Die
Gründung des Bauhauses im Jahr 1919 markiert einen Meilenstein der Moderne und
prägte die Entwicklung von Architektur, Design und Kunst im 20. Jahrhundert
nachhaltig[1]. In nur 14 Jahren ihres Bestehens (1919–1933) revolutionierte die von
Walter Gropius in Weimar ins Leben gerufene Schule Gestaltung und Lehre und
brachte eine Epoche hervor, die unsere Lebenswelt bis heute beeinflusst[1]. Das Bauhaus kleidete die Welt „in abstrakt gemusterten Damast“,
beschriftete sie mit serifenlosen Grotesk-Schriften, errichtete
funktionale, lichtdurchflutete Bauten mit flachen Dächern und entwarf
Stahlrohrmöbel, Gläser, Lampen und Kinderspielzeug in schlichten geometrischen
Formen[1]. Zugleich änderte es für immer die Ausbildung in Kunst, Gestaltung und
Architektur. Kurz: Das Bauhaus gilt als einflussreichste Designschule aller
Zeiten und wird oft mit der Avantgarde der Klassischen Moderne
gleichgesetzt[2][3].
Diese
wissenschaftliche Abhandlung untersucht die Bauhaus-Kultur im
Deutschland der 1920er Jahre in ihrer Gesamtheit. Sie beleuchtet die
Entstehungsbedingungen in der Weimarer Republik, die zentralen
Institutionen in Weimar, Dessau und Berlin sowie die maßgeblichen Akteure wie Walter
Gropius, Hannes Meyer, Paul Klee und Wassily Kandinsky.
Es werden die Leitideen und pädagogischen Konzepte des Bauhauses analysiert,
ebenso wie die gestalterischen Ergebnisse in Architektur, Design
und bildender Kunst. Ein besonderer Fokus liegt auf der
gesellschaftlichen Dimension: der Rolle der Frauen am Bauhaus, den
politischen Spannungen jener Zeit und der Reaktion der Öffentlichkeit. Darüber
hinaus wird die internationale Ausstrahlung der Bauhaus-Bewegung erörtert,
ebenso wie die Repression und Schließung der Institution nach 1933 durch das
NS-Regime. Abschließend erfolgt eine kritische Gesamtbewertung der
Bauhaus-Kultur im historischen Kontext, in der Erfolge und Grenzen dieser
Bewegung reflektiert werden.
Das
Bauhaus war ein Kind seiner Zeit – hervorgegangen aus den Umbrüchen nach dem
Ersten Weltkrieg und dem Reformwillen der jungen deutschen Republik[4]. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte zum 100-jährigen
Jubiläum 2019 den inneren Zusammenhang zwischen dem Bauhaus und dem Aufbruch in
die Demokratie: Das Bauhaus habe die Freiheit der Weimarer Republik gebraucht
und dieser im Gegenzug eine besondere kulturelle Ausdrucksform geschenkt[5]. Die nachfolgenden Kapitel werden zeigen, wie das Bauhaus als Treffpunkt
der europäischen Avantgarde in den 1920er Jahren zum Inbegriff für
Weltoffenheit und künstlerische Visionen wurde[6] – und wie es zugleich mit den politischen und sozialen Realitäten
ringen musste. Durch die Verbindung von Kunst und Handwerk, von Theorie
und Praxis, strebte das Bauhaus an, die Gestaltung aller Lebensbereiche zu
erneuern und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Inwiefern diese
ambitionierten Ziele erreicht wurden, wird im Folgenden kritisch untersucht.
Historischer
Kontext: Weimarer Republik und kulturelle Moderne
Die Weimarer Republik (1918–1933) bildete den politischen und
gesellschaftlichen Rahmen, in dem die Bauhaus-Kultur gedeihen konnte. Nach dem
Ersten Weltkrieg lag Deutschland in wirtschaftlicher und sozialer Krise; das
Kaiserreich war zusammengebrochen, revolutionäre Unruhen erschütterten das Land[4].
Gleichzeitig herrschte ein Geist des Neuanfangs: In Politik und Kultur suchte
man nach visionären Ideen für den Aufbau einer jungen Republik[7].
Die kulturelle Moderne der 1920er Jahre – mit Strömungen wie Expressionismus,
Neuer Sachlichkeit, Dadaismus und Konstruktivismus – schuf ein
innovationsfreundliches Klima. In Architektur und Design formierten sich
reformorientierte Bewegungen, etwa der Deutsche Werkbund (gegründet
1907), der eine Verbindung von Kunst, Handwerk und Industrie anstrebte[8].
Walter Gropius selbst war Mitglied des Werkbunds bis 1933[9],
und viele Prinzipien des Bauhauses knüpften an diese Reformbestrebungen an.
In diesem Kontext entstand das Bauhaus als Antwort auf das als
chaotisch empfundene Nebeneinander von Kunststilen und den Bruch zwischen Kunst
und Industrie nach 1918. Gropius erinnerte sich später: „Wir leben in einem solchen
Chaos... durch den Einbruch der Industrie [ging] aller Zusammenhang zu einer
Einheit verloren“[10].
Sein Anliegen war es, Wege zu finden, diese Kluft zu überwinden und eine neue
gestalterische Einheit für die moderne Gesellschaft zu schaffen[10].
Die Weimarer Regierung und progressive Kräfte unterstützten die Idee einer
modernen Kunstschule. So wurde Weimar, die thüringische Kleinstadt die durch
Goethe und Schiller einst klassisches Kulturerbe repräsentierte, im Frühjahr
1919 vorübergehend zum politischen Zentrum der Republik – die
Nationalversammlung tagte dort – und zugleich zum Labor für kulturelle
Erneuerung[11].
Das Bauhaus profitierte anfangs von dem liberalen,
experimentierfreudigen Klima der frühen Weimarer Republik. Steinmeier betont,
dass das Bauhaus die Freiheit jener Demokratie brauchte[5]:
Ohne die Abschaffung der Zensur und die Förderung avantgardistischer Projekte
durch sozialdemokratisch geführte Landesregierungen wäre die Gründung einer
derart unkonventionellen Institution kaum möglich gewesen. Die thüringische
Regierung unter dem liberalen Staatsrat Hans von der Gabelentz und der
belgische Designer Henry van de Velde – bis 1915 Direktor der
Kunstgewerbeschule Weimar – ebneten den Weg, indem sie Gropius als Nachfolger
van de Veldes vorschlugen[12].
Das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach hatte bereits vor dem Krieg
eine fortschrittliche Kunstgewerbeschule, in der van de Velde moderne
Lehrmethoden eingeführt hatte[13].
Die Reform der Ausbildung in angewandter Kunst war also ein längerfristiges
Projekt, auf dem Gropius aufbauen konnte.
Gleichzeitig gab es von Anfang an auch Widerstände gegen die kulturelle
Moderne. Konservative und nationale Kreise standen avantgardistischen
Experimenten misstrauisch gegenüber. Sie lehnten abstrakte Kunst,
funktionalistische Architektur und die kosmopolitische Zusammensetzung der
Bauhaus-Lehrerschaft als „undeutsch“ oder „bolschewistisch“ ab. Diese
Spannungen eskalierten im Verlauf der 1920er Jahre und bildeten den Hintergrund
für spätere politische Angriffe auf das Bauhaus. Doch zunächst konnte die
Schule einige Jahre in Weimar relativ ungestört wirken – getragen von dem
Optimismus, mit Kunst und Design zur gesellschaftlichen Erneuerung beizutragen.
Gründung des
Bauhauses in Weimar (1919–1925)
Am 12. April 1919 wurde das Staatliche Bauhaus in Weimar
offiziell gegründet[12].
Es entstand durch die Zusammenlegung der bestehenden Hochschule für Bildende
Kunst und der Kunstgewerbeschule Weimar, die kriegsbedingt 1915
geschlossen worden war[12].
Auf Vorschlag von Henry van de Velde – der seine Direktorenstelle aus
politischen Gründen abgeben musste, da er Belgier war – wurde der erst
36-jährige Architekt Walter Gropius zum neuen Leiter ernannt[12].
Gropius gab der fusionierten Schule den programmatischen Namen Bauhaus,
der an das mittelalterliche Bauhütte-Prinzip anknüpfen sollte. Damit
betonte er die Ausrichtung auf das Bauen als gemeinsames Ziel aller
Künste.
In seinem Bauhaus-Manifest, veröffentlicht am 1. April
1919, formulierte Gropius die grundlegende Idee: „Das Endziel aller
bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!“ rief er aus – Architekten, Bildhauer
und Maler müssten wieder das Bauen in seiner Gesamtheit begreifen lernen[14][15].
Er forderte die Künste auf, gemeinsam den „neuen Bau der Zukunft“ zu
erschaffen, der Architektur, Plastik und Malerei zu einer Einheit verschmelzen
sollte[14].
Dieser zukünftige Bau – gedacht als eine Art Kathedrale der Moderne –
sollte als „kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“ gen Himmel
wachsen[14].
Gropius beschwor damit in pathetischen Worten eine utopische Vision: Alle
gestalterischen Disziplinen – bis hin zu Tanz, Theater und Musik – sollten im
Bauwerk der Zukunft integriert sein, analog zu einer Gesamtkunstwerk-Idee.
Grundlegend war auch die egalitäre Ausrichtung der neuen Schule. Im
Manifest erklärte Gropius: „Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem
Künstler und dem Handwerker“[16].
In der Praxis bedeutete dies, dass Studierende zunächst die handwerklichen
Grundlagen erlernen und Materialien begreifen sollten, bevor sie sich als
Künstler verstanden. Gropius rief dazu auf, „eine neue Zunft der Handwerker“ zu
bilden – ohne die Standesdünkel, die zwischen freier Kunst und angewandter
Kunst zur Kaiserzeit eine Mauer errichtet hatten[16].
Das Bauhaus sollte als Arbeitsgemeinschaft funktionieren, in der alle
gemeinsam und praktisch tätig sind[8].
Dieser Gemeinschaftsgedanke spiegelte sich in flachen Hierarchien und im Titel
der Lehrenden wider: Anstatt Professoren gab es Meister.
Walter Gropius bewies in den Anfangsjahren
Geschick und Weitblick bei der Auswahl seines Lehrerkollegiums. Er holte Lyonel
Feininger, Johannes Itten und Gerhard Marcks bereits 1919 als
Meister ans Bauhaus, 1921 folgten Paul Klee und Oskar Schlemmer,
1922 schließlich Wassily Kandinsky[17].
Viele dieser Künstler waren damals noch nicht berühmt – ihre internationale
Anerkennung stellte sich erst später heraus, wie Gropius retrospektiv bemerkte[18].
Dennoch waren sie bereits wichtige Vertreter der Avantgarde. Die Präsenz dieser
Persönlichkeiten machte das Bauhaus früh zu einem Anziehungspunkt der
europäischen Kunstszene. Anfang der 1920er Jahre entwickelte sich die Schule zu
einem Treffpunkt der Avantgarde und galt als Inbegriff von Weltoffenheit
und künstlerischer Vision[6].
Künstler und Intellektuelle aus dem In- und Ausland – etwa der Dadaist Tristan
Tzara oder der De-Stijl-Architekt Theo van Doesburg – besuchten
Weimar, hielten Vorträge oder arbeiteten inoffiziell mit den Bauhäuslern
zusammen[19].
Van Doesburg etwa gab ab 1921 in Weimar Privatkurse über moderne Gestaltung, da
Gropius ihm keine offizielle Meisterstelle geben wollte[19].
Sein Einfluss war dennoch beträchtlich: Insbesondere die Hinwendung zu einfachen
kubischen Formen im Bauhaus-Stil wird auf van Doesburgs Wirken
zurückgeführt[19].
So standen am Weimarer Bauhaus zunächst expressionistische und romantische
Tendenzen (etwa Johannes Ittens mystisch-vegetabilische Formensprache) neben
konstruktivistischen und geometrischen Ansätzen, die durch De Stijl und
russische Konstruktivisten inspiriert waren[20].
Diese Koexistenz spiegelt den Übergang in der frühen Weimarer Republik von der
emotionalen Aufbruchsstimmung des Expressionismus hin zur sachlichen,
industrieorientierten Haltung der Mitte der 1920er Jahre.
Die Lehre am Bauhaus war von Beginn an innovativ. Gropius
strukturierte die Ausbildung in zwei Stufen: einem einführenden Vorkurs
und der anschließenden Arbeit in den Werkstätten[17].
Im Vorkurs sollten alle Studierenden – unabhängig von ihrem späteren Fach – die
elementaren Grundlagen von Form, Farbe, Material und Komposition erlernen. Der
Maler Johannes Itten, ein charismatischer Pädagoge, leitete diesen
Vorkurs von 1919 bis 1922 und prägte ihn mit ganzheitlichen Methoden: Neben
Materialübungen gehörten auch Formenlehre, Atem- und Gymnastikübungen und
Orientierung an mystischen Lehren (Itten hing dem Mazdaznan-Kult an) zum
Curriculum. In den Werkstätten erfolgte dann die Spezialisierung. Jede
Werkstatt wurde von einem „Formmeister“ (Künstler) und einem „Handwerksmeister“
gemeinsam geführt[21] –
ein ungewöhnliches Tandem aus künstlerischer und handwerklicher Expertise. So
leitete z.B. der Bildhauer Gerhard Marcks zusammen mit einem Töpfermeister
die Keramikwerkstatt; der Maler Paul Klee arbeitete mit einem
Buchbindermeister in der Buchbinderei; Kandinsky wirkte in der
Wandmalerei-Werkstatt, Schlemmer in der Bühnenwerkstatt, usw.[22].
Diese duale Struktur sollte sicherstellen, dass Entwürfe künstlerisch
anspruchsvoll und handwerklich solide ausgeführt wurden. Der Spruch „Kunst
und Technik – eine neue Einheit“ wurde zum Motto, das bald auch die
Lehrphilosophie bestimmte[23].
In der Frühphase in Weimar mischten sich in den Bauhaus-Projekten noch
traditionelle und experimentelle Elemente. Ein Beispiel ist das Haus
Sommerfeld in Berlin (1920–22), ein Gemeinschaftsprojekt von
Bauhaus-Lehrern und -Schülern, bei dem Holzschnitzereien, farbige Glasfenster
und expressionistische Ornamente eine große Rolle spielten[20].
Solche Werke waren stilistisch noch dem Expressionismus verpflichtet und
zeigten eine „romantische Rückwendung“ zu vorindustriellen Handwerkstechniken[24].
Gropius selbst entwarf zusammen mit Adolf Meyer 1921/22 das Musterhaus „Am
Horn“ in Weimar, das zur Bauhaus-Ausstellung 1923 als Modellhaus
realisiert wurde[25][26].
Dieses kompakte Einfamilienhaus war der erste vollständig in Bauhaus-Regie
geplante Bau. In Architektur und Einrichtung war es konsequent von der Neuen
Sachlichkeit geprägt, insbesondere beeinflusst von der niederländischen
De-Stijl-Bewegung[25].
Klare kubische Formen, weiße Wände, farbige Akzente nach einem Farbkonzept von
Kandinsky/Schlemmer und eingebaute Möbel kennzeichneten das Haus Am Horn.
Während die Fachwelt das Projekt aufmerksam registrierte, reagierte ein Teil
der Öffentlichkeit reserviert: Solche neuartigen, sachlichen Bauten erschienen
vielen Zeitgenossen „kalt“, „karg“ und „maschinell“[27] –
Begrifflichkeiten, die noch öfter in der Kritik am Bauhaus auftauchen sollten.
Im Jahr 1923 kam es zu einer entscheidenden Weichenstellung: Unter dem
Druck der thüringischen Regierung, die Ergebnisse sehen wollte, organisierte
das Bauhaus im Sommer 1923 eine große Bauhaus-Ausstellung in Weimar[28].
Gropius, der zunächst meinte, es sei noch zu früh, um substanzielle Resultate
zu zeigen, bündelte die Kräfte der Schule, um das bisher Erreichte zu
präsentieren[28].
Vom 15. August bis 30. September 1923 öffnete die Ausstellung an
mehreren Standorten ihre Pforten[29].
Eröffnet wurde sie mit einer festlichen Bauhauswoche, die beim Publikum
und in der Presse großen Anklang fand[23].
Gropius selbst hielt den Eröffnungsvortrag mit dem programmatischen Titel „Kunst
und Technik – eine neue Einheit“, womit er die künftig verstärkte
Hinwendung des Bauhauses zur industriellen Formgebung ankündigte[23].
Es folgten Vorträge von Kandinsky („Über synthetische Kunst“) und vom
niederländischen Architekten J. J. P. Oud über moderne
niederländische Baukunst[30].
Oskar Schlemmers avantgardistisches Triadisches Ballett wurde im
Deutschen Nationaltheater aufgeführt, es gab Konzerte mit zeitgenössischer
Musik (u.a. von Paul Hindemith) und experimentelle Lichtspiel-Vorführungen von
Bauhaus-Schüler Ludwig Hirschfeld-Mack[31].
Die Ausstellung zeigte Arbeiten aller Werkstätten und als Herzstück das
eingerichtete Haus Am Horn[32],
das als begehbares Manifest des neuen Wohnens diente. Begleitend
veröffentlichte das Bauhaus ein Manifest/Begleitbuch „Staatliches Bauhaus in
Weimar 1919–1923“ in 2600 Exemplaren (davon 300 in Englisch und 300 in
Russisch), gestaltet von Herbert Bayer[33].
Die erfolgreiche Ausstellung bewies der Welt, dass das Bauhaus tragfähige Ideen
und Produkte hervorgebracht hatte. Sie markiert zugleich einen Wandel in der
Bauhaus-Philosophie: Kunst und Technik sollten fortan verbunden gedacht
werden, weg von der rein handwerklich-romantischen Phase hin zu einer Offenheit
für Industrie und Massenproduktion[34].
Doch trotz des Erfolgs wuchsen in Weimar die politischen
Schwierigkeiten. Bei der Landtagswahl in Thüringen im Februar 1924 gewannen
rechte, konservative Parteien an Einfluss. Der neue konservative Innenminister Richard
Leutheußer (DVP) betrachtete das Bauhaus mit Skepsis und halbierte noch
1924 die staatliche Unterstützung um 50 %[35].
Diese drastische Mittelkürzung machte die Weiterführung in Weimar fast
unmöglich. Gropius und sein Meisterrat erhielten jedoch Angebote anderer
Städte, die das Bauhaus gerne aufnehmen würden – so z.B. vom Kölner
Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der allerdings dann eine eigene
Werkschule gründete[36].
Schließlich entschieden sich Gropius und die Bauhäusler 1925 zum Umzug nach Dessau,
eine industriell geprägte Stadt in Anhalt[37].
Dessau bot ideale Bedingungen: Dort regierte eine stabile Koalition aus
Sozialdemokraten und Liberalen, die der Moderne aufgeschlossen gegenüberstand[38].
Der fortschrittliche Bürgermeister Fritz Hesse lud das Bauhaus ein und
stellte Mittel für Neubauten bereit, unterstützt vom Flugzeugindustriellen Hugo
Junkers, der als Förderer moderner Architektur galt[38].
Gropius erstritt gerichtlich das Recht, den etablierten Namen Bauhaus
weiterzuführen[39] –
die Weimarer Regierung untersagte nämlich den Zurückbleibenden, diese
Bezeichnung weiter zu verwenden, um Verwechslungen auszuschließen[40].
Im Frühjahr 1925 verließen Gropius, die Mehrheit der Studierenden und fast alle
Meister Weimar. Einige Lehrkräfte blieben allerdings zurück oder suchten andere
Wege: So ging etwa Gropius’ enger Mitarbeiter Adolf Meyer (kein Verwandter von
Hannes Meyer) nach Frankfurt zum Projekt Neues Frankfurt[41],
und der Grafiker Karl Peter Röhl wechselte an die Städelschule in Frankfurt[41].
Der Wegzug des Bauhauses markierte das Ende der Weimarer Phase – einer Phase
des Experimentierens und Suchens, die den Grundstein legte für das, was in
Dessau folgte.
Das Bauhaus in Dessau
(1925–1932)
Dessau wurde zur neuen Heimstatt des Bauhauses
und zur Bühne seiner größten Entfaltung. Am 21. März 1925 begannen die
Bauarbeiten für ein eigens geplantes Schulgebäude, das Gropius mit seinem
Architekturbüro entwarf[42]. Bereits am 4. Dezember 1926 konnte das neue Bauhausgebäude in
Dessau feierlich eingeweiht werden[43]. In diesem ikonischen Bau – mit seinem verglasten Werkstattflügel, den
asymmetrisch angeordneten Kuben und dem berühmten Bauhaus-Schriftzug an der
Fassade – verwirklichte die Schule programmatisch ihre architektonischen
Vorstellungen[44]. Gleichzeitig entstanden in unmittelbarer Nachbarschaft vier
sogenannte Meisterhäuser als Wohn- und Arbeitshäuser für die Lehrer,
ebenfalls nach Gropius’ Entwürfen[45]. Bauhausgebäude und Meisterhäuser gelten heute als Hauptwerke der
modernen Architektur der Zwischenkriegszeit und als sichtbares Manifest des Neuen
Bauens[44].
Bauhausgebäude in Dessau (Aufnahme 2016). Der Gebäudekomplex von Walter
Gropius mit seinem gläsernen Werkstattflügel und dem markanten
„Bauhaus“-Schriftzug gilt als Ikone der modernen Architektur und gehört seit
1996 zum UNESCO-Welterbe[46][47].
Mit dem Umzug nach Dessau erhielt das Bauhaus den Status einer Hochschule
für Gestaltung (anstatt wie zuvor einer staatlichen Kunstgewerbeschule)[48]. Dies ging einher mit Veränderungen in Struktur und Programm. In
Dessau konnte das Bauhaus seine in Weimar entwickelten Ideen von der Einheit
von Kunst und Technik voll entfalten[48]. Hier begann die systematische Zusammenarbeit mit der Industrie: Schon
1925/26 entwarfen Bauhaus-Designer die ersten Möbel aus Stahlrohr, einem
neuen Material, das sich als Inbegriff moderner Ästhetik etablieren sollte[49]. Berühmt wurde der Clubsessel B3 (später als Wassily-Chair
bekannt) von Marcel Breuer, ein Freischwinger-Stuhl aus vernickelten
Stahlrohren und Ledergurten, den Breuer 1925 entwickelt hatte[49]. Fast gleichzeitig experimentierten auch Mart Stam und Ludwig
Mies van der Rohe mit freischwingenden Stahlrohrstuhl-Entwürfen[49]. Solche Möbel wirkten revolutionär leicht und schnörkellos und sollten
industriell in Serie gefertigt werden – ein Bruch mit traditioneller
Möbelbaukunst. Auch in anderen Bereichen wurden Bauhaus-Entwürfe mit
industriellen Partnern realisiert: Die Metallwerkstatt (unter László
Moholy-Nagy und später Marianne Brandt) kooperierte ab 1926 mit den Lampenfirmen
Schwintzer & Graeff sowie Körting & Mathiesen (Kandem) in Leipzig[50]. Gemeinsam entwickelte man funktionale Tisch- und Stehleuchten
für die Serienproduktion. Eine davon, die verstellbare „Kandem“-Nachttischlampe
(Modell von Brandt/Bredendieck 1928), wurde in großer Stückzahl verkauft und
von anderen Herstellern imitiert[51]. Auch die Weberei fertigte in Kleinserie Stoffe und Teppiche,
die über Vertriebsfirmen angeboten wurden. Diese gezielte Orientierung auf Gebrauchsgegenstände
für den Alltag entsprach dem neuen Credo des Bauhauses in Dessau, das
Hannes Meyer später mit „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ auf den Punkt
brachte[52].
Zur besseren Vermittlung seiner Ideen startete das Bauhaus Dessau auch
publizistische Aktivitäten. Ab 1925 gaben Gropius und Moholy-Nagy die Bauhausbücher
heraus, eine Buchreihe, die bis 1930 insgesamt 14 Bände umfasste[53]. In dieser Reihe erschienen Schriften der Meister (z.B. Punkt und
Linie zu Fläche von Kandinsky, Pedagogisches Skizzenbuch von Klee, Die
Neue Typographie von Jan Tschichold, Bauhausbauten Dessau von
Gropius, Malerei, Fotografie, Film von Moholy-Nagy u.a.), die das theoretische
Fundament der Schule dokumentierten. Zudem wurde ab Dezember 1926
vierteljährlich die Zeitschrift bauhaus herausgegeben[53], um aktuelle Arbeiten und Ideen einem größeren Leserkreis bekannt zu
machen.
Das neue Bauhausgebäude selbst diente als Lehrstück moderner
Gestaltung: Die Ausstattung wurde weitgehend in den eigenen Werkstätten
hergestellt[54]. Die Möbel und Einbauten – etwa die Stühle für die Aula – stammten aus
der Tischlerei unter Marcel Breuer[55]. Die Beleuchtungskörper für Klassenzimmer und Büros wurden zum großen
Teil von Marianne Brandt in der Metallwerkstatt entworfen[56]. Möbel- und Vorhangstoffe kamen aus der Weberei unter Gunta Stölzl[57], Beschilderung und Beschriftung lieferte die
Druckerei/Reklamewerkstatt, und die Innenanstriche entwickelte die
Wandmalereiwerkstatt[58]. So demonstrierte das Gebäude selbst die angestrebte Synthese der
Künste: Architektur, Innenausbau, Möbeldesign, Typografie und Farbgestaltung
griffen ineinander. Die offene, lichtdurchflutete Architektur – z.B. die
berühmte Vorhangfassade des Werkstattflügels – stand symbolisch für Transparenz
und Fortschritt.
Im April 1928 kam es zu einem bedeutenden Führungswechsel: Walter
Gropius trat von der Leitung des Bauhauses zurück[52]. Offiziell begründete er dies mit der Absicht, sich wieder verstärkt
eigenen Architekturaufträgen widmen zu wollen[59] – tatsächlich spielte auch eine gewisse Amtsmüdigkeit und der Druck
kontinuierlicher Angriffe eine Rolle. Gropius empfahl dem Dessauer Stadtrat als
Nachfolger den Schweizer Architekten Hannes Meyer, der seit 1927 die neu
geschaffene Architekturabteilung des Bauhauses leitete[60]. Meyer übernahm zum 1. April 1928 die Direktion[52]. Mit ihm hielt eine deutlich stärker sozial orientierte und politisch
linksstehende Position Einzug ins Bauhaus. Hannes Meyer formulierte unverblümt
die Devise „Volksbedarf statt Luxusbedarf“, was bedeutete, dass das
Bauhaus sich auf die wirklichen Bedürfnisse der breiten Bevölkerung
konzentrieren solle statt auf elitäre Designobjekte[52]. Dementsprechend forcierte Meyer die Entwicklung praktischer,
erschwinglicher Produkte in den Werkstätten[61]. Unter seiner Leitung entstanden z.B. standardisierte Möbelprogramme
(Typenmöbel) und Hausrat. Allerdings zeigte sich, dass wirtschaftlich gesehen nur
wenige Werkstätten nennenswerte Einnahmen erzielten, nämlich vor allem die
Weberei (mit Stoffverkäufen) und die Töpferei[61]. Die anderen Werkstätten – Metall, Tischlerei, Bauatelier – trugen
trotz intensiver Bemühungen kaum zum Etat bei[61]. Dies verweist auf ein Spannungsfeld: So innovativ die Entwürfe waren,
die Umsetzung in Massenproduktion und die Erschwinglichkeit für den
„Volksbedarf“ blieben begrenzt.
Meyer veränderte auch die pädagogische Ausrichtung: Er baute die Architekturausbildung
weiter aus (die unter Gropius erst im Entstehen war)[60]. Tatsächlich wurde am Bauhaus erst 1927 eine formale
Architekturabteilung eingerichtet, und Meyer war ihr erster Leiter[60]. Er legte Wert auf Kollektivarbeit und Teamprojekte – weg vom
Geniegedanken einzelner Künstler. Ein Bauhaus-Schüler, Gustav Hassenpflug,
erinnerte: „Er (Meyer) trat für die Kollektivarbeit ein und schmähte sehr
aggressiv den Formalismus... Sein unbestreitbares Verdienst ist die Aktivierung
der Produktivarbeit der Werkstätten und die Zusammenarbeit mit der Industrie.“[62]. Meyer war Mitglied der KPD-nahen „Architektenring“-Gruppe und scheute
sich nicht, seine linkssozialistischen Positionen offenzulegen[52]. Unter seiner Ägide beteiligte sich das Bauhaus verstärkt an
städtebaulichen und sozialen Bauprojekten: beispielsweise plante man die Bundesschule
des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau bei Berlin
(gebaut 1928–1930 unter Meyer’s Leitung) – ein funktionaler Internatskomplex,
der ideale Schulungsbedingungen für Gewerkschafter bieten sollte. In Dessau
selbst initiierte Gropius noch, ausgeführt dann durch Meyer, die Laubenganghäuser
in der Siedlung Dessau-Törten (1929–30) als sozialen Wohnungsbau mit minimal
ausgestatteten Wohnungen. Allerdings zeigte sich hier ein Problem: Die
Bauhaus-Architektur war nicht unbedingt billig. Die von Gropius geplanten
Reihenhäuser in Törten sollten die Wohnungsnot lindern. „Das Bauhaus hatte
die Unterstützung der Sozialdemokratie, weil es sagte, wir lösen eure
Wohnungsfrage und produzieren billige Wohnungen“, erläutert der
Architekturhistoriker Philipp Oswalt[63]. „Dann stellt sich heraus, das, was Gropius da baut, ist
15 Prozent teurer als das normale Haus. Und das führt eigentlich zu einem
Bruch mit der Sozialdemokratie.“[64]. Dieser Befund verdeutlicht eine zentrale Kritik: Trotz hehrer
Absichten gelang es dem Bauhaus oft nicht, wirklich kostengünstige Lösungen für
den Massenbedarf zu liefern. Die Siedlung Törten war architektonisch modern,
aber eben nicht günstiger als konventioneller Wohnungsbau[65]. Dies führte zu Spannungen mit den politischen Unterstützern vor Ort
und zeigt die Diskrepanz zwischen avantgardistischem Anspruch und ökonomischer
Realität.
In kultureller Hinsicht entwickelte sich das Bauhaus unter Meyer weg
von der ursprünglich breit gefächerten Orientierung (inklusive Bühnenkunst,
Malerei etc.) hin zu einem mehr technisch-wissenschaftlichen Fokus.
Meyers Mantra war die funktionale, empirisch begründete Gestaltung: Design- und
Architekturentscheidungen sollten aus den objektiven Bedürfnissen der
Nutzer und aus materialgerechten, zweckbestimmten Überlegungen abgeleitet sein.
Viele der eher künstlerisch orientierten Meister verließen in dieser Zeit das
Bauhaus – teils freiwillig, teils infolge interner Konflikte. So ging z.B.
László Moholy-Nagy 1928 nach Berlin, Herbert Bayer 1928 nach Berlin, und 1929 schied
auch Gunta Stölzl aus (sie hatte 1927 als erste und einzige Frau eine
Meisterstelle – Leitung der Weberei – erhalten)[66]. Die personelle Zusammensetzung veränderte sich also deutlich.
Unterdessen verschärfte sich die politische Großwetterlage. In Dessau
regierte zwar noch eine tolerante Stadtregierung, aber auch hier formierte sich
Widerstand gegen das Bauhaus. Viele Bürger und insbesondere konservative Kreise
sahen die Schule als Sammelbecken von Linken und Ausländern. Tatsächlich hatten
einige Studierende und Jungmeister enge Kontakte zur KPD, es gab eine
Bauhaus-Theatergruppe mit politisch-satirischen Stücken etc. Die Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), die ab Ende der 1920er massiv Zulauf
bekam, hetzte gezielt gegen die „Bolschewistenbrut“ am Bauhaus. Im städtischen
Wahlkampf in Dessau 1931 forderte ein NSDAP-Flugblatt an erster Stelle die
sofortige Einstellung aller städtischen Gelder für das Bauhaus, die Entlassung
aller „ausländischen“ Meister und sogar den Abriss des Schulgebäudes[67][68]. Wörtlich hieß es: „...daß deutsche Volksgenossen hungern, während
Ausländer in überreichlichem Maße aus den Steuergroschen des darbenden Volkes
besoldet werden... Der Abbruch des Bauhauses ist sofort in die Wege zu leiten.“[69]. Dieses Pamphlet zeigt die nationalistische, fremdenfeindliche und
anti-moderne Stoßrichtung der Nazi-Propaganda. Zwar konnte 1931 ein erster
Versuch der Nazis im Dessauer Stadtrat, das Bauhaus zu schließen, noch knapp
abgewehrt werden[70], doch der Druck nahm zu.
Schließlich geriet Hannes Meyer selbst ins Visier. Seine offenen
Sympathien für den Sozialismus machten ihn angreifbar. Im Sommer 1930 sah sich
der Dessauer Oberbürgermeister gezwungen, Meyer als Direktor zu entlassen –
offiziell wegen „kommunistischer Machenschaften“[71]. Diese Entlassung am 1. August 1930 war politisch motiviert und
bedeutete einen herben Einschnitt. Hannes Meyer verließ mit einer Gruppe treuer
Schüler Deutschland Richtung Sowjetunion, um dort in der Stadtplanung zu
arbeiten[72]. Damit endete abrupt die „linke Phase“ des Bauhauses.
Ludwig Mies van der Rohe, einer der führenden
Architekten der Moderne, übernahm im Anschluss die Leitung des Bauhauses am
1. September 1930[73]. Mies – kein Bauhaus-Gründer der ersten Stunde, aber seit 1928 als
Dozent für Architektur am Bauhaus tätig – vertrat ästhetisch eine eher
puristische, elegante Moderne und politisch eine unauffällig konservative
Haltung. Er war entschlossen, das Bauhaus aus den Schusslinien der Politik
herauszuhalten und den Unterricht zu depolitisieren[74]. Um die Nazis nicht weiter zu provozieren, rückte Mies die
Architektur ins Zentrum der Ausbildung, schloss mehrere
Produktionswerkstätten (die Weberinnenwerkstatt blieb aber als Klasse
bestehen) und verordnete der Hochschule eine strikte politische Neutralität[75]. Die Studierenden mussten sich nach Meyers Entlassung neu
immatrikulieren, um „Unruhestifter“ auszusieben[74]. Unter Mies’ Regie wurde das Curriculum verschulter und konzentrierte
sich hauptsächlich auf Bauplanung, Innenraumgestaltung und architektonische
Theorie – ein Ansatz ähnlich einer konventionellen Architekturschule. Viele
künstlerische Experimente (Theater, Fotografie, freie Malerei) traten
demgegenüber in den Hintergrund.
Doch trotz aller Anpassungsversuche konnte Mies die äußeren Umstände
nicht kontrollieren. Bei den Gemeinderatswahlen in Dessau im November 1931
wurde die NSDAP stärkste Kraft[76]. Im Stadtrat stellten die Nationalsozialisten im Frühjahr 1932 den
Antrag auf endgültige Schließung des Bauhauses – und diesmal fanden sie eine
Mehrheit[77]. SPD und KPD waren inzwischen geschwächt; die SPD-Räte enthielten
sich, nur die Kommunisten stimmten gegen die Schließung[73]. Am 22. August 1932 beschloss der Dessauer Rat die Schließung
des Bauhauses zum Ende September 1932[78]. Damit war die Ära Dessau abrupt beendet. Mies van der Rohe
arrangierte daraufhin einen privaten Neuanfang in Berlin: Er mietete eine
leerstehende ehemalige Telefonfabrik in Berlin-Steglitz (Birkbuschstraße) und
versuchte, das Bauhaus auf eigene Rechnung als Privatschule
weiterzuführen[79]. Mies erinnerte sich später, dass ihm diese improvisorische Lösung in
Berlin fast besser gefiel: „Es gefiel uns da eigentlich besser als im
Bauhaus, es war nicht so prätenziös, hinter einem schmutzigen, verfallenen
Bretterzaun. Wer da zu uns kam, der wollte wirklich zu uns kommen.“[79]. In der Tat waren die Studierenden, die Mies nach Berlin folgten, eine
kleine, hochmotivierte Gruppe. Doch die politische Lage 1932/33 war alles
andere als günstig für solche Vorhaben.
Berlin und
das Ende des Bauhauses (1932–1933)
Die Berliner Phase des Bauhauses war nur ein kurzes Intermezzo, das
letztlich vom Machtantritt der Nationalsozialisten überschattet wurde. Im
Oktober 1932 nahm das Bauhaus Berlin mit stark reduzierter Besetzung in
einem Fabrikgebäude in Berlin-Lankwitz seine Tätigkeit auf[73][79].
Mies van der Rohe finanzierte die Schule teilweise aus eigener Tasche und
versuchte weiterhin, durch politische Zurückhaltung ein Überleben zu sichern.
Doch nach der Reichstagswahl im März 1933 und der Machtübernahme Hitlers
am 30. Januar 1933 verschlechterten sich die Bedingungen dramatisch.
Bereits Anfang April 1933, wenige Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler,
kam es zum direkten Zugriff der neuen Machthaber: Die Gestapo führte am
11. April 1933 im Bauhaus Berlin eine Hausdurchsuchung durch[80].
Mies van der Rohe berichtete, er sei an jenem Morgen gekommen und habe das
Gebäude von Polizei umstellt vorgefunden: „Halt!“ riefen die Posten.
Mies protestierte: „Was bedeutet das? Es ist meine Schule, die gehört mir!“,
doch man ließ ihn nicht gewähren[81].
Die Räume wurden versiegelt, sämtliche anwesenden Studierenden vorübergehend
festgenommen[82].
Mies selbst wurde stundenlang verhört[82].
Dieser einschüchternde Akt führte dazu, dass die noch verbliebenen
Bauhaus-Lehrer in einer Krisensitzung am 20. Juli 1933 die Selbstauflösung
des Bauhauses beschlossen[82],
um einer drohenden offiziellen Schließung und möglichen weiteren Repressionen
zuvorzukommen. Damit endete die institutionelle Geschichte des Bauhauses.
Es sei angemerkt, dass Mies van der Rohe anfänglich versuchte, mit dem
NS-Regime zu arrangieren. In der Hoffnung, sein Lebenswerk zu retten,
zeigte er eine gewisse Bereitschaft zu Zugeständnissen: Er trat 1933 der Reichskulturkammer
bei und unterzeichnete sogar einen Wahlaufruf für Hitler[83].
Doch diese Loyalitätsbekundungen nützten nichts; die Nationalsozialisten ließen
keinen Raum für die Weiterführung einer als „entartet“ geltenden Institution.
Mies erkannte bis 1938, dass es für ihn in Deutschland keine Zukunft gab, und
emigrierte schließlich in die USA[83] –
den Weg, den Gropius und Breuer bereits 1934 bzw. 1937 gegangen waren.
Die Zerschlagung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten war ein
gezielter Akt ideologischer Kulturpolitik. Das Bauhaus stand in diametralem
Gegensatz zur NS-Ideologie in Kunst und Architektur. Hitler und seine
Gefolgsleute propagierten einen neoklassizistischen, an heroischer
Monumentalität orientierten Baustil sowie eine figurative,
völkisch-traditionelle Kunstauffassung. Das Bauhaus hingegen repräsentierte Internationalität,
Abstraktion, Rationalismus – in den Augen der Nazis alles Ausdruck eines
angeblich „kulturbolschewistischen“ Verfalls. Viele Bauhausangehörige waren
zudem politisch linksstehend oder jüdischer Herkunft, was sie doppelt zur
Zielscheibe machte. Mindestens 21 Künstlerinnen und Künstler des Bauhauses
wurden während der NS-Herrschaft in Konzentrationslagern oder Gefängnissen
ermordet[84].
Zu den Opfern zählten etwa der Architekt Friedl Dicker-Brandeis
(ermordet 1944 in Auschwitz) oder der Grafiker Franz Ehrlich, der zwar
überlebte, aber im KZ Buchenwald interniert war – wo er ironischerweise im
Lagerauftrag Schriften im Bauhaus-Stil entwerfen musste[85][86].
Einige Bauhaus-Mitglieder traten allerdings auch der NSDAP bei oder
kooperierten – insgesamt 188 ehemalige „Bauhäusler“ waren Parteimitglieder, 15
in der SA und 14 in der SS[87].
Diese Zahlen überraschen und mahnen, dass die individuelle Haltung der
Bauhaus-Absolventen in der NS-Zeit differenziert zu betrachten ist. Manche wie
Mies oder der Designer Herbert Bayer versuchten anfangs, sich mit dem
Regime zu arrangieren (Bayer arbeitete einige Jahre in Deutschland weiter und
gestaltete z.B. Ausstellungen für die Nazis, bevor er 1938 emigrierte). Andere
gingen innere Emigration oder ins Exil.
Trotz vereinzelter Mitläufer: Die Ideen des Bauhauses galten den
Nazis als gefährlich und wurden gnadenlos unterdrückt. Moderne Kunst insgesamt
wurde in Deutschland als „entartet“ verfemt. Die Schließung des Bauhauses war
somit Teil der Gleichschaltung und der Kulturpolitik, die jede
avantgardistische Tendenz ausmerzen wollte. Bereits vor 1933 hatten reaktionäre
Künstler wie Paul Schultze-Naumburg das Bauhaus in Hetzschriften
attackiert. Schultze-Naumburg, der 1932 mit dem NS-Ministerpräsidenten Alfred
Freyberg das Dessauer Bauhausgebäude inspizierte[88],
geißelte die Bauhaus-Ästhetik als fremd und degeneriert. In seinem Buch „Kunst
und Rasse“ (1928) setzte er moderne Kunst mit geistiger Erkrankung gleich.
Solches Gedankengut führte letztlich zur Ächtung und Verfolgung der
Bauhaus-Anhänger in Deutschland nach 1933.
Leitidee und
Pädagogik am Bauhaus
Die ideellen Grundlagen und die pädagogische Praxis des Bauhauses waren
ebenso revolutionär wie seine Gestaltungsergebnisse. Walter Gropius’
Leitidee war die Aufhebung der Trennung zwischen bildender und angewandter
Kunst, zwischen Künstler und Handwerker[16]. Das Bauhaus-Konzept zielte darauf ab, eine neue Generation von
Gestaltern auszubilden, die sowohl künstlerisch kreativ als auch
handwerklich-technisch versiert sein sollten. Kunst sollte nicht länger
weltfremd im „Salon“ existieren, sondern in den Alltag einziehen und
durch solide handwerkliche Arbeit geerdet sein[14]. Gropius sprach von einer neuen „Zunft der Handwerker“, die
ohne die hierarchische Anmaßung der alten Akademien auskommen müsse[16]. Dieser egalitäre Ansatz manifestierte sich darin, dass am Bauhaus alle
Studierenden das gleiche Fundament durchlaufen sollten – unabhängig davon,
ob sie Maler, Architekten, Bildhauer oder Designer werden wollten.
Der Vorkurs war das zentrale Element dieses
Ausbildungsmodells. Wie erwähnt, vermittelte er die Grundlagen des Gestaltens: Materialstudien,
Form- und Farbübungen, Kompositionslehre, Rhythmik. Johannes Itten
entwickelte ab 1919 eine neuartige Didaktik, in der die Schüler z.B. lernen
mussten, verschiedene Materialien (Holz, Stoff, Glas, Metall etc.) haptisch und
sensorisch zu erfahren und ihre Eigenschaften zu beschreiben. Formübungen
bestanden darin, Grundformen (Kreis, Quadrat, Dreieck) variantenreich zu
kombinieren, Hell-Dunkel-Kontraste zu erkunden und Farbwirkungen zu erproben.
Itten legte Wert auf das subjektive Erleben – die berühmten „Itten'schen
Farbkreise“ sollten auch emotionale Assoziationen wecken. Nach Ittens Weggang
1923 übernahm László Moholy-Nagy den Vorkurs und führte eine mehr
sachlich-analytische Methodik ein. Moholy-Nagy integrierte Elemente der
Wahrnehmungspsychologie und des „New Vision“ (neue Sehen, inklusive Fotografie)
in den Unterricht. Später (ab 1928) leitete Josef Albers den Vorkurs,
der weiterhin Herzstück der Ausbildung blieb und zum Vorbild für Kunst- und
Designschulen weltweit werden sollte[89][90]. Die Idee, dass alle Schüler zunächst unvoreingenommen die Basics von
Form, Farbe, Material und Komposition erlernen – heute würde man es Grundlagenseminar
Design nennen – ist ein direkter Nachfahre des Bauhaus-Vorkurses.
Die Werkstätten stellten die zweite Phase der
Ausbildung dar. Das Bauhaus verfügte über eine Reihe von Werkstätten, die
produktorientiert arbeiteten: Tischlerei (Möbel), Metallwerkstatt
(Leuchten, Kleinmetall), Töpferei (Keramik, allerdings in Dornburg bei
Weimar unter Marcks und später eingestellt), Weberei (Textildesign), Buchbinderei/Druckerei
(Grafik, Typografie), Wandmalerei (Innenausstattung, farbliche
Gestaltung von Räumen), Bildhauerei (Holz- oder Steinbildhauerarbeiten,
zeitweise) sowie eine Bühnenwerkstatt (Experimentelles Theater unter
Oskar Schlemmer). Jede Werkstatt wurde, wie zuvor beschrieben, von einem Formmeister
(Künstler) und einem Handwerksmeister gemeinsam geleitet[21]. Die Lernenden (Gesellen und Lehrlinge) arbeiteten an realen Aufträgen
oder entwickelten Prototypen unter Anleitung. Das Ziel war eine Ausbildung
durch Praxis: „lernen durch machen“. Dabei sollten die Studierenden
nicht einfach den Stil des Lehrers kopieren, sondern eigenständige Lösungen
finden. Gropius betonte später, man habe versucht, „eine Wissenschaft des
Designs aufzubauen, die sich aus den objektiven Dingen des menschlichen Lebens
zusammensetzt, und dieses Material dem Einzelnen zu übergeben, dass er dann
daraus etwas für sich selbst aufbaut“[91]. Dieses Zitat macht deutlich, dass es Gropius um eine Art Gestaltungsforschung
ging: Die Bauhauspädagogik sollte systematisch die Gesetze der Gestaltung erkunden
(etwa Statik, Ergonomie, Farblehre, Psychologie) und den Schüler befähigen,
daraus eigenständig schöpferisch tätig zu werden, anstatt bloß Vorbilder zu
imitieren[91].
Die Bauhausmeister entwickelten teils eigene Lehrschriften und
Theorien: Wassily Kandinsky publizierte 1926 seine Analyse „Punkt und
Linie zu Fläche“, in der er die Grundlagen einer abstrakten Formen- und
Linienlehre darlegte. Paul Klee verfasste das „Pädagogische
Skizzenbuch“ (1925)[92], worin er seine Unterrichtsnotizen zu Form- und Gestaltungsproblemen
zusammenfasste (beispielsweise die berühmte „Linie, die einen Spaziergang
macht“ als Beschreibung des kreativen Prozesses einer Zeichnung). Diese
Schriften beeinflussten Generationen von Kunstpädagogen. In den technischen Bereichen
schuf beispielsweise Joost Schmidt Grundlagenwerke zur Typografie und
Layoutgestaltung, und Hannes Meyer schrieb 1928 programmatische Thesen
zur architektonischen Ausbildung („wissenschaftliche Architektur“). Die
Vielfalt der Ansätze war groß, doch alle teilten die Überzeugung, dass
Gestalten lehr- und lernbar sei – und zwar mittels moderner,
interdisziplinärer Methoden, die Kunst mit Erkenntnissen aus Psychologie,
Physik, Soziologie verbinden.
Ein weiterer pädagogischer Aspekt am Bauhaus war die Betonung von Werkstattarbeit
statt akademischem Unterricht. Es gab kaum traditionelle Vorlesungen;
vielmehr arbeiteten Lehrer und Schüler gemeinsam an Projekten. Die Hierarchie
war relativ flach – man sprach sich mit du an (was in Deutschland damals
unüblich war in Lehrer-Schüler-Verhältnissen) und pflegte einen
kameradschaftlichen Umgang. Die Bauhaus-Feste, legendäre Masken- und
Themenfeste, bei denen alle Werkstätten fantasievollen Raumschmuck, Kostüme und
experimentelle Beiträge lieferten, stärkten den Gemeinschaftsgeist. Diese Feste
(Metallisches Fest, Weißes Fest, Drachenfest etc.) hatten durchaus pädagogische
Dimension, indem sie Kreativität und interdisziplinäre Zusammenarbeit förderten
– und zugleich den Ruf des Bauhauses als hippe Avantgarde-Kommune begründeten.
Die Rolle der Frauen in der Ausbildung war ein spezielles Thema
(das im nächsten Kapitel detailliert behandelt wird). Hier sei aber erwähnt,
dass Gropius zu Beginn ausdrücklich verkündete, es würden „Personen jeden
Alters und Geschlechts“ aufgenommen, sofern begabt[93]. Tatsächlich waren in den Anfangsjahren über 30–40 % der
Studierenden Frauen – ein damals sensationell hoher Anteil[93]. Allerdings lenkte man die meisten Frauen in bestimmte Werkstätten
(v.a. Weberei), was faktisch eine Segregation bedeutete. Insofern entsprach die
Praxis nicht vollends der egalitären Theorie. Trotzdem zählte das Bauhaus zu
den ersten Institutionen, die Frauen den gleichberechtigten Zugang zu einer
Kunsthochschule erlaubten[93].
Zusammenfassend war die Bauhaus-Pädagogik gekennzeichnet durch
Experimentierfreude, Ganzheitlichkeit und Praxisbezug. Sie verband
künstlerische Intuition mit analytischem Denken, traditionelles Handwerk mit
Industrieästhetik. Viele heutige Designschulen basieren auf diesem Modell des
Grundlagensemesters und projektorientierten Lernens in Studios. Das Bauhaus hat
damit nicht nur Formen und Produkte hervorgebracht, sondern auch ein bis heute
wirksames Lehrmodell für kreatives Arbeiten etabliert[90].
Architektur am Bauhaus
Die Architektur spielte im Programm des Bauhauses eine zentrale, wenn
auch zunächst theoretische Rolle – Gropius proklamierte ja: „Das Endziel
aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau“[15]. Interessanterweise gab es aber in den frühen Weimarer Jahren noch
keine vollwertige Architekturausbildung. Zwar richtete Gropius 1920 eine
„Bauabteilung“ ein, geleitet von seinem Mitarbeiter Adolf Meyer, doch
systematischen Unterricht im Entwerfen von Gebäuden gab es vorerst nicht[94]. Gropius selbst entwarf in dieser Zeit bereits Bauten (z.B. das
Denkmal für die Märzgefallenen in Weimar 1921 oder Haus Sommerfeld), aber als
Lehrfach startete Architektur am Bauhaus erst in Dessau: 1927 übernahm
Hannes Meyer die neu geschaffene Architekturabteilung[60]. Von da an wurde die Architekturausbildung intensiviert, und unter
Mies van der Rohe (ab 1930) rückte sie ins Zentrum.
Trotz des zögerlichen Beginns hat das Bauhaus einige bedeutende architektonische
Werke hervorgebracht, direkt oder indirekt. An erster Stelle stehen die
eigenen Schulgebäude: das Bauhausgebäude in Dessau (1925/26) mit seinen
funktionalen Baukörpern, Flachdächern, dem ausgeprägten Flügelbau für die
Werkstätten und den viel zitierten Vorhangfassaden aus Glas[44]. Dieser Bau gilt als wegweisend für die moderne Architektur und als
Ikone des Internationalen Stils[44]. Charakteristisch sind die asymmetrische Komposition der Bauvolumen,
die Betonung der horizontalen Linien (etwa durch die durchgehenden
Fensterbänder im Ateliertrakt), das Fehlen von Ornamenten und die sichtbare
Materialehrlichkeit (Beton, Stahl und Glas dominieren). Gropius demonstrierte
hier architektonisch Prinzipien wie Form folgt Funktion und eine klare
Trennung der Funktionen in unterschiedlichen Baukörpern (Werkstätten,
Unterrichtsräume, Ateliers, Verwaltung sind getrennt gruppiert). Auch innen
setzte das Gebäude Standards: Offene Grundrisse, eingebaute Möbel, die
Verwendung der neuen Bauhaus-Möbel und -Leuchten, farbige Wandakzente nach
einem rationalen Farbschema (entwickelt von Hinnerk Scheper) – all das machte
das Bauhausgebäude zum Gesamtkunstwerk der Moderne.
Ein weiteres Schlüsselwerk sind die Meisterhäuser in Dessau
(1925–26): vier kubische Doppelhäuser, in denen Gropius, Moholy-Nagy,
Feininger, Klee, Kandinsky, Schlemmer und ihre Familien wohnten. Diese weiß
verputzten Flachdachhäuser setzten den Anspruch des Neuen Bauens im Wohnungsbau
um. Jeder Zierrat fehlt, die Grundrisse sind offen und großzügig, die Fassaden
durch Balkone, Fensterbänder und Vorsprünge plastisch gegliedert. Die
Meisterhäuser wurden zum Vorbild für modernes Siedlungsdesign und zeigen
zugleich, dass die Bauhaus-Architektur nicht nur für Fabriken oder Schulen
gedacht war, sondern auch ein neues Wohnen propagierte – hell, klar
strukturiert, funktionsgerecht.
Bereits in Weimar gab es mit dem Haus Am Horn (1923) ein
Pilotprojekt für Architektur. Dieses kleine Ausstellungshaus wies konsequent
moderne Merkmale auf: Ein quadratischer Grundriss mit zentralem Wohnraum
(überdacht von einem Oberlicht), standardisierte Einbaumöbel für Küche und
Wohnbereiche, farblich differenzierte Wände nach einem Konzept von Schlemmer/Moholy,
minimalistische Formen[25]. Das Haus Am Horn gilt als erstes realisiertes Bauhaus-Gebäude und
bewies, dass die Ideen auch architektonisch umsetzbar sind[25].
Unter Hannes Meyer verlagerte sich der Schwerpunkt auf soziales
Bauen. In Dessau entwarf Gropius schon 1926/27 die Siedlung Dessau-Törten,
die aus Reihenhäusern für Arbeiterfamilien bestand. Diese Reihenhäuser waren
radikal schlicht: rechteckige zweigeschossige Einheiten mit Flachdach, kleinen
Gärten, standardisierten Fenstern und minimaler Wohnfläche (ca. 57 m²).
Obwohl Gropius hier auf Vorfertigung und Typisierung setzte, zeigte sich – wie
oben erwähnt – die Kostenproblematik (die Häuser waren teurer als geplant)[65]. Meyer führte das Thema mit den Laubenganghäusern (1929) fort:
Drei vierstöckige Wohnblocks in Dessau mit durchgehenden Laubengängen als
Erschließung, vorgesehen für Kleinwohnungen. Sie stellten einen Beitrag zur
Wohnungsnot-Linderung dar und entsprachen Meyers Funktionsprinzip, waren aber
ästhetisch vielen Dessauern fremd. Das größte Bauhaus-Bauprojekt war die
erwähnte ADGB-Bundesschule bei Bernau (1928–1930). Dieses
Internatsschulungszentrum – geplant von Meyer mit Bauhaus-Studenten wie Hans
Wittwer – fügt sich flach und langgestreckt in die Landschaft, mit klaren
rechten Winkeln und viel Glas. Bis hin zu Möbeln und Außenanlagen war alles
durchgestaltet und atmet den Geist von Einfachheit und Funktionalität.
Die ADGB-Schule wird heute als eines der Hauptwerke der Bauhaus-Architektur
gewürdigt und ist UNESCO-Welterbe.
Mies van der Rohe führte am Bauhaus keine großen Neubauten mehr aus
(das Bauhaus war ja auf der Flucht in Berlin). Allerdings brachte Mies seine
eigene Architektursprache in den Unterricht ein: luxuriöse Einfachheit,
perfekte Proportionen und Materialeleganz. Er ließ im Unterricht bevorzugt architektonische
Entwurfsübungen machen, die dem avantgardistischen internationalen Diskurs
entsprachen (Wolkenbügel, Hochhausentwürfe etc.). Mies’ eigene berühmte Bauten
jener Zeit – z.B. der Barcelona-Pavillon (1929) oder die Villa Tugendhat
in Brünn (1930) – sind zwar nicht Bauhausprojekte per se, doch sie wurden von
Bauhaus-Ideen beeinflusst und umgekehrt prägten sie das Verständnis der
Studierenden für Raum und Material.
Als stilistische Begriffe werden Bauhaus-Architektur und verwandte
Strömungen auch unter „Neues Bauen“, „Neue Sachlichkeit“, „Funktionalismus“
oder „Internationaler Stil“ zusammengefasst[95]. Es ist dabei wichtig, das Bauhaus nicht isoliert als eigenen
Architekturstil zu sehen, sondern als Teil einer globalen Entwicklung[96]. Gropius, Mies, Le Corbusier, J. J. P. Oud, Frank Lloyd
Wright, die russischen Konstruktivisten – sie alle trugen in den 1920ern zur
Entstehung der modernen Architektur bei. Das Bauhaus hat aber unbestreitbar
wesentliche Beiträge geliefert: durch seine Bauten, seine Lehrtätigkeit und
seine prominenten Absolventen, die weltweit modernistische Architektur
realisierten.
Die zeitgenössische Rezeption der Bauhaus-Architektur in Deutschland
war gespalten. Progressiven Intellektuellen galt sie als Verheißung einer
neuen, demokratischen Baukultur – licht, hygienisch, rational, passend zur
Maschine und zum Neuen Menschen. Konservative Kritiker schmähten die
Flachdachbauten als unpraktisch und „undeutsch“. In Weimar intervenierten
Handwerker gegen die „kalte“ Ästhetik, in Dessau wetterten Bürger, die
würfelförmigen Häuser seien „Schuhschachteln“. Nichtsdestotrotz setzte sich die
Formensprache des Bauhauses (oder allgemeiner: der Moderne) nach und nach in
vielen Bauaufgaben durch, etwa im Siedlungsbau (z.B. Siedlung Dessau-Törten,
Neues Frankfurt, Stuttgarter Weißenhofsiedlung 1927). Der Kubus, das Flachdach,
das Fensterband – all das wurde zu Kennzeichen dessen, was man populär
„Bauhausstil“ nennt, auch wenn dieser Begriff aus kunsthistorischer Sicht
verkürzt ist[96]. Tatsächlich war die Bauhaus-Architektur nur ein Ausschnitt einer
internationalen Bewegung, doch sie war so prägend, dass umgangssprachlich „Bauhausstil“
als Synonym für sachliche Moderne verwendet wird[96].
Zusammenfassend war die Architektur am Bauhaus auf die Fusion von
Ästhetik, Technik und sozialer Verantwortung gerichtet. Sie sollte schön
sein im Sinne von klar und wahrhaftig, technisch zeitgemäß durch Einsatz
moderner Materialien und Methoden, und sozial, indem sie dem Menschen und
seinen Bedürfnissen dient. Diese Prinzipien klingen selbstverständlich, doch in
den 1920er Jahren bedeuteten sie eine radikale Abkehr von Historismus und
Dekor. Die Erbschaft der Bauhaus-Architektur zeigt sich bis heute in jedem
funktionalen Bau mit Flachdach oder jedem Baukastensystem im Wohnungsbau – auch
wenn die Bedingungen sich verändert haben.
Kunst und Design am
Bauhaus
Neben der Architektur entfaltete das Bauhaus weitreichende Aktivitäten
in Design, Kunsthandwerk und visueller Kunst, die das moderne
Lebensumfeld prägen sollten. Der Ansatz der Schule war interdisziplinär:
Bildende Kunst, angewandte Kunst und sogar darstellende Kunst wirkten zusammen[97]. Dadurch entstanden am Bauhaus neuartige Produkte und Kunstwerke, die
in ihrer formalen Klarheit und Funktionalität Maßstäbe setzten.
Produktdesign und Kunsthandwerk: In den
Werkstätten des Bauhauses wurden zahlreiche Designklassiker geschaffen,
insbesondere in den Bereichen Möbel, Beleuchtung, Textil und
Gebrauchsgegenstände. Bereits erwähnt wurden Marcel Breuers Stahlrohrmöbel
– allen voran der Wassily-Stuhl (B3), aber auch der Cesca-Stuhl
(B 32) mit geflochtener Rohrgeflechtsitzfläche und Freischwingergestell, den
Breuer 1928 entwarf. Breuers Arbeiten stehen exemplarisch für die
Bauhaus-Maxime, traditionelles Handwerk (Möbeltischlerei) mit industriellen
Materialien (Stahl) zu kombinieren, um neue ästhetische und praktische Lösungen
zu erzielen[49]. Ein anderes ikonisches Objekt ist die Tischlampe „WG24“ von Wilhelm
Wagenfeld und Carl Jakob Jucker (1924): eine kleine Lampe mit
kugelförmischem Opalglas-Schirm und vernickeltem Metallfuß, auch
„Bauhaus-Lampe“ genannt. Ihre schlichte, harmonische Form und die Verwendung
serieller Fertigung machten sie zum Sinnbild guten Designs. Ebenso berühmt ist
die Kandem-Lampe von Marianne Brandt (1928) – eine funktionale
Nachttischlampe mit einstellbarem Schwanenhals, die industriell produziert
wurde und sich großer Nachfrage erfreute[98].
In der Metallwerkstatt entwarf Marianne Brandt darüber hinaus
elegante Haushaltsgegenstände, etwa Teekannen, Samoware, Schalen und
Aschenbecher aus Metall. Ihr silberner Teekessel mit Ebenholzgriff
(1924) oder ihr berühmter Aschenbecher (1924) mit kreisrund reduziertem
Design werden heute in Museen ausgestellt und zeugen von der formalen
Meisterschaft, komplexe Dinge auf geometrische Grundformen zurückzuführen.
Diese Stücke wurden zwar nur in Kleinserie gefertigt (teils als Prototypen,
teils bei Partnerfirmen wie Ruppelwerk Gotha), doch sie beeinflussten das
Industriedesign nachhaltig.
Die Schreinerei/Tischlerei unter Joost Schmidt und später Marcel
Breuer produzierte neben Möbeln auch Innenausbauten wie Einbauschränke oder
experimentelle Wohnmodule. Alma Siedhoff-Buscher, eine der wenigen Frauen, die
in der Tischlerei arbeiten durften, entwarf 1923 ein Holz-Spielzeug
„Schiffbauspiel“, ein Set bunter Bauklötze in Form eines Schiffs und
Ladung. Dieses pädagogisch wertvolle Spielzeug – modular, kreativ, abstrakte
Formen in Primärfarben – spiegelt die Bauhaus-Ideen im Kleinformat und wurde
zur erfolgreichen Serienproduktion (es wird bis heute nachgebaut).
Die Weberei unter Gunta Stölzl erlangte einen exzellenten Ruf
für künstlerisch anspruchsvolle und zugleich brauchbare Textilien. Zunächst experimentierten
die Weberinnen mit expressionistischen Wandteppichen, doch bald wandten sie
sich funktionalen Stoffen zu – Möbelstoffe, Vorhangstoffe, Teppiche mit
geometrischen Mustern, abgestimmt auf moderne Interieurs[66]. Stölzl und Anni Albers entwickelten Webtechniken mit
Schussmaterialien wie Cellophan oder Metallfäden, um spezielle Lichteffekte zu
erzielen. Viele Textildesigns des Bauhauses – z.B. Albers’ abstrahierte
Gittermuster – werden heute noch produziert. Interessant ist, dass die Weberei
eine der wenigen Werkstätten war, die finanziell profitabel arbeiteten[61], denn hochwertige Stoffe ließen sich gut verkaufen. Die Webwerkstatt
bewies somit, dass künstlerischer Anspruch und Markterfolg kein Widerspruch
sein müssen.
In der Druckerei/Reklamewerkstatt (geleitet u.a. von Herbert
Bayer) wurden neue Standards für Grafikdesign und Typografie gesetzt.
Herbert Bayer entwickelte 1925 die „Universal“-Schrift, eine
geometrische serifenlose Schrift, bei der Groß- und Kleinschreibung
vereinheitlicht waren – Ausdruck des Bauhaus-Strebens nach Reduktion. Er
gestaltete Kataloge, Plakate und Drucksachen mit einer auffällig klaren,
asymmetrischen Layoutgestaltung, die zum Vorbild der modernen Grafik wurde. Die
Idee, typografische Mittel wie Schriftarten, -größen und Linien streng
funktional und nicht ornamental einzusetzen, prägte die Neue Typografie
(auch vertreten durch Moholy-Nagy und später Jan Tschichold). Viele
Bauhausdrucke nutzten ausschließlich Groteskschriften (also sans serif),
was damals revolutionär war (man denke an das Plakat für die
Bauhaus-Ausstellung 1923 oder Bayer’s Bauhaus-Magazin). Diese Ästhetik hat
unser heutiges visuelles Umfeld (Werbung, Layout, Firmenlogos etc.) immens
beeinflusst.
Fotografie wurde am Bauhaus ebenfalls
gepflegt, vor allem durch Moholy-Nagy und später durch Studenten wie Walter
Peterhans (der 1929 Fotografie unterrichtete). Moholy experimentierte mit
Fotogrammen (kameralose Fotografien durch Belichtung von Objekten auf
lichtempfindlichem Papier), ungewöhnlichen Perspektiven und Collagen. Seine
Arbeit „Malerei, Fotografie, Film“ (1925) propagierte die Fotografie als
moderne Kunstform und als integralen Bestandteil des neuen Sehens. Bauhäusler
wie Lucia Moholy (Moholy-Nagys Frau) dokumentierten das Leben und die Werke am
Bauhaus fotografisch in einem sachlichen Stil, der stilbildend wurde (diese
Fotos sind bis heute oft reproduziert).
Bildende Kunst: Obwohl das Bauhaus keine
traditionelle Kunstakademie war, wurden doch auch Gemälde, Grafiken und
Skulpturen geschaffen – vor allem durch die Meister. Paul Klee und Wassily
Kandinsky malten auch während ihrer Lehrtätigkeit weiter und entwickelten
ihre abstrakten Bildwelten. Klee’s am Bauhaus entstandene Werke verbinden oft
geometrische Ordnungen mit spielerischen Formen und Farben (z.B. „Hauptweg
und Nebenwege“, 1929). Kandinsky schuf in Dessau einige seiner bedeutenden
abstrakten Kompositionen (etwa „Gelb-Rot-Blau“, 1925), in denen die
theoretischen Prinzipien seiner Lehre visualisiert sind. Oskar Schlemmer
brachte mit seinen figurativen, stilisierten Darstellungen (z.B. der berühmten
Bauhaustreppe mit Figuren) eine menschliche Dimension ein. Allerdings standen
Malerei und Skulptur am Bauhaus meist im Dienste des Gesamtkonzepts –
beispielsweise malte Kandinsky Wandbilder in den Dessauer Meisterhäusern, und
Schlemmer gestaltete farbige Fenster am Bauhausgebäude. Freie Kunst allein war
kein Hauptzweck des Bauhauses. Dennoch ist wichtig festzuhalten: Das
Zusammenspiel von freier und angewandter Kunst war gerade das Neue. Ein Meister
wie Kandinsky war sowohl Kursleiter in abstrakter Formlehre als auch ein Maler,
der seine geometrischen Formen in Bühnenbilder, Wandgestaltungen oder
Ausstellungsgrafiken einbrachte.
Bühnenkunst und Tanz: Das Bauhaus-Theater
unter Leitung von Oskar Schlemmer (ab 1923) war eine experimentelle Plattform,
wo die Beziehungen von Körper, Raum, Bewegung, Kostüm und Licht erforscht wurden.
Schlemmers Triadisches Ballett – bereits vor Bauhauszeiten konzipiert,
aber 1922/23 in Bauhaus-Kreisen aufgeführt – war ein avantgardistischer Tanz
mit geometrischen Kostümen und abstrakten Figuren. In Dessau führten die
Bühnenwerkstatt-Mitglieder Maskenspiele, abstrakte Pantomimen und Bühnenfeste
auf, die sämtliche Sinne ansprechen sollten. Schlemmer betrachtete den
menschlichen Körper als „Mittelpunkt der Bühne“ und abstrahierte ihn in
konzentrische Formen. Diese Beschäftigung mit Performance mag als Randerscheinung
erscheinen, hatte aber Einfluss auf moderne Theaterformen und Design (so gelten
Schlemmers Kostümentwürfe mit als Wegbereiter für experimentelles Modedesign
und Performance Art). Zudem trug die Bühnenarbeit zum gemeinschaftlichen
Geist des Bauhauses bei – man lernte, bereichsübergreifend
zusammenzuarbeiten (Holzwerkstatt baute Bühnenkonstruktionen, Metallwerkstatt
fertigte Requisiten, Weberei nähte Kostüme usw.).
Musik und andere Bereiche: Musik wurde nicht
direkt gelehrt, aber die Schule stand in Kontakt mit moderner Musik (Busoni,
Hindemith, Schönberg – einige Aufführungen gab es, siehe Bauhauswoche 1923 mit
Busoni und Hindemith-Kompositionen[31]). Kandinsky interessierte sich für Klang-Farb-Beziehungen; Schlemmer
experimentierte mit mechanischen Klängen in seinem „Mechanischen Ballett“ von
Kurt Schmidt[99]. So kann man sagen, dass das Bauhaus auch hier intermedial dachte.
In Summe verkörpern die Produkte und Kunstwerke des Bauhauses eine
klare, reduzierte Ästhetik, die auf geometrischen Grundformen, primären Farben
(Rot, Blau, Gelb) und sachlicher Materialehrlichkeit beruht. Der Bauhausstil
in Design und Kunst bedeutet: Weglassen des Überflüssigen, Formfindung aus
Zweck und Material, und doch eine oft harmonische, sinnvolle Gestaltung von
Alltagsdingen. Man wollte Schönheit und Nützlichkeit versöhnen – gemäß
Schillers Ideal des „ästhetischen Staates“ in praktischer Anwendung.
Die gesellschaftliche Wirkung dieser Design- und Kunstleistung
entfaltete sich vor allem nach 1930 (dazu später mehr in Internationale
Wirkung). In den 1920er Jahren waren Bauhaus-Produkte zunächst einer
kulturellen Elite bekannt, dann aber zunehmend auch einem breiteren Publikum:
Durch Verkaufsausstellungen, Magazine, Musterkollektionen erlangten einige
Dinge wie Breuers Stühle oder Kandem-Lampen Popularität. Gleichwohl blieb
vieles in der Experimentierphase und gelangte nicht zur industriellen
Massenfertigung, sei es aus technischen Gründen oder wegen mangelnden Kapitals.
Dennoch – das Bauhaus begründete Professionen (z.B. Industriedesign,
Grafikdesign als eigenständige Berufe) und veränderte Geschmacksbilder.
Alltagsgegenstände sollten fortan schlicht und funktional sein dürfen, ohne
Ornamente, und trotzdem als „schön“ gelten. Diese bis dahin gewagte
Vorstellung setzte sich allmählich in der Bevölkerung durch, besonders bei der
jüngeren Generation der 1920er, die sich zu der neuen Ästhetik hingezogen
fühlte.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Bauhaus im Bereich Kunst und
Design einen Paradigmenwechsel bewirkte: Von der Unterscheidung „freie vs.
angewandte Kunst“ hin zu einer Gesamtschau, in der Gestaltung in allen
Bereichen als gleichwertiger kultureller Beitrag verstanden wird. Indem das
Bauhaus Kunst ins Alltagsleben brachte und Alltagsdinge künstlerisch
betrachtete, schuf es eine Designkultur, die das 20. Jahrhundert
dominieren sollte.
Innenraum im Bauhaus Dessau mit Wassily-Stühlen
von Marcel Breuer (1925/26). Die Stahlrohr-Sessel, benannt nach Kandinsky,
verkörpern das neue Designprinzip der Reduktion auf geometrische Formen und
industrielle Materialien[100][101]. Breuers
Möbelentwürfe entstanden in der Tischlerei des Bauhauses und zählen zu den
einflussreichsten Ikonen des modernen Möbeldesigns.
Politische
und gesellschaftliche Aspekte
Die Bauhaus-Kultur war nicht nur ein künstlerisches, sondern immer auch
ein gesellschaftspolitisches Projekt. Von ihrem Selbstverständnis her
wollte die Schule zur sozialen Erneuerung beitragen – implizit durch bessere
Lebensumgebungen, explizit durch soziale Haltung – und stand dadurch in einem
Spannungsfeld zu den politischen Kräften der Zeit.
Demokratie und Avantgarde: Das Bauhaus
profitierte, wie dargelegt, maßgeblich von der liberalen Atmosphäre der
Weimarer Republik. Steinmeier sah einen inneren Zusammenhang zwischen dem
Bauhaus und dem demokratischen Aufbruch[5].
Tatsächlich ist es kein Zufall, dass das Bauhaus im Jahr der republikanischen
Verfassungsgebung (1919) gegründet wurde: Ein Staat, der erstmals Grundrechte
garantierte, schuf auch Freiräume für experimentelle Kultur. In dieser
Anfangsphase wurde das Bauhaus (insbesondere in Weimar 1919–24) von
Sozialdemokraten unterstützt, die hofften, dass moderne Gestaltung auch dem „neuen
Menschen“ der Republik Ausdruck verleihen würde. Gropius selbst war zwar
kein Parteipolitiker, aber er verkörperte den Typus des aufgeklärten,
weltoffenen Bürgers, der an die Fortschrittskräfte glaubte. So schrieb er
später: „Das Bauhaus brauchte, um zu wachsen, die Freiheit der Weimarer Republik,
und sie (die Republik) schenkte ihr zugleich eine besondere Ausdrucksform“[5].
Das Bauhaus war also in gewisser Weise ein produktives Symptom der
ersten deutschen Demokratie.
Linke Positionen am Bauhaus: Innerhalb der
Schule gab es erhebliche politische Unterschiede, aber tendenziell zog das Bauhaus
eher linksgesinnte, progressive Charaktere an. Insbesondere in den späten
1920ern unter Hannes Meyer gab es eine aktive kommunistische Studentenzelle.
Meyer selbst war offen sozialistisch und versuchte, die Lehre stärker in
Richtung klassenbewusster Gestaltung zu lenken (Volkswohnung, Volksbedarf)[52].
Einige Bauhäusler engagierten sich in der Kommunistischen Partei oder im
Marxistischen Studentenbund. Diese Politisierung führte 1929/30 zu Konflikten:
Einerseits wurden radikale studentische Publikationen (wie „Der junge
Baumeister“) herausgegeben, andererseits versuchte man, die Schule nicht in
Gefahr zu bringen. Meyers Entlassung 1930 war direkt durch die konservativen
politischen Kräfte initiiert, denen sein radikaler Kurs missfiel[71].
Hier kollidierte also der Gestaltungsanspruch mit der politischen Realität in
Dessau.
Konservative und rechte Kritik: Das Bauhaus
sah sich von Beginn an Angriffen der Rechten ausgesetzt. In Weimar hetzte die
rechtsnationale Presse gegen die „Kulturbolschewisten“ um Gropius. Vorgeworfen
wurden dem Bauhaus u.a.: Verschwendung von Steuergeldern für Spinnereien;
Zersetzung der Kunsttradition; Förderung von Ausländern (tatsächlich waren
einige Meister und Studenten international, etwa Moholy-Nagy aus Ungarn,
Kandinsky aus Russland, van Doesburg aus NL als Gast)[69];
„unweibliche“ Frauenemanzipation; moralische Ausschweifungen (Gerüchte um freie
Liebe am Bauhaus kursierten); und allgemein die Abkehr von deutschen Werten.
Diese Vorwürfe gipfelten in dem bereits zitierten NS-Flugblatt von 1931, das
u.a. forderte, alle ausländischen Lehrkräfte fristlos zu kündigen und das Bauhaus
abzubrechen[69].
Auch in der Kunstszene gab es Gegenpositionen: Vertreter des traditionellen
Handwerks (z.B. lokale Handwerkskammern) sahen ihre Zünfte durch die neuartigen
Methoden bedroht. Der „Ring deutscher Kunstgewerbeschulen“ distanzierte sich
von Gropius’ Methoden. Paul Schultze-Naumburg, ein völkischer Architekt,
polemisierte öffentlich gegen Gropius’ Bauweise, indem er etwa die Dessauer
Laubenganghäuser als seelenlose „Kisten“ beschimpfte. Das Bauhaus stand somit
im Kulturkampf der Weimarer Zeit auf Seiten der Avantgarde, die von
Traditionalisten und Nationalisten bekämpft wurde.
Unterstützung durch Liberale und Sozialdemokraten: Dem gegenüber hatte das Bauhaus auch starke Fürsprecher. In Weimar war
die Schule vom linken Kultusminister Dr. Eduard Avenarius gedeckt, bis
zu dessen Abgang 1924. In Dessau war Oberbürgermeister Fritz Hesse (SPD) ein
großer Förderer, ebenso sein Kulturdezernent Ludwig Grote[102].
Diese Unterstützung war essentiell: z.B. stellte Dessau erhebliches Geld für
die Schulgebäude bereit und verteidigte das Bauhaus 1932 im Stadtrat zunächst
noch gegen die NSDAP[70].
Auch prominente Intellektuelle solidarisierten sich – etwa Schriftsteller, die
im „Roten Stoßtrupp“ (einer linken Zeitschrift) 1932 gegen die
Schließung protestierten. Trotzdem konnte am Ende die politische Welle gegen
die Moderne nicht gestoppt werden.
Gesellschaftliche Utopie: Die Bauhäusler
teilten weitgehend die Vision einer gerechteren, schöneren Gesellschaft
durch Gestaltung. Viele hielten Architektur und Design für wirksame Mittel, um
das Leben aller Menschen zu verbessern. Diese Idee spiegelt sich im Bau von
Existenzminimum-Wohnungen, im Entwurf einfacher, leicht reproduzierbarer Möbel,
in der Überlegung von Kinderspielzeug (Siedhoff-Buschers Schiffsbauspiel zielte
auf eine fortschrittliche Erziehung). Gropius hoffte, dass in Zukunft die
Trennung von sozialen Klassen auch in der Wohnkultur überwunden würde – das
Bauhaus wollte das Kunstschöne mit dem Brauchbaren verbinden, für alle
erschwinglich. Diese egalitäre Ästhetik (Stichwort „Volkswohnung“, „Volksbedarf“)
hat durchaus gesellschaftspolitische Sprengkraft: Schönheit nicht als Privileg
der Reichen, sondern als allgemeines Lebensrecht. Im konservativen Lager stieß
das auf Unverständnis oder Spott. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese
Vision teilweise Realität (etwa in den Sozialbauprogrammen, wo viele ehemalige
Bauhäusler beteiligt waren).
Frauen und Gleichberechtigung: Ein
gesellschaftlicher Aspekt ist die Stellung der Frau am Bauhaus, der im
nächsten Kapitel ausführlich behandelt wird. Hier sei vermerkt, dass die
Zulassung von Frauen (und auch von Schülern ohne Abitur) eine fortschrittliche
Entscheidung war, die der sozialen Öffnung der Bildung entsprach. Allerdings
zeigten sich patriarchale Vorurteile, die in dem berühmten Gropius-Zitat kulminieren:
„Nach unseren Erfahrungen ist es nicht ratsam, dass Frauen in schweren
Handwerksbetrieben wie Tischlerei ... arbeiten. Gegen Ausbildung von
Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“[103].
Diese Aussage von 1921 reflektiert damalige Rollenbilder, die auch Gropius
nicht überwand. So ist die Bauhaus-Geschichte auch eine Geschichte von Frauen,
die gegen Widerstände ihren Platz erkämpften (z.B. Stölzl, Brandt) – ein
gesellschaftlicher Mikrokosmos der Emanzipationskämpfe in der Weimarer Zeit.
Das Bauhaus und die Öffentlichkeit: Wie nahm
der „normale Bürger“ das Bauhaus wahr? Zu Anfang war das Bauhaus vor allem Insidern
ein Begriff. Die Publika der Ausstellungen 1923 in Weimar und 1926/27 in Dessau
setzten sich aus Fachleuten und kulturell Interessierten zusammen. In
Zeitungsartikeln jener Zeit wechseln Bewunderung und Unverständnis. Manche
sahen im Bauhaus den Beweis der kulturellen Erneuerungsfähigkeit
Deutschlands nach dem Krieg (gerade international wurde es positiv
rezipiert), andere erblickten darin die Zersetzung der abendländischen Kultur.
Ein Beispiel: 1923 wurde das Musterhaus Am Horn von der örtlichen Bürgerschaft
teils skeptisch beäugt – ein Reporter schrieb von „kalten weißen Räumen, in
denen man nicht wohnen mag“. Allerdings erreichten bestimmte Bauhaus-Designs
schon in den späten 20ern ein gewisses Chic-Image bei der städtischen Bohème:
Die Stahlrohrmöbel Breuers wurden von trendbewussten Kreisen in Berlin oder
Frankfurt nachgefragt; Bauhaus-Stoffe fanden Eingang in exklusive Interieurs.
Das Bauhaus hatte somit auch Stilcharakter für eine moderne städtische
Mittelschicht, was nicht immer dem Ideal des „für alle“ entsprach, aber zu
seiner Aura beitrug.
Wirtschaftliche Bedingungen: Die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Inflation Anfang der 20er,
Weltwirtschaftskrise ab 1929) wirkten sich natürlich auf das Bauhaus aus. In
Krisenzeiten schrumpfte die staatliche Förderung (so z.B. 1924 in Thüringen,
1932 in Dessau, wie beschrieben) – das Bauhaus war mehrfach von Schließung oder
Kürzungen bedroht, nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern auch aus
Sparzwängen. Die Werkstätten sollten teilweise selbsttragend wirtschaften, was
nur begrenzt gelang (eine permanente Herausforderung, da Innovation und Gewinn
selten Hand in Hand gehen). Hannes Meyer etwa versuchte, durch
Industrieaufträge Geld ins Haus zu holen – zum Beispiel sollten Bauhaus-Schüler
für eine Lampenfabrik serienreife Modelle gestalten, oder die Weberei
produzierte Textilien auf Bestellung. Dennoch blieb das Bauhaus finanziell auf
staatliche Zuschüsse angewiesen. Das Scheitern, diese Abhängigkeit zu
überwinden, machte es auch verwundbar, als politisch der Wind drehte.
Fazit in diesem Aspekt: Die Bauhaus-Kultur war
zutiefst eingebettet in die gesellschaftlichen Diskurse ihrer Zeit:
Demokratisierung, Emanzipation, Industrialisierung, Wohnungsfrage, Bildung für
alle – all diese Themen spiegeln sich im Bauhaus wider. Das Bauhaus war kein
Elfenbeinturm, sondern nahm dezidiert Stellung zu sozialen Fragen (z.B. die
Wohnungsnot, die Gleichstellung der Frau in der Ausbildung, die Rolle der Kunst
in der Gesellschaft). Diese Stellungnahmen wurden teils enthusiastisch begrüßt,
teils heftig angefeindet. Letztlich zeigt das Schicksal des Bauhauses –
gefeiert in den „goldenen“ 20ern, zerschlagen 1933 – auch, wie fragil
progressive Kultur im Angesicht autoritärer Politik ist.
Frauen am Bauhaus
Die Rolle der Frauen am Bauhaus ist ein vielschichtiges Kapitel,
das in den letzten Jahrzehnten intensiver beforscht wurde. Einerseits war das
Bauhaus eine der ersten Kunstschulen in Europa, die Frauen offiziell in
nennenswerter Zahl aufnahm – ein großer Schritt zur Gleichberechtigung.
Andererseits stießen die Frauen am Bauhaus auf strukturelle Barrieren und
Vorurteile, die viele ihrer Möglichkeiten einschränkten.
Pionierinnen der Koedukation: Als das Bauhaus
1919 eröffnete, meldeten sich überraschend viele Frauen zum Studium an – zeitweise
stellten Frauen über 1/3 der Bauhäusler. Gropius hatte anfangs keine Quoten
oder Beschränkungen gesetzt. Im Gründungsprogramm heißt es ausdrücklich: „Als
Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter
und Geschlecht...“[93]. Damit gewährte das Bauhaus Frauen erstmals den freien Zutritt zu
einer öffentlichen Kunstschule (bis dahin gab es separate Damenakademien oder
Beschränkungen). Diese Öffnung war ein Markenzeichen des frühen
Bauhauses und entsprach dem Geist der jungen Demokratie (1919 wurde auch das
Frauenwahlrecht eingeführt). Einige talentierte Künstlerinnen – etwa Johanna
Erbtö, Dörte Helm, Marguerite Friedlaender – gehörten zur
ersten Student*innengeneration.
Werkstattzuweisung und Vorurteile: Allerdings
zeigte sich bald, dass die Egalität ihre Grenzen hatte. Schon 1920/21 kam es
zur informellen Praxis, Frauen bevorzugt in bestimmten „passenden“ Werkstätten
unterzubringen. Gropius und die Meister hegten (aus heutiger Sicht
rückständige) Ansichten über Geschlechterrollen in der Arbeit. In einem
Interview 1921 äußerte Gropius: „Nach unseren Erfahrungen ist es nicht
ratsam, dass Frauen in schweren Handwerksbetrieben wie Tischlerei... arbeiten.
Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“[103]. Dieses Zitat manifestiert die Haltung, Frauen seien physisch und
vielleicht auch intellektuell nicht für Disziplinen wie Bau oder Tischlern
geeignet, sondern eher für filigrane, „heimische“ Tätigkeiten. Folglich wurde
vielen weiblichen Studierenden nahegelegt (oder direkt angewiesen), in die Weberei
oder Töpferei zu gehen[104]. Die Weberei avancierte regelrecht zur „Frauenklasse“: Der Großteil
der Bauhaus-Frauen fand sich dort wieder. Das hatte zwei Seiten: Einerseits
entstand so ein konzentrierter Raum weiblicher Kreativität, andererseits war es
eine Form von geschlechtsspezifischer Segregation, die Frauen von vermeintlich schwerwiegenderen
Künsten fernhielt wie Architektur, Möbeldesign oder Metallarbeit. Die Töpferei
in Dornburg (bis 1925) war ebenfalls stark weiblich geprägt, ging aber 1925 zu
Ende (die Töpferei wurde beim Umzug nach Dessau nicht fortgeführt).
Herausragende Künstlerinnen und ihr Kampf:
Trotz dieser Hürden gibt es herausragende Bauhaus-Frauen, die sich in
männerdominierten Bereichen durchsetzten. Marianne Brandt ist ein
prominentes Beispiel: Sie kam 1923 ans Bauhaus, zunächst in die Metallwerkstatt
– als einzige Frau dort. Brandt musste sich ihren Platz hart erkämpfen, denn
die Metallwerkstatt galt als „ungeeignet“ für Frauen (schwere Lötarbeiten
etc.). Doch Brandt überzeugte durch Talent und Fleiß. Sie wurde die rechte Hand
Moholy-Nagys und entwarf bahnbrechende Metallobjekte (Teekannen, Lampen). 1928
übernahm sie kommissarisch sogar die Leitung der Metallwerkstatt, als Moholy
ging – ein enormer Erfolg, der zeigt, dass Frauen in Leitungspositionen am
Bauhaus möglich waren, wenn auch selten. Gunta Stölzl ist ein weiterer
Name: Sie war von Anfang an in der Weberei und so fähig, dass sie 1927 zur Meisterin
der Weberei ernannt wurde – die erste und einzige weibliche
Werkstattleiterin in der Bauhaus-Geschichte[66]. Unter ihrer Führung wurde die Weberei eine der produktivsten
Werkstätten. Allerdings bekam auch Stölzl Gegenwind: 1931 legte sie ihr Amt
entnervt nieder und verließ das Bauhaus, nach Streitigkeiten (u.a. Neid und
Misogynie mancher Kollegen spielten eine Rolle).
Weitere bemerkenswerte Frauen: Anni Albers,
die 1925 ans Bauhaus kam, entwickelte sich in der Weberei zur Innovatorin
(Einsatz neuartiger Materialien, abstrakte Wandbehänge). Sie heiratete Josef
Albers, blieb aber als eigenständige Künstlerin bedeutend; nach der Emigration
wurde sie in den USA eine angesehene Textildesignerin und Autorin. Alma
Siedhoff-Buscher brillierte in der Holzbildhauerei/Tischlerei, wo sie trotz
Skepsis aufgenommen wurde. Sie entwarf Möbel für das Kinderzimmer im Haus Am
Horn und ihr legendäres Schiffbauspiel (1923) – eines der wenigen
Bauhaus-Produkte speziell für Kinder. Gertrud Arndt kam als angehende
Architektin ans Bauhaus, fand aber keinen Anschluss in der Bauabteilung und
wechselte notgedrungen in die Weberei; später machte sie jedoch durch
Fotografien auf sich aufmerksam (ihre „Maskenporträts“ von 1930 zählen heute
zur Bauhaus-Fotografie). Lilly Reich, zwar keine Studentin, sondern
Mitarbeiterin von Mies, war auch eine bedeutende Designerin, die z.B. an der
Barcelona-Möbelkollektion mitwirkte – aber sie kam erst 1932 ans Bauhaus und
war eher extern bekannt.
Generell gilt: „Trotz dieser Hürden erkämpften sich Frauen wie
Marianne Brandt und Gertrud Arndt ihren Weg in Tischlerei, Metallwerkstatt und
Architektur.“[105] Viele Ausnahmen
bestätigten die Regel. Aber die meisten weiblichen Bauhäusler blieben in
traditionell weiblich konnotierten Bereichen. Das führte dazu, dass das Bauhaus
in den späten 1920ern, so Ulrike Müller, „mehr und mehr zur Männerdomäne“ wurde[106]. Anfangs war das Bauhaus geschlechtergemischter, doch im Laufe der
Zeit – insbesondere mit dem Weggang vieler Frauen und dem Zuzug neuer, oft
männlicher Studierender – verschob sich das Verhältnis. In Dessau gab es
Jahrgänge, wo der Frauenanteil deutlich sank.
Alltag und Anerkennung: Wie empfanden die
Frauen selbst ihre Situation? Berichte zeigen ein gemischtes Bild. Einige
fühlten sich sehr wohl am Bauhaus, genossen die Freiheit und das
kameradschaftliche Klima (im Gegensatz zu alten Akademien, wo Frauen gar nicht
zugelassen waren). Die lockere Lebensart, in Hosen zu arbeiten, die Haare kurz
geschnitten (die berühmten Bubiköpfe der „Bauhaus-Mädels“), und gemeinsam Kunst
zu machen, war für viele ein Aufbruchserlebnis. Andere litten unter der
Geringschätzung und der sturen Zuweisung. Benita Otte etwa schrieb
enttäuscht, sie habe Architektur studieren wollen, aber sei in die Weberei
abgeschoben worden, was sie nicht glücklich machte.
In den 1960er Jahren, als man retrospektiv aufs Bauhaus blickte,
meldeten sich einige Frauen zu Wort. Gunta Stölzl reflektierte 1965, dass nach
dem Umzug nach Dessau der Leistungsdruck stieg und Frauen es schwerer hatten,
sich in tragenden Positionen zu behaupten. Sie erzählte auch vom Aufschwung der
Weberei: Um größere Aufträge zu bewältigen, wurden in Dessau sogar weibliche
Angestellte in der Produktionswerkstatt beschäftigt, während die Studentinnen
hauptsächlich die Entwürfe lieferten[107]. Das zeigt, dass die Weberei erfolgreich in den Markt drängte – und
dies unter weiblicher Führung, was in der damaligen Zeit eine
Ausnahmeerscheinung war.
Werke und Vermächtnis: Die Bauhaus-Frauen
haben zahlreiche Werke geschaffen, die heute als Klassiker gelten: Neben den
erwähnten Beispielen (Stoffe, Lampen, Möbel, Spielzeug) kann man auch die
abstrakten Wandbehänge von Albers oder die fotografischen Arbeiten von Lucia
Moholy und Florence Henri nennen. Viele dieser Arbeiten wurden
jedoch lange Zeit den männlichen Kollegen zugeschrieben oder gar nicht
ausgestellt. Erst spät erhielten Bauhaus-Frauen die gebührende Anerkennung.
Ausstellungen wie „Die Bauhaus-Frauen“ (z.B. 2019 zum Jubiläum) und
Publikationen[108] rückten sie ins Licht. Heute weiß man, dass das Bauhaus ohne die
Beiträge der Frauen ärmer gewesen wäre – sei es in der Textilkunst, im
Alltagsdesign oder in der typografischen und fotografischen Dokumentation.
Fazit: Das Bauhaus bot Frauen Chancen zur
künstlerischen Ausbildung, die anderswo kaum zu finden waren – insofern war es
eine progressive Einrichtung. Jedoch stieß die formale Gleichberechtigung in
der Praxis an Grenzen, die von zeitbedingten Rollenbildern gesetzt wurden. Die
Frauen am Bauhaus mussten erhebliche „Kämpfe“ ausfechten, um sich in bestimmten
Disziplinen durchzusetzen[105]. Einige schafften es und
wurden Wegbereiterinnen moderner Gestaltung, andere blieben im Verborgenen oder
verließen die Schule frustriert. Die Bauhaus-Kultur war also auch in diesem
Aspekt voller Widersprüche: emanzipatorisch im Anspruch, aber nicht frei
von patriarchalen Reflexen in der Umsetzung. Dennoch darf man das
Verdienst nicht schmälern, dass hier – Jahrzehnte vor den großen Wellen der
Frauenbewegung – ein Experiment stattfand, in dem Frauen und Männer gemeinsam
an einer neuen Gestaltungswelt arbeiteten. Das Bauhaus hat, wenn auch
unvollkommen, einen Grundstein gelegt für die Frauen in Kunst und Design
im 20. Jahrhundert.
Repression und Exil
nach 1933
Nach der erzwungenen Auflösung des Bauhauses 1933 begann die Phase
der Repression und Diaspora. Die Nationalsozialisten hatten die Institution
zerschlagen, doch die Idee des Bauhauses ließ sich nicht so leicht auslöschen –
sie lebte im Exil weiter. Zunächst aber traf viele Bauhäusler das Schicksal der
Verfolgung im Dritten Reich.
Schließung und Diffamierung: Unmittelbar nach
1933 wurde das Bauhaus in NS-Propaganda als Beispiel entarteter,
kulturbolschewistischer Umtriebe angeführt. Die Gestapo überwachte ehemalige
Bauhaus-Angehörige; einige wurden inhaftiert, verhört oder zumindest in ihrer
Berufsausübung behindert. Maler wie Paul Klee – der 1931 bereits vom
Bauhaus weggegangen und Professor in Düsseldorf geworden war – wurden 1933 aus
ihren Stellen entlassen (Klee emigrierte in die Schweiz, seine Werke wurden
später als entartet diffamiert). Wassily Kandinsky, seit 1932 in Berlin,
ging 1933 nach Paris ins Exil. Oskar Schlemmer verlor seine
Lehrtätigkeit in Breslau 1932 und zog sich zurück; seine spätere Teilnahme an
der Ausstellung „Entartete Kunst“ (1937 wurden dort einige seiner Bilder
gezeigt) machte ihm das Arbeiten in Deutschland unmöglich.
Verfolgte und Opfer: Die
nationalsozialistische Rassen- und Politideologie traf viele Bauhäusler hart.
Besonders jüdische und ausländische Angehörige sahen keine Zukunft mehr in
Deutschland. László Moholy-Nagy (ungarisch-jüdischer Abstammung) ging
1934 nach Amsterdam, später nach London und schließlich 1937 in die USA. Marcel
Breuer emigrierte erst nach England (1935) und dann in die USA (1937). Ludwig
Hirschfeld-Mack, Bauhaus-Schüler (Erfinder der Farbenlichtspiele), floh
nach England, wurde aber 1940 als „feindlicher Ausländer“ nach Australien
deportiert (er überlebte dort und wurde Kunstlehrer). Mindestens 21 ehemalige
Bauhäusler wurden jedoch Opfer des NS-Terrors und kamen in Konzentrationslagern
oder Gefängnissen ums Leben[84]. Beispiele: Friedl Dicker-Brandeis (Schülerin in Weimarer
Bauhaus, später Künstlerin) starb 1944 in Auschwitz; Franz Ehrlich,
Bauhaus-Architekt und KPD-Mitglied, wurde ins KZ gesperrt (er überlebte,
gestaltete aber zynischerweise im Lager Buchenwald das Tor mit – die Schrift
„Jedem das Seine“ am Tor wurde von ihm in einer Bauhaus-Schrift entworfen[109]). Diese groteske Episode –
Bauhaus-Design im KZ – hat der Architekturhistoriker Jean-Louis Cohen
dahingehend kommentiert, dass „der nüchterne Funktionalismus des Bauhauses
sogar in der Architektur des KZ Auschwitz hervortrat“[110], vermittelt durch den ehemaligen
Bauhaus-Schüler Fritz Ertl, der SS-Architekt wurde. Das zeigt, dass Teile der
Bauhausästhetik auf perverse Weise von den Nazis benutzt wurden, obwohl sie die
Bewegung vernichtet hatten.
Emigration und internationale Verbreitung:
Etwa ein Viertel der Bauhausmitglieder emigrierte nach 1933[111]. Diese Bauhaus-Diaspora
trug entscheidend dazu bei, dass die Bauhaus-Ideen weltweit Verbreitung fanden.
Die wichtigsten Zentren des Exils waren:
- USA: Hierhin ging eine ganze Reihe prominenter Bauhäusler. Walter
Gropius emigrierte 1934 nach England und 1937 weiter in die USA, wo er
Professor an der Harvard Graduate School of Design wurde[112]. In Harvard prägte er eine
Generation amerikanischer Architekten, verbreitete die Bauhaus-Lehre und
beauftragte Marcel Breuer als Kollegen. Breuer selbst ging 1937 ebenfalls
in die USA, gründete später mit Gropius ein Büro und wurde ein anerkannter
Architekt (u.a. Whitney Museum in New York). Josef Albers verließ
1933 Deutschland und ging an das neu gegründete Black Mountain College
in North Carolina – eine progressive Kunsthochschule, wo er ein Lehrerteam
zusammenstellte, das stark vom Bauhaus inspiriert war[113]. Er und seine Frau Anni
Albers brachten dort die Bauhaus-Pädagogik ein (Werkstattunterricht,
experimentelle Herangehensweise). Das Black Mountain College gilt als „Reimport“
des Bauhauses in Amerika[113]. Mies van der Rohe
emigrierte 1938 in die USA und wurde Leiter der Architekturabteilung am
Illinois Institute of Technology (IIT) in Chicago. Er entwarf in den USA
berühmte Gebäude (Seagram Building in New York, 1958; Crown Hall in
Chicago, 1956) und prägte den International Style maßgeblich
weiter. László Moholy-Nagy ging 1937 nach Chicago und gründete dort
mit Unterstützung von Industrie und Emigranten das New Bauhaus[114]. Dieses „Neue Bauhaus“ war
der direkte Versuch, die Bauhaus-Idee fortzuführen – Moholy führte das
Curriculum der Grundlagenkurse etc. fort. Nach Startschwierigkeiten wurde
daraus das Institute of Design (ID), das später Teil des IIT wurde[114]. Somit gab es in Chicago
faktisch eine Bauhaus-Nachfolgeeinrichtung. Auch Herbert Bayer
emigrierte 1938 in die USA und arbeitete erfolgreich als Grafikdesigner
und Ausstellungsgestalter; er trug mit Ausstellungen (z.B. 1938 Bauhaus
1919–1928 im MoMA) zur Verbreitung des Bauhaus-Erbes bei.
- Palästina/Israel: Eine bemerkenswerte Konzentration von Bauhaus-Absolventen (oft
jüdischen Glaubens) fand sich in den 1930er Jahren im britischen
Mandatsgebiet Palästina ein. In Tel Aviv entwarfen aus Deutschland
geflüchtete Architekten (wie Arieh Sharon, Shmuel Mestiechkin, Munio
Gitai) ab Mitte der 30er Jahre über 4000 Gebäude im Internationalen Stil[115]. Die sogenannte „Weiße
Stadt“ Tel Aviv besitzt heute die größte Ansammlung von
Bauhaus-Stilgebäuden weltweit und ist UNESCO-Welterbe[115]. Zwar waren nicht alle
Architekten dort direkt Bauhäusler, aber viele hatten die Bauhaus-Ästhetik
verinnerlicht. Das Bauhaus wirkte hier als architektonischer Export für
ein ganz neues städtisches Umfeld.
- Sowjetunion: Ein Teil der Bauhaus-Emigranten, vor allem Hannes Meyer und
einige seiner Schüler (wie Konrad Püschel, Philipp Tolziner), ging Anfang
der 1930er in die Sowjetunion, im Glauben, dort die soziale Baukunst
umsetzen zu können. Meyer arbeitete einige Jahre in Moskau in der
Städteplanung. Allerdings gerieten diese Emigranten ab ca. 1936 in die
Mühlen Stalins: Meyer wurde 1936 aus der UdSSR ausgewiesen, andere wie
Beyer oder Korn blieben länger, manche wurden Opfer der stalinistischen
Säuberungen (der Architekt Franz Ehrlich kehrte rechtzeitig zurück und
geriet dann in NS-Haft, eine tragische Ironie). Insgesamt war der Einfluss
in der UdSSR begrenzt, da dort ab 1932 der Sozialistische Klassizismus vorherrschte
und die konstruktivistische Moderne beendet wurde.
- Weitere Länder: Zahlreiche Bauhäusler verstreuten sich über die Welt. Margarete
Schütte-Lihotzky (die zwar nicht am Bauhaus war, aber dem Neuen Bauen
nahestand) ging nach der Haft durch Nazis nach Istanbul; Selman
Selmanagić (Bauhaus-Absolvent) kehrte nach Jugoslawien zurück; Max
Bill (Schweizer Bauhäusler) ging nach Zürich etc. Einige gingen nach
Lateinamerika: Xavier Moyssen nach Mexiko, Ise Gropius
(Gropius' Frau) nach USA usw. Besonders in den USA konzentrierte es sich,
weshalb man durchaus von einer „Amerikanisierung der Bauhaus-Ideen“
sprechen kann.
Weiterleben im Ausland: Dank dieser Emigranten
fand das Bauhaus also ein neues Leben in verschiedenen Kontexten. In den USA
wurden die Bauhaus-Ideen zum Fundament der modernen Design-Ausbildung. Viele
amerikanische Universitäten übernahmen das Konzept des Foundation Course
(Grundlagenschulung nach dem Vorbild des Vorkurses). Architekten wie Gropius
und Mies beeinflussten maßgeblich den Stil von Nachkriegsmoderne und Corporate
Architecture.
Rezeption im nationalsozialistischen Deutschland: Im Reich selbst wurden Bauhaus und ähnliche Strömungen vollständig
unterdrückt. Stattdessen propagierte das NS-Regime eine arische Monumental- und
Heimatstil-Architektur (Albert Speer) und figurative Propagandakunst. Dennoch
ist es interessant, dass einige Bauhaus-Konzepte technisch weiterwirkten: So
nutzten die Nazis rationelle Bautechniken, wie Gropius sie mitentwickelt hatte
(z.B. im Siedlungsbau oder in Kasernen) – aber ohne deren ästhetische
Konsequenzen. Ein extremes Beispiel war die bauliche Organisation der KZ: Der
Historiker Cohen argumentiert, dass die nüchterne, funktionale Lagerarchitektur
bei Auschwitz mit von einem Bauhäusler (Fritz Ertl) geprägt wurde[110] – ein dunkles Paradox, dass die
rationalistische Form hier zum Instrument unmenschlicher Zwecke wurde.
Zusammengefasst: Nach 1933 wurde das Bauhaus
im Deutschen Reich zum Feindbild erklärt, seine Protagonisten verfolgt oder ins
Exil getrieben. Doch gerade dadurch gelangte das Bauhaus in die Welt und
entfaltete eine noch größere Wirkung – ironischerweise bewahrte erst die Vertreibung
seine Ideen vor der Vernichtung. Im Heimatland wurde das materielle Erbe teils
zerstört (man plante sogar den Abriss des Dessauer Gebäudes, der nur wegen
Ressourcenmangel nicht erfolgte[69]; es brannte 1945 aus). Erst nach dem Krieg sollte Deutschland wieder
zum Boden für die Bauhaus-Tradition werden, wie im nächsten Abschnitt
dargestellt.
Internationale Wirkung
und Rezeption
Trotz seines gewaltsamen Endes in Deutschland setzte das Bauhaus zu
einem beispiellosen Siegeszug um die Welt an. Die internationale
Wirkung der Bauhaus-Bewegung ist kaum zu überschätzen – in Architektur,
Designpädagogik, Kunst und Populärkultur. Auch die spätere Rezeption in
Deutschland gestaltete sich interessant, da Ost- und Westdeutschland das
Erbe unterschiedlich bewerteten, bevor es ab den späten 20. Jahrhundert
umfassend gewürdigt wurde.
Verbreitung durch Emigranten: Wie oben beschrieben,
sorgten die in alle Winde verstreuten Bauhäusler für die globale Diffusion der
Ideen. In den USA wurde das Bauhaus geradezu zur Legende: Gropius, Mies,
Moholy-Nagy, Albers etc. lehrten an renommierten Institutionen und
beeinflussten Generationen von Studenten. Viele heute selbstverständliche
Methoden in Kunst- und Designschulen weltweit – etwa der vorkursähnliche
Grundlagenunterricht – stammen direkt aus dieser Traditionslinie. Architektur:
Der International Style, der ab den 1940ern die Skylines prägte (glatte
Vorhangfassaden, rechteckige Hochhäuser, offene Grundrisse), wurde wesentlich
von ehemaligen Bauhaus-Architekten geprägt. Mies van der Rohes Grundsätze
(„weniger ist mehr“) fanden breite Anwendung. Gropius formte mit der Gropius-Gruppe
(Breuer, nachmals andere) in Harvard eine ganze Schule moderner Architekten,
darunter Philip Johnson und Paul Rudolph. Design: Moholy-Nagys New
Bauhaus (später Institute of Design) in Chicago führte die interdisziplinäre
Lehre fort und gilt als Keimzelle des Industriedesigns als eigenem
Berufsbild in den USA[113]. Viele US-Designer der
Nachkriegszeit (Charles Eames, Ray Eames, etc.) griffen auf
Bauhaus-Grundprinzipien zurück – man denke an das Eames-Chair-Design, das ohne
Breuers Vorläufer kaum denkbar wäre.
In Israel hinterließen die Bauhaus-Ideen ein einmaliges städtebauliches
Ensemble: Tel Avivs Weiße Stadt aus den 1930er Jahren, mit ihren weiß
verputzten Flachdachbauten, Balkonschattenspielen und klimatisch angepassten
modernistischen Wohnungen, verkörpert die Bauhaus-Prinzipien in einem neuen
kulturellen Kontext[115]. Die Anerkennung durch die
UNESCO 2003 zeugt von der nachhaltigen Bedeutung[115]. Auch in anderen Ländern
des Nahen Ostens beeinflussten Emigranten (z.B. in den 1940ern in der Türkei,
wo einige deutsche Architekten lehrten) die Architekturmodernisierung.
In Südamerika sind ebenfalls Spuren: Zum Beispiel ging der
Architekt Franz M. Jansen, ein Bauhaus-Schüler, nach Argentinien und
verbreitete dort moderne Entwurfsmethoden. Der brasilianische Architekt Oscar
Niemeyer wurde zwar nicht direkt vom Bauhaus geschult, aber er stand in der
Tradition der internationalen Moderne, zu der das Bauhaus zählte.
Nachkriegsdeutschland – zwei Narrative: Nach
1945 kehrten Bauhaus-Ideen „re-importiert“ nach Deutschland zurück[116]. In der frühen Bundesrepublik
entdeckten Architekten und Designer das Bauhaus als wertvolles Erbe. Bereits
1950 wurde in Darmstadt das Bauhaus-Archiv gegründet (zunächst von Hans
Maria Wingler), das später nach Berlin umzog und als zentrale Sammlung dient[117]. 1953 gründeten
westdeutsche Designer um Max Bill (Bauhaus-Schüler) die Hochschule
für Gestaltung Ulm (HfG Ulm)[118]. Diese Schule verstand
sich explizit als Nachfolgerin des Bauhauses, angepasst an die Nachkriegszeit.
In Ulm wurde die Lehre des Bauhauses modernisiert weitergeführt – mit Betonung
auf funktionales Design, Systemdenken, Wissenschaftlichkeit (die HfG
verzichtete allerdings bewusst auf freie Kunst und fokussierte auf Produkt- und
visuelles Design)[118]. Ulm brachte bedeutende
Designer hervor und prägte z.B. Industriedesign bei Braun (Dieter Rams) oder
visuelle Kommunikation. Die Ulmer Schule trug so die Fackel des Bauhauses in
Westdeutschland weiter.
Im Architekturstil der jungen BRD schlug sich das Bauhaus
ebenfalls nieder: Die Architekten des West-Berliner Hansaviertels
(Interbau 1957) etwa orientierten sich an Bauhaus und Le Corbusier – flache
Dächer, offene Grundrisse, nüchterne Fassaden. Die Bundesrepublik stilisierte
das Bauhaus zu einem Symbol des aufgeklärten, weltoffenen Deutschlands, gerade
in Abgrenzung zur Nazi-Vergangenheit. 1968 organisierte das Württembergische
Landesmuseum eine große Bauhaus-Ausstellung, 1976 wurde in Dessau zum 50.
Jahrestag des Gebäudes eine Feier abgehalten (daran waren auch
West-Institutionen beteiligt trotz kaltem Krieg).
In der DDR hingegen war die Haltung zum Bauhaus zunächst ablehnend.
Offiziell galt im Stalinismus (bis Mitte der 1950er) die Moderne als
„formalistisch“ und „bourgeoise Dekadenz“, und man propagierte den
sozialistischen Klassizismus. Zudem interpretierte man im Osten das Bauhaus –
etwas paradox – als Produkt kapitalistischer Industrieästhetik, die den Massen
nicht gerecht wurde; also als „imperialistischen Stil“[116]. Diese Sicht veränderte
sich allmählich: In den 1960ern begann man auch in der DDR, insbesondere die
Hannes-Meyer-Phase positiv zu sehen, da Meyer Marxist war und das Bauhaus als
proletarischer machen wollte. Ende der 1960er wandte sich die DDR wieder
stärker der Moderne zu (nach dem Ende des stalinistischen Zuckerbäckerstils).
Dessau lag in der DDR, und man begann, das Erbe vor Ort zu pflegen: 1976 wurde
das restaurierte Bauhausgebäude als Hochschule wieder eröffnet (für
Gestaltungskurse), es gab auch Ansätze einer Forschung. Dennoch blieb die
DDR-Rezeption ambivalent – erst in den späten 1970ern erkannte man das
ideologische Potential, Hannes Meyer als „rotes Bauhaus“ Held darzustellen
(z.B. Publikationen wie „Das rote Bauhaus“ erschienen).
Wiedervereinigung und weltweite Renaissance:
Nach 1990 wurde das Bauhaus-Erbe gesamtdeutsch und international gefeiert. 1994
gründete Sachsen-Anhalt die Stiftung Bauhaus Dessau, die seitdem im
wiederhergestellten Gebäude residiert[119]. Weimar eröffnete 1995 ein
Bauhaus-Museum, Berlin baute sein Bauhaus-Archiv zum Museum aus. 1996
erklärte die UNESCO die Bauhausstätten in Weimar und Dessau (das
Gebäude, die Meisterhäuser, Haus Am Horn etc.) zum Weltkulturerbe[120]. Dies alles zeigt, dass
das Bauhaus mittlerweile als kulturelles Erbe ersten Ranges anerkannt ist –
ähnlich wie klassische Denkmäler.
In den späten 20. Jahrhundert erlebten Bauhaus-Entwürfe eine Renaissance
am Markt: Seit den 1970ern kamen lizensierte Reeditionen vieler
Bauhausmöbel und -leuchten auf den Markt[121]. Firmen wie Tecnolumen
oder Knoll stellten die Wagenfeld-Lampe, Breuer-Stühle, Brandt-Teekannen etc.
wieder her und verkauften sie erfolgreich. Diese Re-Editionen haben bis heute
das Bild geprägt, es gäbe „DEN Bauhausstil“ – oft reduziert auf Chrom,
Leder, Schwarz-Weiß[121]. Allerdings wird dabei
mitunter die ursprüngliche Vielfalt (etwa farbige Möbel nach De Stijl-Manier,
etc.) ignoriert. Trotzdem: Bauhausdesign wurde endgültig massenkompatibel –
ironischerweise manchmal als teurer Luxus (z.B. original lizenzierte
Wagenfeld-Lampen, die sich dann doch nicht jeder leisten kann).
Jubiläumsfeiern: 2019, zum 100. Jahrestag
der Gründung, feierte Deutschland das Bauhaus mit einem großen Programm,
national wie international[122][123]. Drei neue Bauhaus-Museen
wurden eröffnet (in Weimar, Dessau und der Ausbau des Archivs in Berlin)[124]. Weltweit gab es
Ausstellungen und Veranstaltungen, von London über Sao Paulo bis Lagos[123]. Deutschland inszenierte
das Bauhaus-Jubiläum, mit Worten des Goethe-Instituts, als „größte
Kulturleistung des 20. Jahrhunderts“ und „bedeutendsten Architekturexport
des Landes“[125]. Diese vielleicht
überschwängliche Selbstverortung zeigt den Stolz, den man heute auf das Bauhaus
hat – als positive Facette deutscher Geschichte zwischen den Weltkriegen.
Kritische Einordnung: Trotz aller berechtigter
Feier muss man die Bauhaus-Rezeption auch nüchtern betrachten. Nicht
alles, was im Nachhinein als Bauhaus-Stil firmiert, war genuin Bauhaus. Viele
Strömungen liefen parallel – De Stijl, russischer Konstruktivismus, Le
Corbusier – das Bauhaus war Teil eines größeren Netzwerkes der Moderne.
Kunsthistorisch problematisch ist es daher, „Bauhaus“ als isolierten
Stilbegriff zu verwenden[96]. Wie bereits erwähnt, sprechen Laien oft vom „Bauhausstil“ für alles
Kantige, Weiße, Reduzierte[96]. Aber streng genommen ist das Bauhaus keine monolithische
Stilrichtung, sondern ein Schulexperiment mit vielen Richtungen, dessen
Beiträge in Strömungen wie Funktionalismus, Neue Sachlichkeit und Internationaler
Stil aufgehen[126]. Das hinderte die
Populärkultur allerdings nicht daran, Bauhaus zum Synonym zu machen.
Tatsächlich hält die Resonanz des Bauhauses bis heute an und
prägt unser Bild der Moderne[127]. Vom Smartphone (dessen
minimalistisches Design man mit Bauhaus-Prinzipien in Verbindung bringt) bis
zum IKEA-Möbel (flach verpackte, funktionale Möbel für jedermann – eine Idee,
die auf Bauhaus- und Werkbundvorstellungen zurückgeht) – überall spürt man Nachwirkungen.
Sogar die digitale Welt verehrt die klare Bauhaus-Ästhetik (man denke an
Google’s primärfarbiges Design einiger Logos etc.).
Zusammengefasst hat das Bauhaus nach 1933 eine erstaunliche Karriere
erlebt: Vom verfehmten Avantgarde-Projekt zum globalen Kulturerbe. Seine
Ideen überlebten in der Fremde und kamen gereift zurück. Heute wird das Bauhaus
international als Geburtsstätte des Modernismus angesehen, als Ort, an
dem Visionen für eine bessere gestaltete Umwelt formuliert wurden. Dabei wird
es teils romantisch verklärt – die Realität (Konflikte, Abbrüche,
Unvollendetes) tritt hinter dem Mythos zurück. Doch auch kritische Historiker
erkennen an, dass das Bauhaus als Idee – die Versöhnung von Kunst und
Leben – epochal war.
Fazit
Die
Bauhaus-Kultur der 1920er Jahre in Deutschland stellt im historischen Kontext
ein einzigartiges Laboratorium der Moderne dar. In nur anderthalb Jahrzehnten
gelang es dem Bauhaus, grundlegende Impulse für Architektur, Design, Kunst und
Pädagogik zu geben, deren Wirkung weit über seine Zeit hinausreicht. Zusammenfassend
lässt sich feststellen:
Das
Bauhaus vereinte visionäre Kraft mit praxisnaher Reform. Erstmals wurde an einer Schule systematisch versucht, die Kluft
zwischen freier Kunst und Handwerk/Industrie zu überbrücken und eine
gesamtheitliche Gestaltungslehre zu entwickeln. Gropius’ Anspruch, „Architekten,
Maler, Bildhauer – wir alle müssen zum Handwerk zurück!“[15], formulierte das Credo einer neuen
Einheit von Kunst und Technik. Diese Leitidee hat die Lehrmodelle im Bereich
Gestaltung weltweit revolutioniert und den Künstler-Designer hervorgebracht,
der ästhetische und funktionale Verantwortung verbindet.
Die Leistungen
des Bauhauses sind vielfältig: In der Architektur schuf es Ikonen des Neuen
Bauens – vom Bauhausgebäude Dessau bis zum Haus Am Horn – und etablierte die
Formensprache der Moderne (Flachdach, Weißer Kubus, offene Grundrisse) im Kanon
der Architekturgeschichte. Im Produktdesign brachte es zeitlose Klassiker
hervor (Breuer-Stühle, Wagenfeld-Lampe, Brandt-Teekanne), die bis heute
produziert und genutzt werden. In der Kunstpädagogik führte es den Vorkurs ein,
der als methodisches Fundament noch Generationen von Kunst- und
Designstudierenden geprägt hat. Gesellschaftlich propagierte es eine
Demokratisierung von Gestaltung – die Vision, formschöne und qualitativ gute
Objekte für den Alltag aller Menschen zu gestalten, nicht nur für Eliten. Diese
demokratische Designkultur ist heute im Prinzip verwirklicht, von Möbelhäusern
bis zu Alltagsprodukten, selbst wenn die konkrete Umsetzung oft der
Marktdynamik folgt.
Kritisch
betrachtet gab es jedoch auch Grenzen und
Widersprüche: Nicht alle utopischen Ansprüche des Bauhauses ließen sich
einlösen. So blieb der volksnahe Massenwohnungsbau trotz Meyers
Bemühungen eher Fragment – Bauhaus-Siedlungen waren begrenzt und kosteten oft
mehr als gehofft[64]. Die Idee, durch industrielles Design
preiswerte Qualitätsprodukte für jedermann zu schaffen, konnte erst mit
Jahrzehnten Verzögerung (und außerhalb Deutschlands) realisiert werden; zur
Bauhaus-Zeit selbst blieben viele Produkte in Prototypenstadien oder
Luxus-Kleinserien hängen. Auch intern war das Bauhaus kein konfliktfreier Raum:
Ideologische Spannungen (Kunst vs. Technik, Individualismus vs. Kollektivismus)
führten zu Richtungsstreits, etwa Gropius vs. Itten oder später Meyer vs.
etablierte Meister. Die soziale Utopie stieß an reale Barrieren – sei es
ökonomisch (Druck der Geldgeber, Verkaufszwang) oder politisch (Anfeindungen
von Rechts).
Ein
besonders eklatantes Defizit zeigte sich in der Geschlechterfrage: Trotz
fortschrittlicher Rhetorik behandelte man Frauen in der Ausbildung nicht wirklich
als völlig gleichberechtigt; viele talentierte Designerinnen wurden in
konventionelle Bahnen gedrängt[104]. Hier offenbarte sich, dass auch im
Bauhaus die Zeitumstände (Patriarchat der 1920er) ihre Schatten warfen. Dennoch
schufen gerade die Bauhaus-Frauen – Gunta Stölzl, Marianne Brandt, Anni
Albers u.a. – Großartiges und brachen manche Türen auf, wofür ihnen postum
Anerkennung gezollt wird[106].
Die historische
Gesamtbewertung des Bauhauses fällt gleichwohl sehr positiv aus: Es war ein
Brennpunkt der kulturellen Moderne, in dem sich die intellektuellen,
künstlerischen und sozialen Strömungen der Weimarer Republik fokussierten. Das
Bauhaus verkörpert den Optimismus jener Jahre, den Glauben an Gestaltung als
Mittel zur Weltverbesserung. In der Weimarer Republik stand es für Weltoffenheit
und Avantgarde[6], wie kein zweites Institut. Zugleich
spiegelt sein Schicksal die Verwundbarkeit solcher Avantgarden in Zeiten
politischer Extreme: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bedeutete
das abrupte Ende dieser hoffnungsvollen Epoche. Die Feindschaft des NS-Regimes
gegen das Bauhaus – bis hin zur physischen Zerstörung von Werken und Verfolgung
von Personen – zeigt, wie sehr Kunst und Gestaltung zum ideologischen
Kampfplatz werden können. Ironischerweise haben die Nazis mit der Vertreibung
der Bauhausangehörigen unfreiwillig zur globalen Verbreitung der Bauhaus-Ideen
beigetragen.
Heute, mit
dem Abstand von 100 Jahren, erkennt man im Bauhaus einen Ursprung vieler
Selbstverständlichkeiten unserer gestalteten Umwelt. Ob man ein Smartphone in
der Hand hält, in einem modernen Bürogebäude arbeitet oder schwedische Möbel
zusammenbaut – überall hallen Bauhaus-Prinzipien nach (Reduktion,
Funktionalität, Standardisierung gepaart mit Ästhetik). Das Bauhaus hat „die
Welt neu gedacht“, wie das Motto zum Jubiläum 2019 lautete[124], und in vieler Hinsicht ist diese
neue Gedankenwelt Realität geworden.
Natürlich
war das Bauhaus kein allein seligmachendes Projekt; es stand auf den Schultern
früherer Reformbewegungen (Arts and Crafts, Werkbund) und war Teil eines
internationalen Netzwerks der Moderne. Doch es gelang dem Bauhaus in selten
gesehener Dichte, Talente, Ideen und Experimentierfreude zu bündeln,
sodass ein wirkungsmächtiger kultureller Impuls entstand. Dieser Impuls wirkte
weit in die Zukunft: Die Nachkriegsmoderne, die digitale Designkultur, ja das
gesamte Berufsfeld des Designers wären ohne das Bauhaus so nicht denkbar.
Abschließend
kann man sagen: Die Bauhaus-Kultur der 1920er war revolutionär in Ansatz und
Wirkung, wenn auch nicht perfekt in der Umsetzung. Sie lehrte uns,
Gestaltung ganzheitlich zu denken – vom Städtebau bis zum Teelöffel – und immer
den Menschen ins Zentrum zu stellen. Ihr Erbe ist lebendig und dient weiterhin
als Inspirationsquelle und Maßstab. Damit hat das Bauhaus sich seinen Rang als „Bedeutendste
Kulturleistung des 20. Jahrhunderts“ im Selbstbild Deutschlands[125] in vieler Augen verdient – auch wenn
solche Superlative stets vereinfachen. Unbestreitbar aber bleibt: Das Bauhaus
war mehr als eine Schule, es war ein Kulturphänomen und steht
sinnbildlich für die kreative Aufbruchsstimmung der Weimarer Zeit sowie für die
langfristige Triumph der Moderne über reaktionäre Kräfte.
In seinem
Streben nach einer besseren Verschmelzung von Kunst und Gesellschaft bleibt uns
das Bauhaus bis heute Auftrag und Vorbild. Wie Gropius schrieb: „Erdenken,
erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft... der aus Millionen Händen
der Handwerker einst gen Himmel steigen wird“[14]. Dieses Pathos mag historisch
klingen, doch die Kernidee – dass Zusammenarbeit und gute Gestaltung die
Zukunft formen können – hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Das Bauhaus
hinterlässt somit nicht nur Werke, sondern vor allem den Geist einer
optimistischen, innovationsfreudigen Gestaltungskultur, der in einer immer
komplexeren Welt relevanter denn je erscheint.
Quellen: Die vorliegenden Ausführungen stützen sich auf eine Vielzahl von
Primär- und Sekundärquellen. Zitiert wurden unter anderem zeitgenössische
Dokumente und Erinnerungen (etwa Gropius’ Manifest und spätere Aussagen[14][91]), Darstellungen aus der Fachliteratur
und Museen (wie Beiträge des Deutschen Historischen Museums[128][129], des Goethe-Instituts[1], des Deutschlandfunks[130][106] sowie insbesondere die
Wikipedia-Artikel zum Bauhaus und seinen Persönlichkeiten[15][52][74]). Diese Belege untermauern die
dargestellten Fakten und liefern O-Töne, die die Atmosphäre und den Diskurs
jener Zeit nachvollziehbar machen. Sie zeigen das Bauhaus in all seinen
Facetten – als künstlerische Avantgarde, pädagogisches Experiment, politisches
Streitobjekt und letztlich weltweites Kulturerbe. Damit ermöglichen sie eine
fundierte wissenschaftliche Würdigung dieses einzigartigen Kapitels der
deutschen Kulturgeschichte.
[1] [3]
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Bauhaus und das Antlitz des 20. Jahrhunderts - Magazin - Goethe-Institut
Bulgarien
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Bauhaus – Wikipedia
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100 Jahre Bauhaus - Einheit von Handwerk und Kunst
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Bauhausgebäude Dessau – Wikipedia
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File:Bauhausgebäude Dessau.jpg - Wikimedia Commons
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LeMO Zeitstrahl - Weimarer Republik - Kunst und
Kultur - Bauhaus
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File:Bauhaus 3 Chair.jpg - Wikimedia Commons