen vom CAPSTONE-Mondsatelliten (12U, 2022): Trotz Anomalien in Kommunikations- und Antriebssequenzen konnte das Team die Mission retten und die anspruchsvolle NRHO-Bahn nach etwa vier Monaten erreichen . CAPSTONE nutzte kommerzielle Elektron-Trägerraketen und zeigte die Machbarkeit privater CubeSat-Missionen zum Mond.

Auch neuere Deep-Space-Demonstratoren schärfen die Praxis: So nutzt etwa NASA’s NEA Scout (Start 2022) ein Sonnensegel als Primärantrieb und erforscht Herausforderungen der Langzeit-Segel-Deployment-Prozesse. Das Entwicklerteam betonte, dass viele LEO-COTS-Komponenten für Deep Space umgerüstet werden müssen . Die geplante DSOC-Mission (Deep Space Optical Communications, gestartet 2023 auf Psyche), wenn auch kein CubeSat, setzt Maßstäbe für Laserkommunikation jenseits des Mondes. Auch die auf Artemis-I gestarteten 6U-Cubesats LunIR und Lunar IceCube gelten als Pioniere: Sie führten Infrarot- und Scansensoren zum Mond und mussten lange Funkverbindungen und thermische Extrembedingungen meistern. Zusammenfassend zeigen diese Missionen, dass das CubeSat-Design in Deep Space höhere Anforderungen an Autonomie (z. B. Seekurskontrolle, Telemetrie-Management) und Strahlenschutz stellt, aber technisch lösbar ist.

8. Technologietrends: COTS 2.0, Onboard-KI, optische Kommunikation, kooperative CubeSat-Schwärme, nachhaltiges Design

Die CubeSat-Entwicklung folgt klaren Tech-Trends: COTS 2.0 bedeutet, dass immer mehr kommerzielle Komponenten (auch aus der Elektronik-Industrie) direkt ohne Raumfahrtherkunft eingesetzt werden. Der Nutzen ist kostengünstige Leistung; der Preis sind zusätzliche Prüfungen, um Strahlungsunverträglichkeiten auszugleichen . Parallel setzen CubeSats auf Onboard-KI/ML: Im Juli 2023 trainierten Forscher erstmals ein neuronales Netzwerk direkt im Orbit, um Wolkenbedeckungsänderungen zu erkennen . Diese Demonstration zeigt: In Zukunft werden CubeSats selbstlernende Algorithmen nutzen, um Sensordaten autonom zu analysieren und Entscheidungen (z. B. Bildaufnahmenpriorisierung) in Echtzeit zu treffen.

Optische Kommunikation (Lasercom) wurde bereits erwähnt: Hier werden CubeSat-Architekturen systematisch weiterentwickelt (Cubesat Laser Communication Terminals, modulare Picosekunden-Laser, Quantumcomm-Projekte). Parallel erforscht man Swarm-/Schwarmkonzepte: Kleine Satelliten arbeiten vernetzt zusammen (z. B. Starling, Swarm-Ex), um gemeinsame Daten zu sammeln und zu übertragen. In Schwärmen können viele günstige Sonden eine große räumliche Abdeckung erzielen. Raumfahrtkonzerne und NewSpace-Unternehmen planen bereits Konstellationen aus Hunderten CubeSats. Dies setzt voraus, dass die Satelliten kooperativ manoeuvrieren und kommunizieren – erste On-Orbit-Versuche wie die Starling-Mission veranschaulichen bereits autonome relative Navigation und Datenweiterleitung in Schwärmen .

Schließlich gewinnt nachhaltiges Design an Bedeutung: Dazu gehört die Nutzung umweltverträglicher Materialien (Halbleiter ohne giftige Stoffe), wiederverwendbarer Plattformen sowie gezielte Debris-Vermeidung (siehe Abschnitt 6). Konzepte wie Design for Demise (so gewählt, dass beim Wiedereintritt nichts übrig bleibt) oder wiederverwertbare CubeSat-Busmodule werden diskutiert, besonders da volkswirtschaftliche Kosten des Weltraummülls steigen.

9. Systems Engineering: Vorgehensmodell, Verifikation, Tests (TVAC, Vibration, Mission Readiness)

Das Entwicklungsprozesses folgt klassischen Systems-Engineering-Prinzipien, angepasst an die kurzen Zyklen und Budgets von CubeSats. Ein typischer Ablauf umfasst Konzept, Requirements, Design-Reviews, Implementierung, Integration und Verifikation. Zu den Prüfungen zählen: Modultests aller Subsysteme, EMV-Prüfungen, Funktionstests der Elektronik, sowie die Umwelttests – Vibrations- und Schocktests (um Startlasten zu simulieren) und Thermal-Vakuum-Tests (TVAC) für Weltraumbedingungen. Ein Schwerpunkt liegt auf Day-in-the-Life-Tests (DITL): Dabei läuft das vollständig integrierte System über Stunden in einer Vakuumkammer, um seinen Betriebsszenarien zu entsprechen. Selbst begrenzte DITL-TVAC-Durchläufe sind äußerst wertvoll – sie entdeckten bereits mehrfach kritische Fehler in CubeSats, die auf bloßen Funktionstests am Boden unbemerkt geblieben wären . Ebenso sind System-Bakeouts („Ausgasen“) vor Elektroniktests vorgeschrieben, um Materialausdünstungen zu entfernen . Zum Abschluss erfolgen Mission-Readiness-Reviews durch unabhängige Boards.

Verifikation und Validierung: Jeder Entwurfsschritt wird durch Analysen (Simulation, Finite-Elemente, Kontakttests), Prüfstandsmessungen und Modelle abgesichert. Insbesondere müssen Schnittstellen (mechanisch, elektrisch, Funk) zuverlässig sein. Für CubeSats existieren Leitfäden (z. B. NASA’s Mission Success Handbook) mit genauen Anforderungen (Leitungsquerschnitte, Redundanzen, EMV) und spezifischen Testprotokollen . Ausfälle auf der letzten Meile gelten als kritisch, daher ist die „Done-Ebene“ vor einem Start sehr hoch.

10. Governance, Frequenzkoordination, regulatorische Anforderungen

CubeSat-Missionen unterliegen verschiedenen Regularien: Für Funkkommunikation muss das Team Frequenzkoordinierung und Lizenzierung betreiben. In Amateurfunkbändern koordiniert die IARU die Zulassung (aktives Verfahren), für kommerzielle Bänder muss man nationale Genehmigungen einholen (z. B. FCC-Lizenz in den USA) und weltweit wird ein ITU-Filing eingereicht, um Störungen zu vermeiden. Dabei sind transmit Power und Antennengains zu dokumentieren. Gleichzeitig müssen Einhaltung der Debris-Vorschriften nachgewiesen werden (Siehe ISO 24113). In einigen Ländern (z. B. USA, ESA-Mitgliedsstaaten) wird zudem vor dem Start eine formale Sicherheits- oder Umweltverträglichkeitsprüfung verlangt. CubeSat-Teams arbeiten oft mit kommerziellen Vermittlungsfirmen oder Agenturprogrammen (z. B. ESA CubeSat-Initiative, NASA ELaNa), um bei den komplexen Regelwerken unterstützt zu werden. Neuere Regularien (z. B. ECSS-U-AS-10C Rev. 2) verlangen zudem Dokumentation zur Weltraumnachhaltigkeit („Debris Mitigation“), die beim Missionsantrag vorzulegen ist. Insgesamt erfordert CubeSat-Design nicht nur technische, sondern auch administrative „Ground Rules“ – von Frequenzanträgen über Exportkontrollen bis hin zu bahntechnischen Auflagen, um Mission und Start nicht zu gefährden.

Literaturverzeichnis

  • H. Twiggs et al., CubeSat Design Specification, Rev. 14.1, Cal Poly, Feb. 2022 .
  • Cal Poly CubeSat Lab, CubeSat 101: Basic Concepts and Processes, NASA CSLI, 2017 .
  • NASA (ed.), Small Spacecraft Technology State of the Art – Communications (2023) .
  • NASA (ed.), Small Spacecraft Technology State of the Art – Power (2024) .
  • NASA (ed.), Small Spacecraft Technology State of the Art – Deorbit Systems (2024) .
  • NASA SMD, What is CAPSTONE? (Feb. 2025) .
  • T. Lockett et al., “Lessons Learned from the NEA Scout Flight System”, 4th ISS, Florence 2018 .
  • K. Miller et al., “Starling CubeSat Swarm Tech Demo Flight Results”, AIAA/USU SmallSat Conf. 2024 .
  • E. Kulu, CubeSats & Nanosats – 2024 Statistics and Trends, IAC 2024 (IAC-24.B4.6A.13) .
  • NASA SSRI Knowledge Base, Day-in-the-Life Testing – Best Practices (2021) .
  • NASA/SSLI, Mission Success Handbook for CubeSat Missions, GSFC-HDBK-8007, Rev. A (2019) .
  • University of Oxford, Researchers train ML model in outer space for the first time, News (Jul. 2023) .
  • Diverse Quellen: ESA/DLR CubeSat-Programme, Acta Astronautica, AIAA/IEEE Konferenzartikel (2023–2025).


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