Freitag, 17. Oktober 2025

Die Bauhaus-Kultur in Deutschland in den 1920er Jahren

Einleitung

Die Gründung des Bauhauses im Jahr 1919 markiert einen Meilenstein der Moderne und prägte die Entwicklung von Architektur, Design und Kunst im 20. Jahrhundert nachhaltig[1]. In nur 14 Jahren ihres Bestehens (1919–1933) revolutionierte die von Walter Gropius in Weimar ins Leben gerufene Schule Gestaltung und Lehre und brachte eine Epoche hervor, die unsere Lebenswelt bis heute beeinflusst[1]. Das Bauhaus kleidete die Welt „in abstrakt gemusterten Damast“, beschriftete sie mit serifenlosen Grotesk-Schriften, errichtete funktionale, lichtdurchflutete Bauten mit flachen Dächern und entwarf Stahlrohrmöbel, Gläser, Lampen und Kinderspielzeug in schlichten geometrischen Formen[1]. Zugleich änderte es für immer die Ausbildung in Kunst, Gestaltung und Architektur. Kurz: Das Bauhaus gilt als einflussreichste Designschule aller Zeiten und wird oft mit der Avantgarde der Klassischen Moderne gleichgesetzt[2][3].

Diese wissenschaftliche Abhandlung untersucht die Bauhaus-Kultur im Deutschland der 1920er Jahre in ihrer Gesamtheit. Sie beleuchtet die Entstehungsbedingungen in der Weimarer Republik, die zentralen Institutionen in Weimar, Dessau und Berlin sowie die maßgeblichen Akteure wie Walter Gropius, Hannes Meyer, Paul Klee und Wassily Kandinsky. Es werden die Leitideen und pädagogischen Konzepte des Bauhauses analysiert, ebenso wie die gestalterischen Ergebnisse in Architektur, Design und bildender Kunst. Ein besonderer Fokus liegt auf der gesellschaftlichen Dimension: der Rolle der Frauen am Bauhaus, den politischen Spannungen jener Zeit und der Reaktion der Öffentlichkeit. Darüber hinaus wird die internationale Ausstrahlung der Bauhaus-Bewegung erörtert, ebenso wie die Repression und Schließung der Institution nach 1933 durch das NS-Regime. Abschließend erfolgt eine kritische Gesamtbewertung der Bauhaus-Kultur im historischen Kontext, in der Erfolge und Grenzen dieser Bewegung reflektiert werden.

Das Bauhaus war ein Kind seiner Zeit – hervorgegangen aus den Umbrüchen nach dem Ersten Weltkrieg und dem Reformwillen der jungen deutschen Republik[4]. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte zum 100-jährigen Jubiläum 2019 den inneren Zusammenhang zwischen dem Bauhaus und dem Aufbruch in die Demokratie: Das Bauhaus habe die Freiheit der Weimarer Republik gebraucht und dieser im Gegenzug eine besondere kulturelle Ausdrucksform geschenkt[5]. Die nachfolgenden Kapitel werden zeigen, wie das Bauhaus als Treffpunkt der europäischen Avantgarde in den 1920er Jahren zum Inbegriff für Weltoffenheit und künstlerische Visionen wurde[6] – und wie es zugleich mit den politischen und sozialen Realitäten ringen musste. Durch die Verbindung von Kunst und Handwerk, von Theorie und Praxis, strebte das Bauhaus an, die Gestaltung aller Lebensbereiche zu erneuern und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Inwiefern diese ambitionierten Ziele erreicht wurden, wird im Folgenden kritisch untersucht.



Historischer Kontext: Weimarer Republik und kulturelle Moderne

Die Weimarer Republik (1918–1933) bildete den politischen und gesellschaftlichen Rahmen, in dem die Bauhaus-Kultur gedeihen konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg lag Deutschland in wirtschaftlicher und sozialer Krise; das Kaiserreich war zusammengebrochen, revolutionäre Unruhen erschütterten das Land[4]. Gleichzeitig herrschte ein Geist des Neuanfangs: In Politik und Kultur suchte man nach visionären Ideen für den Aufbau einer jungen Republik[7]. Die kulturelle Moderne der 1920er Jahre – mit Strömungen wie Expressionismus, Neuer Sachlichkeit, Dadaismus und Konstruktivismus – schuf ein innovationsfreundliches Klima. In Architektur und Design formierten sich reformorientierte Bewegungen, etwa der Deutsche Werkbund (gegründet 1907), der eine Verbindung von Kunst, Handwerk und Industrie anstrebte[8]. Walter Gropius selbst war Mitglied des Werkbunds bis 1933[9], und viele Prinzipien des Bauhauses knüpften an diese Reformbestrebungen an.

In diesem Kontext entstand das Bauhaus als Antwort auf das als chaotisch empfundene Nebeneinander von Kunststilen und den Bruch zwischen Kunst und Industrie nach 1918. Gropius erinnerte sich später: „Wir leben in einem solchen Chaos... durch den Einbruch der Industrie [ging] aller Zusammenhang zu einer Einheit verloren“[10]. Sein Anliegen war es, Wege zu finden, diese Kluft zu überwinden und eine neue gestalterische Einheit für die moderne Gesellschaft zu schaffen[10]. Die Weimarer Regierung und progressive Kräfte unterstützten die Idee einer modernen Kunstschule. So wurde Weimar, die thüringische Kleinstadt die durch Goethe und Schiller einst klassisches Kulturerbe repräsentierte, im Frühjahr 1919 vorübergehend zum politischen Zentrum der Republik – die Nationalversammlung tagte dort – und zugleich zum Labor für kulturelle Erneuerung[11].

Das Bauhaus profitierte anfangs von dem liberalen, experimentierfreudigen Klima der frühen Weimarer Republik. Steinmeier betont, dass das Bauhaus die Freiheit jener Demokratie brauchte[5]: Ohne die Abschaffung der Zensur und die Förderung avantgardistischer Projekte durch sozialdemokratisch geführte Landesregierungen wäre die Gründung einer derart unkonventionellen Institution kaum möglich gewesen. Die thüringische Regierung unter dem liberalen Staatsrat Hans von der Gabelentz und der belgische Designer Henry van de Velde – bis 1915 Direktor der Kunstgewerbeschule Weimar – ebneten den Weg, indem sie Gropius als Nachfolger van de Veldes vorschlugen[12]. Das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach hatte bereits vor dem Krieg eine fortschrittliche Kunstgewerbeschule, in der van de Velde moderne Lehrmethoden eingeführt hatte[13]. Die Reform der Ausbildung in angewandter Kunst war also ein längerfristiges Projekt, auf dem Gropius aufbauen konnte.

Gleichzeitig gab es von Anfang an auch Widerstände gegen die kulturelle Moderne. Konservative und nationale Kreise standen avantgardistischen Experimenten misstrauisch gegenüber. Sie lehnten abstrakte Kunst, funktionalistische Architektur und die kosmopolitische Zusammensetzung der Bauhaus-Lehrerschaft als „undeutsch“ oder „bolschewistisch“ ab. Diese Spannungen eskalierten im Verlauf der 1920er Jahre und bildeten den Hintergrund für spätere politische Angriffe auf das Bauhaus. Doch zunächst konnte die Schule einige Jahre in Weimar relativ ungestört wirken – getragen von dem Optimismus, mit Kunst und Design zur gesellschaftlichen Erneuerung beizutragen.

Gründung des Bauhauses in Weimar (1919–1925)

Am 12. April 1919 wurde das Staatliche Bauhaus in Weimar offiziell gegründet[12]. Es entstand durch die Zusammenlegung der bestehenden Hochschule für Bildende Kunst und der Kunstgewerbeschule Weimar, die kriegsbedingt 1915 geschlossen worden war[12]. Auf Vorschlag von Henry van de Velde – der seine Direktorenstelle aus politischen Gründen abgeben musste, da er Belgier war – wurde der erst 36-jährige Architekt Walter Gropius zum neuen Leiter ernannt[12]. Gropius gab der fusionierten Schule den programmatischen Namen Bauhaus, der an das mittelalterliche Bauhütte-Prinzip anknüpfen sollte. Damit betonte er die Ausrichtung auf das Bauen als gemeinsames Ziel aller Künste.

In seinem Bauhaus-Manifest, veröffentlicht am 1. April 1919, formulierte Gropius die grundlegende Idee: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!“ rief er aus – Architekten, Bildhauer und Maler müssten wieder das Bauen in seiner Gesamtheit begreifen lernen[14][15]. Er forderte die Künste auf, gemeinsam den „neuen Bau der Zukunft“ zu erschaffen, der Architektur, Plastik und Malerei zu einer Einheit verschmelzen sollte[14]. Dieser zukünftige Bau – gedacht als eine Art Kathedrale der Moderne – sollte als „kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens“ gen Himmel wachsen[14]. Gropius beschwor damit in pathetischen Worten eine utopische Vision: Alle gestalterischen Disziplinen – bis hin zu Tanz, Theater und Musik – sollten im Bauwerk der Zukunft integriert sein, analog zu einer Gesamtkunstwerk-Idee.

Grundlegend war auch die egalitäre Ausrichtung der neuen Schule. Im Manifest erklärte Gropius: „Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker“[16]. In der Praxis bedeutete dies, dass Studierende zunächst die handwerklichen Grundlagen erlernen und Materialien begreifen sollten, bevor sie sich als Künstler verstanden. Gropius rief dazu auf, „eine neue Zunft der Handwerker“ zu bilden – ohne die Standesdünkel, die zwischen freier Kunst und angewandter Kunst zur Kaiserzeit eine Mauer errichtet hatten[16]. Das Bauhaus sollte als Arbeitsgemeinschaft funktionieren, in der alle gemeinsam und praktisch tätig sind[8]. Dieser Gemeinschaftsgedanke spiegelte sich in flachen Hierarchien und im Titel der Lehrenden wider: Anstatt Professoren gab es Meister.

Walter Gropius bewies in den Anfangsjahren Geschick und Weitblick bei der Auswahl seines Lehrerkollegiums. Er holte Lyonel Feininger, Johannes Itten und Gerhard Marcks bereits 1919 als Meister ans Bauhaus, 1921 folgten Paul Klee und Oskar Schlemmer, 1922 schließlich Wassily Kandinsky[17]. Viele dieser Künstler waren damals noch nicht berühmt – ihre internationale Anerkennung stellte sich erst später heraus, wie Gropius retrospektiv bemerkte[18]. Dennoch waren sie bereits wichtige Vertreter der Avantgarde. Die Präsenz dieser Persönlichkeiten machte das Bauhaus früh zu einem Anziehungspunkt der europäischen Kunstszene. Anfang der 1920er Jahre entwickelte sich die Schule zu einem Treffpunkt der Avantgarde und galt als Inbegriff von Weltoffenheit und künstlerischer Vision[6]. Künstler und Intellektuelle aus dem In- und Ausland – etwa der Dadaist Tristan Tzara oder der De-Stijl-Architekt Theo van Doesburg – besuchten Weimar, hielten Vorträge oder arbeiteten inoffiziell mit den Bauhäuslern zusammen[19]. Van Doesburg etwa gab ab 1921 in Weimar Privatkurse über moderne Gestaltung, da Gropius ihm keine offizielle Meisterstelle geben wollte[19]. Sein Einfluss war dennoch beträchtlich: Insbesondere die Hinwendung zu einfachen kubischen Formen im Bauhaus-Stil wird auf van Doesburgs Wirken zurückgeführt[19]. So standen am Weimarer Bauhaus zunächst expressionistische und romantische Tendenzen (etwa Johannes Ittens mystisch-vegetabilische Formensprache) neben konstruktivistischen und geometrischen Ansätzen, die durch De Stijl und russische Konstruktivisten inspiriert waren[20]. Diese Koexistenz spiegelt den Übergang in der frühen Weimarer Republik von der emotionalen Aufbruchsstimmung des Expressionismus hin zur sachlichen, industrieorientierten Haltung der Mitte der 1920er Jahre.

Die Lehre am Bauhaus war von Beginn an innovativ. Gropius strukturierte die Ausbildung in zwei Stufen: einem einführenden Vorkurs und der anschließenden Arbeit in den Werkstätten[17]. Im Vorkurs sollten alle Studierenden – unabhängig von ihrem späteren Fach – die elementaren Grundlagen von Form, Farbe, Material und Komposition erlernen. Der Maler Johannes Itten, ein charismatischer Pädagoge, leitete diesen Vorkurs von 1919 bis 1922 und prägte ihn mit ganzheitlichen Methoden: Neben Materialübungen gehörten auch Formenlehre, Atem- und Gymnastikübungen und Orientierung an mystischen Lehren (Itten hing dem Mazdaznan-Kult an) zum Curriculum. In den Werkstätten erfolgte dann die Spezialisierung. Jede Werkstatt wurde von einem „Formmeister“ (Künstler) und einem „Handwerksmeister“ gemeinsam geführt[21] – ein ungewöhnliches Tandem aus künstlerischer und handwerklicher Expertise. So leitete z.B. der Bildhauer Gerhard Marcks zusammen mit einem Töpfermeister die Keramikwerkstatt; der Maler Paul Klee arbeitete mit einem Buchbindermeister in der Buchbinderei; Kandinsky wirkte in der Wandmalerei-Werkstatt, Schlemmer in der Bühnenwerkstatt, usw.[22]. Diese duale Struktur sollte sicherstellen, dass Entwürfe künstlerisch anspruchsvoll und handwerklich solide ausgeführt wurden. Der Spruch „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ wurde zum Motto, das bald auch die Lehrphilosophie bestimmte[23].

In der Frühphase in Weimar mischten sich in den Bauhaus-Projekten noch traditionelle und experimentelle Elemente. Ein Beispiel ist das Haus Sommerfeld in Berlin (1920–22), ein Gemeinschaftsprojekt von Bauhaus-Lehrern und -Schülern, bei dem Holzschnitzereien, farbige Glasfenster und expressionistische Ornamente eine große Rolle spielten[20]. Solche Werke waren stilistisch noch dem Expressionismus verpflichtet und zeigten eine „romantische Rückwendung“ zu vorindustriellen Handwerkstechniken[24]. Gropius selbst entwarf zusammen mit Adolf Meyer 1921/22 das Musterhaus „Am Horn“ in Weimar, das zur Bauhaus-Ausstellung 1923 als Modellhaus realisiert wurde[25][26]. Dieses kompakte Einfamilienhaus war der erste vollständig in Bauhaus-Regie geplante Bau. In Architektur und Einrichtung war es konsequent von der Neuen Sachlichkeit geprägt, insbesondere beeinflusst von der niederländischen De-Stijl-Bewegung[25]. Klare kubische Formen, weiße Wände, farbige Akzente nach einem Farbkonzept von Kandinsky/Schlemmer und eingebaute Möbel kennzeichneten das Haus Am Horn. Während die Fachwelt das Projekt aufmerksam registrierte, reagierte ein Teil der Öffentlichkeit reserviert: Solche neuartigen, sachlichen Bauten erschienen vielen Zeitgenossen „kalt“, „karg“ und „maschinell“[27] – Begrifflichkeiten, die noch öfter in der Kritik am Bauhaus auftauchen sollten.

Im Jahr 1923 kam es zu einer entscheidenden Weichenstellung: Unter dem Druck der thüringischen Regierung, die Ergebnisse sehen wollte, organisierte das Bauhaus im Sommer 1923 eine große Bauhaus-Ausstellung in Weimar[28]. Gropius, der zunächst meinte, es sei noch zu früh, um substanzielle Resultate zu zeigen, bündelte die Kräfte der Schule, um das bisher Erreichte zu präsentieren[28]. Vom 15. August bis 30. September 1923 öffnete die Ausstellung an mehreren Standorten ihre Pforten[29]. Eröffnet wurde sie mit einer festlichen Bauhauswoche, die beim Publikum und in der Presse großen Anklang fand[23]. Gropius selbst hielt den Eröffnungsvortrag mit dem programmatischen Titel „Kunst und Technik – eine neue Einheit“, womit er die künftig verstärkte Hinwendung des Bauhauses zur industriellen Formgebung ankündigte[23]. Es folgten Vorträge von Kandinsky („Über synthetische Kunst“) und vom niederländischen Architekten J. J. P. Oud über moderne niederländische Baukunst[30]. Oskar Schlemmers avantgardistisches Triadisches Ballett wurde im Deutschen Nationaltheater aufgeführt, es gab Konzerte mit zeitgenössischer Musik (u.a. von Paul Hindemith) und experimentelle Lichtspiel-Vorführungen von Bauhaus-Schüler Ludwig Hirschfeld-Mack[31]. Die Ausstellung zeigte Arbeiten aller Werkstätten und als Herzstück das eingerichtete Haus Am Horn[32], das als begehbares Manifest des neuen Wohnens diente. Begleitend veröffentlichte das Bauhaus ein Manifest/Begleitbuch „Staatliches Bauhaus in Weimar 1919–1923“ in 2600 Exemplaren (davon 300 in Englisch und 300 in Russisch), gestaltet von Herbert Bayer[33]. Die erfolgreiche Ausstellung bewies der Welt, dass das Bauhaus tragfähige Ideen und Produkte hervorgebracht hatte. Sie markiert zugleich einen Wandel in der Bauhaus-Philosophie: Kunst und Technik sollten fortan verbunden gedacht werden, weg von der rein handwerklich-romantischen Phase hin zu einer Offenheit für Industrie und Massenproduktion[34].

Doch trotz des Erfolgs wuchsen in Weimar die politischen Schwierigkeiten. Bei der Landtagswahl in Thüringen im Februar 1924 gewannen rechte, konservative Parteien an Einfluss. Der neue konservative Innenminister Richard Leutheußer (DVP) betrachtete das Bauhaus mit Skepsis und halbierte noch 1924 die staatliche Unterstützung um 50 %[35]. Diese drastische Mittelkürzung machte die Weiterführung in Weimar fast unmöglich. Gropius und sein Meisterrat erhielten jedoch Angebote anderer Städte, die das Bauhaus gerne aufnehmen würden – so z.B. vom Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der allerdings dann eine eigene Werkschule gründete[36]. Schließlich entschieden sich Gropius und die Bauhäusler 1925 zum Umzug nach Dessau, eine industriell geprägte Stadt in Anhalt[37]. Dessau bot ideale Bedingungen: Dort regierte eine stabile Koalition aus Sozialdemokraten und Liberalen, die der Moderne aufgeschlossen gegenüberstand[38]. Der fortschrittliche Bürgermeister Fritz Hesse lud das Bauhaus ein und stellte Mittel für Neubauten bereit, unterstützt vom Flugzeugindustriellen Hugo Junkers, der als Förderer moderner Architektur galt[38]. Gropius erstritt gerichtlich das Recht, den etablierten Namen Bauhaus weiterzuführen[39] – die Weimarer Regierung untersagte nämlich den Zurückbleibenden, diese Bezeichnung weiter zu verwenden, um Verwechslungen auszuschließen[40]. Im Frühjahr 1925 verließen Gropius, die Mehrheit der Studierenden und fast alle Meister Weimar. Einige Lehrkräfte blieben allerdings zurück oder suchten andere Wege: So ging etwa Gropius’ enger Mitarbeiter Adolf Meyer (kein Verwandter von Hannes Meyer) nach Frankfurt zum Projekt Neues Frankfurt[41], und der Grafiker Karl Peter Röhl wechselte an die Städelschule in Frankfurt[41]. Der Wegzug des Bauhauses markierte das Ende der Weimarer Phase – einer Phase des Experimentierens und Suchens, die den Grundstein legte für das, was in Dessau folgte.

Das Bauhaus in Dessau (1925–1932)

Dessau wurde zur neuen Heimstatt des Bauhauses und zur Bühne seiner größten Entfaltung. Am 21. März 1925 begannen die Bauarbeiten für ein eigens geplantes Schulgebäude, das Gropius mit seinem Architekturbüro entwarf[42]. Bereits am 4. Dezember 1926 konnte das neue Bauhausgebäude in Dessau feierlich eingeweiht werden[43]. In diesem ikonischen Bau – mit seinem verglasten Werkstattflügel, den asymmetrisch angeordneten Kuben und dem berühmten Bauhaus-Schriftzug an der Fassade – verwirklichte die Schule programmatisch ihre architektonischen Vorstellungen[44]. Gleichzeitig entstanden in unmittelbarer Nachbarschaft vier sogenannte Meisterhäuser als Wohn- und Arbeitshäuser für die Lehrer, ebenfalls nach Gropius’ Entwürfen[45]. Bauhausgebäude und Meisterhäuser gelten heute als Hauptwerke der modernen Architektur der Zwischenkriegszeit und als sichtbares Manifest des Neuen Bauens[44].

Bauhausgebäude in Dessau (Aufnahme 2016). Der Gebäudekomplex von Walter Gropius mit seinem gläsernen Werkstattflügel und dem markanten „Bauhaus“-Schriftzug gilt als Ikone der modernen Architektur und gehört seit 1996 zum UNESCO-Welterbe[46][47].

Mit dem Umzug nach Dessau erhielt das Bauhaus den Status einer Hochschule für Gestaltung (anstatt wie zuvor einer staatlichen Kunstgewerbeschule)[48]. Dies ging einher mit Veränderungen in Struktur und Programm. In Dessau konnte das Bauhaus seine in Weimar entwickelten Ideen von der Einheit von Kunst und Technik voll entfalten[48]. Hier begann die systematische Zusammenarbeit mit der Industrie: Schon 1925/26 entwarfen Bauhaus-Designer die ersten Möbel aus Stahlrohr, einem neuen Material, das sich als Inbegriff moderner Ästhetik etablieren sollte[49]. Berühmt wurde der Clubsessel B3 (später als Wassily-Chair bekannt) von Marcel Breuer, ein Freischwinger-Stuhl aus vernickelten Stahlrohren und Ledergurten, den Breuer 1925 entwickelt hatte[49]. Fast gleichzeitig experimentierten auch Mart Stam und Ludwig Mies van der Rohe mit freischwingenden Stahlrohrstuhl-Entwürfen[49]. Solche Möbel wirkten revolutionär leicht und schnörkellos und sollten industriell in Serie gefertigt werden – ein Bruch mit traditioneller Möbelbaukunst. Auch in anderen Bereichen wurden Bauhaus-Entwürfe mit industriellen Partnern realisiert: Die Metallwerkstatt (unter László Moholy-Nagy und später Marianne Brandt) kooperierte ab 1926 mit den Lampenfirmen Schwintzer & Graeff sowie Körting & Mathiesen (Kandem) in Leipzig[50]. Gemeinsam entwickelte man funktionale Tisch- und Stehleuchten für die Serienproduktion. Eine davon, die verstellbare „Kandem“-Nachttischlampe (Modell von Brandt/Bredendieck 1928), wurde in großer Stückzahl verkauft und von anderen Herstellern imitiert[51]. Auch die Weberei fertigte in Kleinserie Stoffe und Teppiche, die über Vertriebsfirmen angeboten wurden. Diese gezielte Orientierung auf Gebrauchsgegenstände für den Alltag entsprach dem neuen Credo des Bauhauses in Dessau, das Hannes Meyer später mit „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ auf den Punkt brachte[52].

Zur besseren Vermittlung seiner Ideen startete das Bauhaus Dessau auch publizistische Aktivitäten. Ab 1925 gaben Gropius und Moholy-Nagy die Bauhausbücher heraus, eine Buchreihe, die bis 1930 insgesamt 14 Bände umfasste[53]. In dieser Reihe erschienen Schriften der Meister (z.B. Punkt und Linie zu Fläche von Kandinsky, Pedagogisches Skizzenbuch von Klee, Die Neue Typographie von Jan Tschichold, Bauhausbauten Dessau von Gropius, Malerei, Fotografie, Film von Moholy-Nagy u.a.), die das theoretische Fundament der Schule dokumentierten. Zudem wurde ab Dezember 1926 vierteljährlich die Zeitschrift bauhaus herausgegeben[53], um aktuelle Arbeiten und Ideen einem größeren Leserkreis bekannt zu machen.

Das neue Bauhausgebäude selbst diente als Lehrstück moderner Gestaltung: Die Ausstattung wurde weitgehend in den eigenen Werkstätten hergestellt[54]. Die Möbel und Einbauten – etwa die Stühle für die Aula – stammten aus der Tischlerei unter Marcel Breuer[55]. Die Beleuchtungskörper für Klassenzimmer und Büros wurden zum großen Teil von Marianne Brandt in der Metallwerkstatt entworfen[56]. Möbel- und Vorhangstoffe kamen aus der Weberei unter Gunta Stölzl[57], Beschilderung und Beschriftung lieferte die Druckerei/Reklamewerkstatt, und die Innenanstriche entwickelte die Wandmalereiwerkstatt[58]. So demonstrierte das Gebäude selbst die angestrebte Synthese der Künste: Architektur, Innenausbau, Möbeldesign, Typografie und Farbgestaltung griffen ineinander. Die offene, lichtdurchflutete Architektur – z.B. die berühmte Vorhangfassade des Werkstattflügels – stand symbolisch für Transparenz und Fortschritt.

Im April 1928 kam es zu einem bedeutenden Führungswechsel: Walter Gropius trat von der Leitung des Bauhauses zurück[52]. Offiziell begründete er dies mit der Absicht, sich wieder verstärkt eigenen Architekturaufträgen widmen zu wollen[59] – tatsächlich spielte auch eine gewisse Amtsmüdigkeit und der Druck kontinuierlicher Angriffe eine Rolle. Gropius empfahl dem Dessauer Stadtrat als Nachfolger den Schweizer Architekten Hannes Meyer, der seit 1927 die neu geschaffene Architekturabteilung des Bauhauses leitete[60]. Meyer übernahm zum 1. April 1928 die Direktion[52]. Mit ihm hielt eine deutlich stärker sozial orientierte und politisch linksstehende Position Einzug ins Bauhaus. Hannes Meyer formulierte unverblümt die Devise „Volksbedarf statt Luxusbedarf“, was bedeutete, dass das Bauhaus sich auf die wirklichen Bedürfnisse der breiten Bevölkerung konzentrieren solle statt auf elitäre Designobjekte[52]. Dementsprechend forcierte Meyer die Entwicklung praktischer, erschwinglicher Produkte in den Werkstätten[61]. Unter seiner Leitung entstanden z.B. standardisierte Möbelprogramme (Typenmöbel) und Hausrat. Allerdings zeigte sich, dass wirtschaftlich gesehen nur wenige Werkstätten nennenswerte Einnahmen erzielten, nämlich vor allem die Weberei (mit Stoffverkäufen) und die Töpferei[61]. Die anderen Werkstätten – Metall, Tischlerei, Bauatelier – trugen trotz intensiver Bemühungen kaum zum Etat bei[61]. Dies verweist auf ein Spannungsfeld: So innovativ die Entwürfe waren, die Umsetzung in Massenproduktion und die Erschwinglichkeit für den „Volksbedarf“ blieben begrenzt.

Meyer veränderte auch die pädagogische Ausrichtung: Er baute die Architekturausbildung weiter aus (die unter Gropius erst im Entstehen war)[60]. Tatsächlich wurde am Bauhaus erst 1927 eine formale Architekturabteilung eingerichtet, und Meyer war ihr erster Leiter[60]. Er legte Wert auf Kollektivarbeit und Teamprojekte – weg vom Geniegedanken einzelner Künstler. Ein Bauhaus-Schüler, Gustav Hassenpflug, erinnerte: „Er (Meyer) trat für die Kollektivarbeit ein und schmähte sehr aggressiv den Formalismus... Sein unbestreitbares Verdienst ist die Aktivierung der Produktivarbeit der Werkstätten und die Zusammenarbeit mit der Industrie.“[62]. Meyer war Mitglied der KPD-nahen „Architektenring“-Gruppe und scheute sich nicht, seine linkssozialistischen Positionen offenzulegen[52]. Unter seiner Ägide beteiligte sich das Bauhaus verstärkt an städtebaulichen und sozialen Bauprojekten: beispielsweise plante man die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau bei Berlin (gebaut 1928–1930 unter Meyer’s Leitung) – ein funktionaler Internatskomplex, der ideale Schulungsbedingungen für Gewerkschafter bieten sollte. In Dessau selbst initiierte Gropius noch, ausgeführt dann durch Meyer, die Laubenganghäuser in der Siedlung Dessau-Törten (1929–30) als sozialen Wohnungsbau mit minimal ausgestatteten Wohnungen. Allerdings zeigte sich hier ein Problem: Die Bauhaus-Architektur war nicht unbedingt billig. Die von Gropius geplanten Reihenhäuser in Törten sollten die Wohnungsnot lindern. „Das Bauhaus hatte die Unterstützung der Sozialdemokratie, weil es sagte, wir lösen eure Wohnungsfrage und produzieren billige Wohnungen“, erläutert der Architekturhistoriker Philipp Oswalt[63]. „Dann stellt sich heraus, das, was Gropius da baut, ist 15 Prozent teurer als das normale Haus. Und das führt eigentlich zu einem Bruch mit der Sozialdemokratie.“[64]. Dieser Befund verdeutlicht eine zentrale Kritik: Trotz hehrer Absichten gelang es dem Bauhaus oft nicht, wirklich kostengünstige Lösungen für den Massenbedarf zu liefern. Die Siedlung Törten war architektonisch modern, aber eben nicht günstiger als konventioneller Wohnungsbau[65]. Dies führte zu Spannungen mit den politischen Unterstützern vor Ort und zeigt die Diskrepanz zwischen avantgardistischem Anspruch und ökonomischer Realität.

In kultureller Hinsicht entwickelte sich das Bauhaus unter Meyer weg von der ursprünglich breit gefächerten Orientierung (inklusive Bühnenkunst, Malerei etc.) hin zu einem mehr technisch-wissenschaftlichen Fokus. Meyers Mantra war die funktionale, empirisch begründete Gestaltung: Design- und Architekturentscheidungen sollten aus den objektiven Bedürfnissen der Nutzer und aus materialgerechten, zweckbestimmten Überlegungen abgeleitet sein. Viele der eher künstlerisch orientierten Meister verließen in dieser Zeit das Bauhaus – teils freiwillig, teils infolge interner Konflikte. So ging z.B. László Moholy-Nagy 1928 nach Berlin, Herbert Bayer 1928 nach Berlin, und 1929 schied auch Gunta Stölzl aus (sie hatte 1927 als erste und einzige Frau eine Meisterstelle – Leitung der Weberei – erhalten)[66]. Die personelle Zusammensetzung veränderte sich also deutlich.

Unterdessen verschärfte sich die politische Großwetterlage. In Dessau regierte zwar noch eine tolerante Stadtregierung, aber auch hier formierte sich Widerstand gegen das Bauhaus. Viele Bürger und insbesondere konservative Kreise sahen die Schule als Sammelbecken von Linken und Ausländern. Tatsächlich hatten einige Studierende und Jungmeister enge Kontakte zur KPD, es gab eine Bauhaus-Theatergruppe mit politisch-satirischen Stücken etc. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), die ab Ende der 1920er massiv Zulauf bekam, hetzte gezielt gegen die „Bolschewistenbrut“ am Bauhaus. Im städtischen Wahlkampf in Dessau 1931 forderte ein NSDAP-Flugblatt an erster Stelle die sofortige Einstellung aller städtischen Gelder für das Bauhaus, die Entlassung aller „ausländischen“ Meister und sogar den Abriss des Schulgebäudes[67][68]. Wörtlich hieß es: „...daß deutsche Volksgenossen hungern, während Ausländer in überreichlichem Maße aus den Steuergroschen des darbenden Volkes besoldet werden... Der Abbruch des Bauhauses ist sofort in die Wege zu leiten.“[69]. Dieses Pamphlet zeigt die nationalistische, fremdenfeindliche und anti-moderne Stoßrichtung der Nazi-Propaganda. Zwar konnte 1931 ein erster Versuch der Nazis im Dessauer Stadtrat, das Bauhaus zu schließen, noch knapp abgewehrt werden[70], doch der Druck nahm zu.

Schließlich geriet Hannes Meyer selbst ins Visier. Seine offenen Sympathien für den Sozialismus machten ihn angreifbar. Im Sommer 1930 sah sich der Dessauer Oberbürgermeister gezwungen, Meyer als Direktor zu entlassen – offiziell wegen „kommunistischer Machenschaften“[71]. Diese Entlassung am 1. August 1930 war politisch motiviert und bedeutete einen herben Einschnitt. Hannes Meyer verließ mit einer Gruppe treuer Schüler Deutschland Richtung Sowjetunion, um dort in der Stadtplanung zu arbeiten[72]. Damit endete abrupt die „linke Phase“ des Bauhauses.

Ludwig Mies van der Rohe, einer der führenden Architekten der Moderne, übernahm im Anschluss die Leitung des Bauhauses am 1. September 1930[73]. Mies – kein Bauhaus-Gründer der ersten Stunde, aber seit 1928 als Dozent für Architektur am Bauhaus tätig – vertrat ästhetisch eine eher puristische, elegante Moderne und politisch eine unauffällig konservative Haltung. Er war entschlossen, das Bauhaus aus den Schusslinien der Politik herauszuhalten und den Unterricht zu depolitisieren[74]. Um die Nazis nicht weiter zu provozieren, rückte Mies die Architektur ins Zentrum der Ausbildung, schloss mehrere Produktionswerkstätten (die Weberinnenwerkstatt blieb aber als Klasse bestehen) und verordnete der Hochschule eine strikte politische Neutralität[75]. Die Studierenden mussten sich nach Meyers Entlassung neu immatrikulieren, um „Unruhestifter“ auszusieben[74]. Unter Mies’ Regie wurde das Curriculum verschulter und konzentrierte sich hauptsächlich auf Bauplanung, Innenraumgestaltung und architektonische Theorie – ein Ansatz ähnlich einer konventionellen Architekturschule. Viele künstlerische Experimente (Theater, Fotografie, freie Malerei) traten demgegenüber in den Hintergrund.

Doch trotz aller Anpassungsversuche konnte Mies die äußeren Umstände nicht kontrollieren. Bei den Gemeinderatswahlen in Dessau im November 1931 wurde die NSDAP stärkste Kraft[76]. Im Stadtrat stellten die Nationalsozialisten im Frühjahr 1932 den Antrag auf endgültige Schließung des Bauhauses – und diesmal fanden sie eine Mehrheit[77]. SPD und KPD waren inzwischen geschwächt; die SPD-Räte enthielten sich, nur die Kommunisten stimmten gegen die Schließung[73]. Am 22. August 1932 beschloss der Dessauer Rat die Schließung des Bauhauses zum Ende September 1932[78]. Damit war die Ära Dessau abrupt beendet. Mies van der Rohe arrangierte daraufhin einen privaten Neuanfang in Berlin: Er mietete eine leerstehende ehemalige Telefonfabrik in Berlin-Steglitz (Birkbuschstraße) und versuchte, das Bauhaus auf eigene Rechnung als Privatschule weiterzuführen[79]. Mies erinnerte sich später, dass ihm diese improvisorische Lösung in Berlin fast besser gefiel: „Es gefiel uns da eigentlich besser als im Bauhaus, es war nicht so prätenziös, hinter einem schmutzigen, verfallenen Bretterzaun. Wer da zu uns kam, der wollte wirklich zu uns kommen.“[79]. In der Tat waren die Studierenden, die Mies nach Berlin folgten, eine kleine, hochmotivierte Gruppe. Doch die politische Lage 1932/33 war alles andere als günstig für solche Vorhaben.

Berlin und das Ende des Bauhauses (1932–1933)

Die Berliner Phase des Bauhauses war nur ein kurzes Intermezzo, das letztlich vom Machtantritt der Nationalsozialisten überschattet wurde. Im Oktober 1932 nahm das Bauhaus Berlin mit stark reduzierter Besetzung in einem Fabrikgebäude in Berlin-Lankwitz seine Tätigkeit auf[73][79]. Mies van der Rohe finanzierte die Schule teilweise aus eigener Tasche und versuchte weiterhin, durch politische Zurückhaltung ein Überleben zu sichern. Doch nach der Reichstagswahl im März 1933 und der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 verschlechterten sich die Bedingungen dramatisch. Bereits Anfang April 1933, wenige Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, kam es zum direkten Zugriff der neuen Machthaber: Die Gestapo führte am 11. April 1933 im Bauhaus Berlin eine Hausdurchsuchung durch[80]. Mies van der Rohe berichtete, er sei an jenem Morgen gekommen und habe das Gebäude von Polizei umstellt vorgefunden: „Halt!“ riefen die Posten. Mies protestierte: „Was bedeutet das? Es ist meine Schule, die gehört mir!“, doch man ließ ihn nicht gewähren[81]. Die Räume wurden versiegelt, sämtliche anwesenden Studierenden vorübergehend festgenommen[82]. Mies selbst wurde stundenlang verhört[82]. Dieser einschüchternde Akt führte dazu, dass die noch verbliebenen Bauhaus-Lehrer in einer Krisensitzung am 20. Juli 1933 die Selbstauflösung des Bauhauses beschlossen[82], um einer drohenden offiziellen Schließung und möglichen weiteren Repressionen zuvorzukommen. Damit endete die institutionelle Geschichte des Bauhauses.

Es sei angemerkt, dass Mies van der Rohe anfänglich versuchte, mit dem NS-Regime zu arrangieren. In der Hoffnung, sein Lebenswerk zu retten, zeigte er eine gewisse Bereitschaft zu Zugeständnissen: Er trat 1933 der Reichskulturkammer bei und unterzeichnete sogar einen Wahlaufruf für Hitler[83]. Doch diese Loyalitätsbekundungen nützten nichts; die Nationalsozialisten ließen keinen Raum für die Weiterführung einer als „entartet“ geltenden Institution. Mies erkannte bis 1938, dass es für ihn in Deutschland keine Zukunft gab, und emigrierte schließlich in die USA[83] – den Weg, den Gropius und Breuer bereits 1934 bzw. 1937 gegangen waren.

Die Zerschlagung des Bauhauses durch die Nationalsozialisten war ein gezielter Akt ideologischer Kulturpolitik. Das Bauhaus stand in diametralem Gegensatz zur NS-Ideologie in Kunst und Architektur. Hitler und seine Gefolgsleute propagierten einen neoklassizistischen, an heroischer Monumentalität orientierten Baustil sowie eine figurative, völkisch-traditionelle Kunstauffassung. Das Bauhaus hingegen repräsentierte Internationalität, Abstraktion, Rationalismus – in den Augen der Nazis alles Ausdruck eines angeblich „kulturbolschewistischen“ Verfalls. Viele Bauhausangehörige waren zudem politisch linksstehend oder jüdischer Herkunft, was sie doppelt zur Zielscheibe machte. Mindestens 21 Künstlerinnen und Künstler des Bauhauses wurden während der NS-Herrschaft in Konzentrationslagern oder Gefängnissen ermordet[84]. Zu den Opfern zählten etwa der Architekt Friedl Dicker-Brandeis (ermordet 1944 in Auschwitz) oder der Grafiker Franz Ehrlich, der zwar überlebte, aber im KZ Buchenwald interniert war – wo er ironischerweise im Lagerauftrag Schriften im Bauhaus-Stil entwerfen musste[85][86]. Einige Bauhaus-Mitglieder traten allerdings auch der NSDAP bei oder kooperierten – insgesamt 188 ehemalige „Bauhäusler“ waren Parteimitglieder, 15 in der SA und 14 in der SS[87]. Diese Zahlen überraschen und mahnen, dass die individuelle Haltung der Bauhaus-Absolventen in der NS-Zeit differenziert zu betrachten ist. Manche wie Mies oder der Designer Herbert Bayer versuchten anfangs, sich mit dem Regime zu arrangieren (Bayer arbeitete einige Jahre in Deutschland weiter und gestaltete z.B. Ausstellungen für die Nazis, bevor er 1938 emigrierte). Andere gingen innere Emigration oder ins Exil.

Trotz vereinzelter Mitläufer: Die Ideen des Bauhauses galten den Nazis als gefährlich und wurden gnadenlos unterdrückt. Moderne Kunst insgesamt wurde in Deutschland als „entartet“ verfemt. Die Schließung des Bauhauses war somit Teil der Gleichschaltung und der Kulturpolitik, die jede avantgardistische Tendenz ausmerzen wollte. Bereits vor 1933 hatten reaktionäre Künstler wie Paul Schultze-Naumburg das Bauhaus in Hetzschriften attackiert. Schultze-Naumburg, der 1932 mit dem NS-Ministerpräsidenten Alfred Freyberg das Dessauer Bauhausgebäude inspizierte[88], geißelte die Bauhaus-Ästhetik als fremd und degeneriert. In seinem Buch „Kunst und Rasse“ (1928) setzte er moderne Kunst mit geistiger Erkrankung gleich. Solches Gedankengut führte letztlich zur Ächtung und Verfolgung der Bauhaus-Anhänger in Deutschland nach 1933.

Leitidee und Pädagogik am Bauhaus

Die ideellen Grundlagen und die pädagogische Praxis des Bauhauses waren ebenso revolutionär wie seine Gestaltungsergebnisse. Walter Gropius’ Leitidee war die Aufhebung der Trennung zwischen bildender und angewandter Kunst, zwischen Künstler und Handwerker[16]. Das Bauhaus-Konzept zielte darauf ab, eine neue Generation von Gestaltern auszubilden, die sowohl künstlerisch kreativ als auch handwerklich-technisch versiert sein sollten. Kunst sollte nicht länger weltfremd im „Salon“ existieren, sondern in den Alltag einziehen und durch solide handwerkliche Arbeit geerdet sein[14]. Gropius sprach von einer neuen „Zunft der Handwerker“, die ohne die hierarchische Anmaßung der alten Akademien auskommen müsse[16]. Dieser egalitäre Ansatz manifestierte sich darin, dass am Bauhaus alle Studierenden das gleiche Fundament durchlaufen sollten – unabhängig davon, ob sie Maler, Architekten, Bildhauer oder Designer werden wollten.

Der Vorkurs war das zentrale Element dieses Ausbildungsmodells. Wie erwähnt, vermittelte er die Grundlagen des Gestaltens: Materialstudien, Form- und Farbübungen, Kompositionslehre, Rhythmik. Johannes Itten entwickelte ab 1919 eine neuartige Didaktik, in der die Schüler z.B. lernen mussten, verschiedene Materialien (Holz, Stoff, Glas, Metall etc.) haptisch und sensorisch zu erfahren und ihre Eigenschaften zu beschreiben. Formübungen bestanden darin, Grundformen (Kreis, Quadrat, Dreieck) variantenreich zu kombinieren, Hell-Dunkel-Kontraste zu erkunden und Farbwirkungen zu erproben. Itten legte Wert auf das subjektive Erleben – die berühmten „Itten'schen Farbkreise“ sollten auch emotionale Assoziationen wecken. Nach Ittens Weggang 1923 übernahm László Moholy-Nagy den Vorkurs und führte eine mehr sachlich-analytische Methodik ein. Moholy-Nagy integrierte Elemente der Wahrnehmungspsychologie und des „New Vision“ (neue Sehen, inklusive Fotografie) in den Unterricht. Später (ab 1928) leitete Josef Albers den Vorkurs, der weiterhin Herzstück der Ausbildung blieb und zum Vorbild für Kunst- und Designschulen weltweit werden sollte[89][90]. Die Idee, dass alle Schüler zunächst unvoreingenommen die Basics von Form, Farbe, Material und Komposition erlernen – heute würde man es Grundlagenseminar Design nennen – ist ein direkter Nachfahre des Bauhaus-Vorkurses.

Die Werkstätten stellten die zweite Phase der Ausbildung dar. Das Bauhaus verfügte über eine Reihe von Werkstätten, die produktorientiert arbeiteten: Tischlerei (Möbel), Metallwerkstatt (Leuchten, Kleinmetall), Töpferei (Keramik, allerdings in Dornburg bei Weimar unter Marcks und später eingestellt), Weberei (Textildesign), Buchbinderei/Druckerei (Grafik, Typografie), Wandmalerei (Innenausstattung, farbliche Gestaltung von Räumen), Bildhauerei (Holz- oder Steinbildhauerarbeiten, zeitweise) sowie eine Bühnenwerkstatt (Experimentelles Theater unter Oskar Schlemmer). Jede Werkstatt wurde, wie zuvor beschrieben, von einem Formmeister (Künstler) und einem Handwerksmeister gemeinsam geleitet[21]. Die Lernenden (Gesellen und Lehrlinge) arbeiteten an realen Aufträgen oder entwickelten Prototypen unter Anleitung. Das Ziel war eine Ausbildung durch Praxis: „lernen durch machen“. Dabei sollten die Studierenden nicht einfach den Stil des Lehrers kopieren, sondern eigenständige Lösungen finden. Gropius betonte später, man habe versucht, „eine Wissenschaft des Designs aufzubauen, die sich aus den objektiven Dingen des menschlichen Lebens zusammensetzt, und dieses Material dem Einzelnen zu übergeben, dass er dann daraus etwas für sich selbst aufbaut“[91]. Dieses Zitat macht deutlich, dass es Gropius um eine Art Gestaltungsforschung ging: Die Bauhauspädagogik sollte systematisch die Gesetze der Gestaltung erkunden (etwa Statik, Ergonomie, Farblehre, Psychologie) und den Schüler befähigen, daraus eigenständig schöpferisch tätig zu werden, anstatt bloß Vorbilder zu imitieren[91].

Die Bauhausmeister entwickelten teils eigene Lehrschriften und Theorien: Wassily Kandinsky publizierte 1926 seine Analyse „Punkt und Linie zu Fläche“, in der er die Grundlagen einer abstrakten Formen- und Linienlehre darlegte. Paul Klee verfasste das „Pädagogische Skizzenbuch“ (1925)[92], worin er seine Unterrichtsnotizen zu Form- und Gestaltungsproblemen zusammenfasste (beispielsweise die berühmte „Linie, die einen Spaziergang macht“ als Beschreibung des kreativen Prozesses einer Zeichnung). Diese Schriften beeinflussten Generationen von Kunstpädagogen. In den technischen Bereichen schuf beispielsweise Joost Schmidt Grundlagenwerke zur Typografie und Layoutgestaltung, und Hannes Meyer schrieb 1928 programmatische Thesen zur architektonischen Ausbildung („wissenschaftliche Architektur“). Die Vielfalt der Ansätze war groß, doch alle teilten die Überzeugung, dass Gestalten lehr- und lernbar sei – und zwar mittels moderner, interdisziplinärer Methoden, die Kunst mit Erkenntnissen aus Psychologie, Physik, Soziologie verbinden.

Ein weiterer pädagogischer Aspekt am Bauhaus war die Betonung von Werkstattarbeit statt akademischem Unterricht. Es gab kaum traditionelle Vorlesungen; vielmehr arbeiteten Lehrer und Schüler gemeinsam an Projekten. Die Hierarchie war relativ flach – man sprach sich mit du an (was in Deutschland damals unüblich war in Lehrer-Schüler-Verhältnissen) und pflegte einen kameradschaftlichen Umgang. Die Bauhaus-Feste, legendäre Masken- und Themenfeste, bei denen alle Werkstätten fantasievollen Raumschmuck, Kostüme und experimentelle Beiträge lieferten, stärkten den Gemeinschaftsgeist. Diese Feste (Metallisches Fest, Weißes Fest, Drachenfest etc.) hatten durchaus pädagogische Dimension, indem sie Kreativität und interdisziplinäre Zusammenarbeit förderten – und zugleich den Ruf des Bauhauses als hippe Avantgarde-Kommune begründeten.

Die Rolle der Frauen in der Ausbildung war ein spezielles Thema (das im nächsten Kapitel detailliert behandelt wird). Hier sei aber erwähnt, dass Gropius zu Beginn ausdrücklich verkündete, es würden „Personen jeden Alters und Geschlechts“ aufgenommen, sofern begabt[93]. Tatsächlich waren in den Anfangsjahren über 30–40 % der Studierenden Frauen – ein damals sensationell hoher Anteil[93]. Allerdings lenkte man die meisten Frauen in bestimmte Werkstätten (v.a. Weberei), was faktisch eine Segregation bedeutete. Insofern entsprach die Praxis nicht vollends der egalitären Theorie. Trotzdem zählte das Bauhaus zu den ersten Institutionen, die Frauen den gleichberechtigten Zugang zu einer Kunsthochschule erlaubten[93].

Zusammenfassend war die Bauhaus-Pädagogik gekennzeichnet durch Experimentierfreude, Ganzheitlichkeit und Praxisbezug. Sie verband künstlerische Intuition mit analytischem Denken, traditionelles Handwerk mit Industrieästhetik. Viele heutige Designschulen basieren auf diesem Modell des Grundlagensemesters und projektorientierten Lernens in Studios. Das Bauhaus hat damit nicht nur Formen und Produkte hervorgebracht, sondern auch ein bis heute wirksames Lehrmodell für kreatives Arbeiten etabliert[90].

Architektur am Bauhaus

Die Architektur spielte im Programm des Bauhauses eine zentrale, wenn auch zunächst theoretische Rolle – Gropius proklamierte ja: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau“[15]. Interessanterweise gab es aber in den frühen Weimarer Jahren noch keine vollwertige Architekturausbildung. Zwar richtete Gropius 1920 eine „Bauabteilung“ ein, geleitet von seinem Mitarbeiter Adolf Meyer, doch systematischen Unterricht im Entwerfen von Gebäuden gab es vorerst nicht[94]. Gropius selbst entwarf in dieser Zeit bereits Bauten (z.B. das Denkmal für die Märzgefallenen in Weimar 1921 oder Haus Sommerfeld), aber als Lehrfach startete Architektur am Bauhaus erst in Dessau: 1927 übernahm Hannes Meyer die neu geschaffene Architekturabteilung[60]. Von da an wurde die Architekturausbildung intensiviert, und unter Mies van der Rohe (ab 1930) rückte sie ins Zentrum.

Trotz des zögerlichen Beginns hat das Bauhaus einige bedeutende architektonische Werke hervorgebracht, direkt oder indirekt. An erster Stelle stehen die eigenen Schulgebäude: das Bauhausgebäude in Dessau (1925/26) mit seinen funktionalen Baukörpern, Flachdächern, dem ausgeprägten Flügelbau für die Werkstätten und den viel zitierten Vorhangfassaden aus Glas[44]. Dieser Bau gilt als wegweisend für die moderne Architektur und als Ikone des Internationalen Stils[44]. Charakteristisch sind die asymmetrische Komposition der Bauvolumen, die Betonung der horizontalen Linien (etwa durch die durchgehenden Fensterbänder im Ateliertrakt), das Fehlen von Ornamenten und die sichtbare Materialehrlichkeit (Beton, Stahl und Glas dominieren). Gropius demonstrierte hier architektonisch Prinzipien wie Form folgt Funktion und eine klare Trennung der Funktionen in unterschiedlichen Baukörpern (Werkstätten, Unterrichtsräume, Ateliers, Verwaltung sind getrennt gruppiert). Auch innen setzte das Gebäude Standards: Offene Grundrisse, eingebaute Möbel, die Verwendung der neuen Bauhaus-Möbel und -Leuchten, farbige Wandakzente nach einem rationalen Farbschema (entwickelt von Hinnerk Scheper) – all das machte das Bauhausgebäude zum Gesamtkunstwerk der Moderne.

Ein weiteres Schlüsselwerk sind die Meisterhäuser in Dessau (1925–26): vier kubische Doppelhäuser, in denen Gropius, Moholy-Nagy, Feininger, Klee, Kandinsky, Schlemmer und ihre Familien wohnten. Diese weiß verputzten Flachdachhäuser setzten den Anspruch des Neuen Bauens im Wohnungsbau um. Jeder Zierrat fehlt, die Grundrisse sind offen und großzügig, die Fassaden durch Balkone, Fensterbänder und Vorsprünge plastisch gegliedert. Die Meisterhäuser wurden zum Vorbild für modernes Siedlungsdesign und zeigen zugleich, dass die Bauhaus-Architektur nicht nur für Fabriken oder Schulen gedacht war, sondern auch ein neues Wohnen propagierte – hell, klar strukturiert, funktionsgerecht.

Bereits in Weimar gab es mit dem Haus Am Horn (1923) ein Pilotprojekt für Architektur. Dieses kleine Ausstellungshaus wies konsequent moderne Merkmale auf: Ein quadratischer Grundriss mit zentralem Wohnraum (überdacht von einem Oberlicht), standardisierte Einbaumöbel für Küche und Wohnbereiche, farblich differenzierte Wände nach einem Konzept von Schlemmer/Moholy, minimalistische Formen[25]. Das Haus Am Horn gilt als erstes realisiertes Bauhaus-Gebäude und bewies, dass die Ideen auch architektonisch umsetzbar sind[25].

Unter Hannes Meyer verlagerte sich der Schwerpunkt auf soziales Bauen. In Dessau entwarf Gropius schon 1926/27 die Siedlung Dessau-Törten, die aus Reihenhäusern für Arbeiterfamilien bestand. Diese Reihenhäuser waren radikal schlicht: rechteckige zweigeschossige Einheiten mit Flachdach, kleinen Gärten, standardisierten Fenstern und minimaler Wohnfläche (ca. 57 m²). Obwohl Gropius hier auf Vorfertigung und Typisierung setzte, zeigte sich – wie oben erwähnt – die Kostenproblematik (die Häuser waren teurer als geplant)[65]. Meyer führte das Thema mit den Laubenganghäusern (1929) fort: Drei vierstöckige Wohnblocks in Dessau mit durchgehenden Laubengängen als Erschließung, vorgesehen für Kleinwohnungen. Sie stellten einen Beitrag zur Wohnungsnot-Linderung dar und entsprachen Meyers Funktionsprinzip, waren aber ästhetisch vielen Dessauern fremd. Das größte Bauhaus-Bauprojekt war die erwähnte ADGB-Bundesschule bei Bernau (1928–1930). Dieses Internatsschulungszentrum – geplant von Meyer mit Bauhaus-Studenten wie Hans Wittwer – fügt sich flach und langgestreckt in die Landschaft, mit klaren rechten Winkeln und viel Glas. Bis hin zu Möbeln und Außenanlagen war alles durchgestaltet und atmet den Geist von Einfachheit und Funktionalität. Die ADGB-Schule wird heute als eines der Hauptwerke der Bauhaus-Architektur gewürdigt und ist UNESCO-Welterbe.

Mies van der Rohe führte am Bauhaus keine großen Neubauten mehr aus (das Bauhaus war ja auf der Flucht in Berlin). Allerdings brachte Mies seine eigene Architektursprache in den Unterricht ein: luxuriöse Einfachheit, perfekte Proportionen und Materialeleganz. Er ließ im Unterricht bevorzugt architektonische Entwurfsübungen machen, die dem avantgardistischen internationalen Diskurs entsprachen (Wolkenbügel, Hochhausentwürfe etc.). Mies’ eigene berühmte Bauten jener Zeit – z.B. der Barcelona-Pavillon (1929) oder die Villa Tugendhat in Brünn (1930) – sind zwar nicht Bauhausprojekte per se, doch sie wurden von Bauhaus-Ideen beeinflusst und umgekehrt prägten sie das Verständnis der Studierenden für Raum und Material.

Als stilistische Begriffe werden Bauhaus-Architektur und verwandte Strömungen auch unter „Neues Bauen“, „Neue Sachlichkeit“, „Funktionalismus“ oder „Internationaler Stil“ zusammengefasst[95]. Es ist dabei wichtig, das Bauhaus nicht isoliert als eigenen Architekturstil zu sehen, sondern als Teil einer globalen Entwicklung[96]. Gropius, Mies, Le Corbusier, J. J. P. Oud, Frank Lloyd Wright, die russischen Konstruktivisten – sie alle trugen in den 1920ern zur Entstehung der modernen Architektur bei. Das Bauhaus hat aber unbestreitbar wesentliche Beiträge geliefert: durch seine Bauten, seine Lehrtätigkeit und seine prominenten Absolventen, die weltweit modernistische Architektur realisierten.

Die zeitgenössische Rezeption der Bauhaus-Architektur in Deutschland war gespalten. Progressiven Intellektuellen galt sie als Verheißung einer neuen, demokratischen Baukultur – licht, hygienisch, rational, passend zur Maschine und zum Neuen Menschen. Konservative Kritiker schmähten die Flachdachbauten als unpraktisch und „undeutsch“. In Weimar intervenierten Handwerker gegen die „kalte“ Ästhetik, in Dessau wetterten Bürger, die würfelförmigen Häuser seien „Schuhschachteln“. Nichtsdestotrotz setzte sich die Formensprache des Bauhauses (oder allgemeiner: der Moderne) nach und nach in vielen Bauaufgaben durch, etwa im Siedlungsbau (z.B. Siedlung Dessau-Törten, Neues Frankfurt, Stuttgarter Weißenhofsiedlung 1927). Der Kubus, das Flachdach, das Fensterband – all das wurde zu Kennzeichen dessen, was man populär „Bauhausstil“ nennt, auch wenn dieser Begriff aus kunsthistorischer Sicht verkürzt ist[96]. Tatsächlich war die Bauhaus-Architektur nur ein Ausschnitt einer internationalen Bewegung, doch sie war so prägend, dass umgangssprachlich „Bauhausstil“ als Synonym für sachliche Moderne verwendet wird[96].

Zusammenfassend war die Architektur am Bauhaus auf die Fusion von Ästhetik, Technik und sozialer Verantwortung gerichtet. Sie sollte schön sein im Sinne von klar und wahrhaftig, technisch zeitgemäß durch Einsatz moderner Materialien und Methoden, und sozial, indem sie dem Menschen und seinen Bedürfnissen dient. Diese Prinzipien klingen selbstverständlich, doch in den 1920er Jahren bedeuteten sie eine radikale Abkehr von Historismus und Dekor. Die Erbschaft der Bauhaus-Architektur zeigt sich bis heute in jedem funktionalen Bau mit Flachdach oder jedem Baukastensystem im Wohnungsbau – auch wenn die Bedingungen sich verändert haben.

Kunst und Design am Bauhaus

Neben der Architektur entfaltete das Bauhaus weitreichende Aktivitäten in Design, Kunsthandwerk und visueller Kunst, die das moderne Lebensumfeld prägen sollten. Der Ansatz der Schule war interdisziplinär: Bildende Kunst, angewandte Kunst und sogar darstellende Kunst wirkten zusammen[97]. Dadurch entstanden am Bauhaus neuartige Produkte und Kunstwerke, die in ihrer formalen Klarheit und Funktionalität Maßstäbe setzten.

Produktdesign und Kunsthandwerk: In den Werkstätten des Bauhauses wurden zahlreiche Designklassiker geschaffen, insbesondere in den Bereichen Möbel, Beleuchtung, Textil und Gebrauchsgegenstände. Bereits erwähnt wurden Marcel Breuers Stahlrohrmöbel – allen voran der Wassily-Stuhl (B3), aber auch der Cesca-Stuhl (B 32) mit geflochtener Rohrgeflechtsitzfläche und Freischwingergestell, den Breuer 1928 entwarf. Breuers Arbeiten stehen exemplarisch für die Bauhaus-Maxime, traditionelles Handwerk (Möbeltischlerei) mit industriellen Materialien (Stahl) zu kombinieren, um neue ästhetische und praktische Lösungen zu erzielen[49]. Ein anderes ikonisches Objekt ist die Tischlampe „WG24“ von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker (1924): eine kleine Lampe mit kugelförmischem Opalglas-Schirm und vernickeltem Metallfuß, auch „Bauhaus-Lampe“ genannt. Ihre schlichte, harmonische Form und die Verwendung serieller Fertigung machten sie zum Sinnbild guten Designs. Ebenso berühmt ist die Kandem-Lampe von Marianne Brandt (1928) – eine funktionale Nachttischlampe mit einstellbarem Schwanenhals, die industriell produziert wurde und sich großer Nachfrage erfreute[98].

In der Metallwerkstatt entwarf Marianne Brandt darüber hinaus elegante Haushaltsgegenstände, etwa Teekannen, Samoware, Schalen und Aschenbecher aus Metall. Ihr silberner Teekessel mit Ebenholzgriff (1924) oder ihr berühmter Aschenbecher (1924) mit kreisrund reduziertem Design werden heute in Museen ausgestellt und zeugen von der formalen Meisterschaft, komplexe Dinge auf geometrische Grundformen zurückzuführen. Diese Stücke wurden zwar nur in Kleinserie gefertigt (teils als Prototypen, teils bei Partnerfirmen wie Ruppelwerk Gotha), doch sie beeinflussten das Industriedesign nachhaltig.

Die Schreinerei/Tischlerei unter Joost Schmidt und später Marcel Breuer produzierte neben Möbeln auch Innenausbauten wie Einbauschränke oder experimentelle Wohnmodule. Alma Siedhoff-Buscher, eine der wenigen Frauen, die in der Tischlerei arbeiten durften, entwarf 1923 ein Holz-Spielzeug „Schiffbauspiel“, ein Set bunter Bauklötze in Form eines Schiffs und Ladung. Dieses pädagogisch wertvolle Spielzeug – modular, kreativ, abstrakte Formen in Primärfarben – spiegelt die Bauhaus-Ideen im Kleinformat und wurde zur erfolgreichen Serienproduktion (es wird bis heute nachgebaut).

Die Weberei unter Gunta Stölzl erlangte einen exzellenten Ruf für künstlerisch anspruchsvolle und zugleich brauchbare Textilien. Zunächst experimentierten die Weberinnen mit expressionistischen Wandteppichen, doch bald wandten sie sich funktionalen Stoffen zu – Möbelstoffe, Vorhangstoffe, Teppiche mit geometrischen Mustern, abgestimmt auf moderne Interieurs[66]. Stölzl und Anni Albers entwickelten Webtechniken mit Schussmaterialien wie Cellophan oder Metallfäden, um spezielle Lichteffekte zu erzielen. Viele Textildesigns des Bauhauses – z.B. Albers’ abstrahierte Gittermuster – werden heute noch produziert. Interessant ist, dass die Weberei eine der wenigen Werkstätten war, die finanziell profitabel arbeiteten[61], denn hochwertige Stoffe ließen sich gut verkaufen. Die Webwerkstatt bewies somit, dass künstlerischer Anspruch und Markterfolg kein Widerspruch sein müssen.

In der Druckerei/Reklamewerkstatt (geleitet u.a. von Herbert Bayer) wurden neue Standards für Grafikdesign und Typografie gesetzt. Herbert Bayer entwickelte 1925 die „Universal“-Schrift, eine geometrische serifenlose Schrift, bei der Groß- und Kleinschreibung vereinheitlicht waren – Ausdruck des Bauhaus-Strebens nach Reduktion. Er gestaltete Kataloge, Plakate und Drucksachen mit einer auffällig klaren, asymmetrischen Layoutgestaltung, die zum Vorbild der modernen Grafik wurde. Die Idee, typografische Mittel wie Schriftarten, -größen und Linien streng funktional und nicht ornamental einzusetzen, prägte die Neue Typografie (auch vertreten durch Moholy-Nagy und später Jan Tschichold). Viele Bauhausdrucke nutzten ausschließlich Groteskschriften (also sans serif), was damals revolutionär war (man denke an das Plakat für die Bauhaus-Ausstellung 1923 oder Bayer’s Bauhaus-Magazin). Diese Ästhetik hat unser heutiges visuelles Umfeld (Werbung, Layout, Firmenlogos etc.) immens beeinflusst.

Fotografie wurde am Bauhaus ebenfalls gepflegt, vor allem durch Moholy-Nagy und später durch Studenten wie Walter Peterhans (der 1929 Fotografie unterrichtete). Moholy experimentierte mit Fotogrammen (kameralose Fotografien durch Belichtung von Objekten auf lichtempfindlichem Papier), ungewöhnlichen Perspektiven und Collagen. Seine Arbeit „Malerei, Fotografie, Film“ (1925) propagierte die Fotografie als moderne Kunstform und als integralen Bestandteil des neuen Sehens. Bauhäusler wie Lucia Moholy (Moholy-Nagys Frau) dokumentierten das Leben und die Werke am Bauhaus fotografisch in einem sachlichen Stil, der stilbildend wurde (diese Fotos sind bis heute oft reproduziert).

Bildende Kunst: Obwohl das Bauhaus keine traditionelle Kunstakademie war, wurden doch auch Gemälde, Grafiken und Skulpturen geschaffen – vor allem durch die Meister. Paul Klee und Wassily Kandinsky malten auch während ihrer Lehrtätigkeit weiter und entwickelten ihre abstrakten Bildwelten. Klee’s am Bauhaus entstandene Werke verbinden oft geometrische Ordnungen mit spielerischen Formen und Farben (z.B. „Hauptweg und Nebenwege“, 1929). Kandinsky schuf in Dessau einige seiner bedeutenden abstrakten Kompositionen (etwa „Gelb-Rot-Blau“, 1925), in denen die theoretischen Prinzipien seiner Lehre visualisiert sind. Oskar Schlemmer brachte mit seinen figurativen, stilisierten Darstellungen (z.B. der berühmten Bauhaustreppe mit Figuren) eine menschliche Dimension ein. Allerdings standen Malerei und Skulptur am Bauhaus meist im Dienste des Gesamtkonzepts – beispielsweise malte Kandinsky Wandbilder in den Dessauer Meisterhäusern, und Schlemmer gestaltete farbige Fenster am Bauhausgebäude. Freie Kunst allein war kein Hauptzweck des Bauhauses. Dennoch ist wichtig festzuhalten: Das Zusammenspiel von freier und angewandter Kunst war gerade das Neue. Ein Meister wie Kandinsky war sowohl Kursleiter in abstrakter Formlehre als auch ein Maler, der seine geometrischen Formen in Bühnenbilder, Wandgestaltungen oder Ausstellungsgrafiken einbrachte.

Bühnenkunst und Tanz: Das Bauhaus-Theater unter Leitung von Oskar Schlemmer (ab 1923) war eine experimentelle Plattform, wo die Beziehungen von Körper, Raum, Bewegung, Kostüm und Licht erforscht wurden. Schlemmers Triadisches Ballett – bereits vor Bauhauszeiten konzipiert, aber 1922/23 in Bauhaus-Kreisen aufgeführt – war ein avantgardistischer Tanz mit geometrischen Kostümen und abstrakten Figuren. In Dessau führten die Bühnenwerkstatt-Mitglieder Maskenspiele, abstrakte Pantomimen und Bühnenfeste auf, die sämtliche Sinne ansprechen sollten. Schlemmer betrachtete den menschlichen Körper als „Mittelpunkt der Bühne“ und abstrahierte ihn in konzentrische Formen. Diese Beschäftigung mit Performance mag als Randerscheinung erscheinen, hatte aber Einfluss auf moderne Theaterformen und Design (so gelten Schlemmers Kostümentwürfe mit als Wegbereiter für experimentelles Modedesign und Performance Art). Zudem trug die Bühnenarbeit zum gemeinschaftlichen Geist des Bauhauses bei – man lernte, bereichsübergreifend zusammenzuarbeiten (Holzwerkstatt baute Bühnenkonstruktionen, Metallwerkstatt fertigte Requisiten, Weberei nähte Kostüme usw.).

Musik und andere Bereiche: Musik wurde nicht direkt gelehrt, aber die Schule stand in Kontakt mit moderner Musik (Busoni, Hindemith, Schönberg – einige Aufführungen gab es, siehe Bauhauswoche 1923 mit Busoni und Hindemith-Kompositionen[31]). Kandinsky interessierte sich für Klang-Farb-Beziehungen; Schlemmer experimentierte mit mechanischen Klängen in seinem „Mechanischen Ballett“ von Kurt Schmidt[99]. So kann man sagen, dass das Bauhaus auch hier intermedial dachte.

In Summe verkörpern die Produkte und Kunstwerke des Bauhauses eine klare, reduzierte Ästhetik, die auf geometrischen Grundformen, primären Farben (Rot, Blau, Gelb) und sachlicher Materialehrlichkeit beruht. Der Bauhausstil in Design und Kunst bedeutet: Weglassen des Überflüssigen, Formfindung aus Zweck und Material, und doch eine oft harmonische, sinnvolle Gestaltung von Alltagsdingen. Man wollte Schönheit und Nützlichkeit versöhnen – gemäß Schillers Ideal des „ästhetischen Staates“ in praktischer Anwendung.

Die gesellschaftliche Wirkung dieser Design- und Kunstleistung entfaltete sich vor allem nach 1930 (dazu später mehr in Internationale Wirkung). In den 1920er Jahren waren Bauhaus-Produkte zunächst einer kulturellen Elite bekannt, dann aber zunehmend auch einem breiteren Publikum: Durch Verkaufsausstellungen, Magazine, Musterkollektionen erlangten einige Dinge wie Breuers Stühle oder Kandem-Lampen Popularität. Gleichwohl blieb vieles in der Experimentierphase und gelangte nicht zur industriellen Massenfertigung, sei es aus technischen Gründen oder wegen mangelnden Kapitals. Dennoch – das Bauhaus begründete Professionen (z.B. Industriedesign, Grafikdesign als eigenständige Berufe) und veränderte Geschmacksbilder. Alltagsgegenstände sollten fortan schlicht und funktional sein dürfen, ohne Ornamente, und trotzdem als „schön“ gelten. Diese bis dahin gewagte Vorstellung setzte sich allmählich in der Bevölkerung durch, besonders bei der jüngeren Generation der 1920er, die sich zu der neuen Ästhetik hingezogen fühlte.

Abschließend lässt sich sagen, dass das Bauhaus im Bereich Kunst und Design einen Paradigmenwechsel bewirkte: Von der Unterscheidung „freie vs. angewandte Kunst“ hin zu einer Gesamtschau, in der Gestaltung in allen Bereichen als gleichwertiger kultureller Beitrag verstanden wird. Indem das Bauhaus Kunst ins Alltagsleben brachte und Alltagsdinge künstlerisch betrachtete, schuf es eine Designkultur, die das 20. Jahrhundert dominieren sollte.

Innenraum im Bauhaus Dessau mit Wassily-Stühlen von Marcel Breuer (1925/26). Die Stahlrohr-Sessel, benannt nach Kandinsky, verkörpern das neue Designprinzip der Reduktion auf geometrische Formen und industrielle Materialien[100][101]. Breuers Möbelentwürfe entstanden in der Tischlerei des Bauhauses und zählen zu den einflussreichsten Ikonen des modernen Möbeldesigns.

Politische und gesellschaftliche Aspekte

Die Bauhaus-Kultur war nicht nur ein künstlerisches, sondern immer auch ein gesellschaftspolitisches Projekt. Von ihrem Selbstverständnis her wollte die Schule zur sozialen Erneuerung beitragen – implizit durch bessere Lebensumgebungen, explizit durch soziale Haltung – und stand dadurch in einem Spannungsfeld zu den politischen Kräften der Zeit.

Demokratie und Avantgarde: Das Bauhaus profitierte, wie dargelegt, maßgeblich von der liberalen Atmosphäre der Weimarer Republik. Steinmeier sah einen inneren Zusammenhang zwischen dem Bauhaus und dem demokratischen Aufbruch[5]. Tatsächlich ist es kein Zufall, dass das Bauhaus im Jahr der republikanischen Verfassungsgebung (1919) gegründet wurde: Ein Staat, der erstmals Grundrechte garantierte, schuf auch Freiräume für experimen­telle Kultur. In dieser Anfangsphase wurde das Bauhaus (insbesondere in Weimar 1919–24) von Sozialdemokraten unterstützt, die hofften, dass moderne Gestaltung auch dem „neuen Menschen“ der Republik Ausdruck verleihen würde. Gropius selbst war zwar kein Parteipolitiker, aber er verkörperte den Typus des aufgeklärten, weltoffenen Bürgers, der an die Fortschrittskräfte glaubte. So schrieb er später: „Das Bauhaus brauchte, um zu wachsen, die Freiheit der Weimarer Republik, und sie (die Republik) schenkte ihr zugleich eine besondere Ausdrucksform“[5]. Das Bauhaus war also in gewisser Weise ein produktives Symptom der ersten deutschen Demokratie.

Linke Positionen am Bauhaus: Innerhalb der Schule gab es erhebliche politische Unterschiede, aber tendenziell zog das Bauhaus eher linksgesinnte, progressive Charaktere an. Insbesondere in den späten 1920ern unter Hannes Meyer gab es eine aktive kommunistische Studentenzelle. Meyer selbst war offen sozialistisch und versuchte, die Lehre stärker in Richtung klassenbewusster Gestaltung zu lenken (Volkswohnung, Volksbedarf)[52]. Einige Bauhäusler engagierten sich in der Kommunistischen Partei oder im Marxistischen Studentenbund. Diese Politisierung führte 1929/30 zu Konflikten: Einerseits wurden radikale studentische Publikationen (wie „Der junge Baumeister“) herausgegeben, andererseits versuchte man, die Schule nicht in Gefahr zu bringen. Meyers Entlassung 1930 war direkt durch die konservativen politischen Kräfte initiiert, denen sein radikaler Kurs missfiel[71]. Hier kollidierte also der Gestaltungsanspruch mit der politischen Realität in Dessau.

Konservative und rechte Kritik: Das Bauhaus sah sich von Beginn an Angriffen der Rechten ausgesetzt. In Weimar hetzte die rechtsnationale Presse gegen die „Kulturbolschewisten“ um Gropius. Vorgeworfen wurden dem Bauhaus u.a.: Verschwendung von Steuergeldern für Spinnereien; Zersetzung der Kunsttradition; Förderung von Ausländern (tatsächlich waren einige Meister und Studenten international, etwa Moholy-Nagy aus Ungarn, Kandinsky aus Russland, van Doesburg aus NL als Gast)[69]; „unweibliche“ Frauenemanzipation; moralische Ausschweifungen (Gerüchte um freie Liebe am Bauhaus kursierten); und allgemein die Abkehr von deutschen Werten. Diese Vorwürfe gipfelten in dem bereits zitierten NS-Flugblatt von 1931, das u.a. forderte, alle ausländischen Lehrkräfte fristlos zu kündigen und das Bauhaus abzubrechen[69]. Auch in der Kunstszene gab es Gegenpositionen: Vertreter des traditionellen Handwerks (z.B. lokale Handwerkskammern) sahen ihre Zünfte durch die neuartigen Methoden bedroht. Der „Ring deutscher Kunstgewerbeschulen“ distanzierte sich von Gropius’ Methoden. Paul Schultze-Naumburg, ein völkischer Architekt, polemisierte öffentlich gegen Gropius’ Bauweise, indem er etwa die Dessauer Laubenganghäuser als seelenlose „Kisten“ beschimpfte. Das Bauhaus stand somit im Kulturkampf der Weimarer Zeit auf Seiten der Avantgarde, die von Traditionalisten und Nationalisten bekämpft wurde.

Unterstützung durch Liberale und Sozialdemokraten: Dem gegenüber hatte das Bauhaus auch starke Fürsprecher. In Weimar war die Schule vom linken Kultusminister Dr. Eduard Avenarius gedeckt, bis zu dessen Abgang 1924. In Dessau war Oberbürgermeister Fritz Hesse (SPD) ein großer Förderer, ebenso sein Kulturdezernent Ludwig Grote[102]. Diese Unterstützung war essentiell: z.B. stellte Dessau erhebliches Geld für die Schulgebäude bereit und verteidigte das Bauhaus 1932 im Stadtrat zunächst noch gegen die NSDAP[70]. Auch prominente Intellektuelle solidarisierten sich – etwa Schriftsteller, die im „Roten Stoßtrupp“ (einer linken Zeitschrift) 1932 gegen die Schließung protestierten. Trotzdem konnte am Ende die politische Welle gegen die Moderne nicht gestoppt werden.

Gesellschaftliche Utopie: Die Bauhäusler teilten weitgehend die Vision einer gerechteren, schöneren Gesellschaft durch Gestaltung. Viele hielten Architektur und Design für wirksame Mittel, um das Leben aller Menschen zu verbessern. Diese Idee spiegelt sich im Bau von Existenzminimum-Wohnungen, im Entwurf einfacher, leicht reproduzierbarer Möbel, in der Überlegung von Kinderspielzeug (Siedhoff-Buschers Schiffsbauspiel zielte auf eine fortschrittliche Erziehung). Gropius hoffte, dass in Zukunft die Trennung von sozialen Klassen auch in der Wohnkultur überwunden würde – das Bauhaus wollte das Kunstschöne mit dem Brauchbaren verbinden, für alle erschwinglich. Diese egalitäre Ästhetik (Stichwort „Volkswohnung“, „Volksbedarf“) hat durchaus gesellschaftspolitische Sprengkraft: Schönheit nicht als Privileg der Reichen, sondern als allgemeines Lebensrecht. Im konservativen Lager stieß das auf Unverständnis oder Spott. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Vision teilweise Realität (etwa in den Sozialbauprogrammen, wo viele ehemalige Bauhäusler beteiligt waren).

Frauen und Gleichberechtigung: Ein gesellschaftlicher Aspekt ist die Stellung der Frau am Bauhaus, der im nächsten Kapitel ausführlich behandelt wird. Hier sei vermerkt, dass die Zulassung von Frauen (und auch von Schülern ohne Abitur) eine fortschrittliche Entscheidung war, die der sozialen Öffnung der Bildung entsprach. Allerdings zeigten sich patriarchale Vorurteile, die in dem berühmten Gropius-Zitat kulminieren: „Nach unseren Erfahrungen ist es nicht ratsam, dass Frauen in schweren Handwerksbetrieben wie Tischlerei ... arbeiten. Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“[103]. Diese Aussage von 1921 reflektiert damalige Rollenbilder, die auch Gropius nicht überwand. So ist die Bauhaus-Geschichte auch eine Geschichte von Frauen, die gegen Widerstände ihren Platz erkämpften (z.B. Stölzl, Brandt) – ein gesellschaftlicher Mikrokosmos der Emanzipationskämpfe in der Weimarer Zeit.

Das Bauhaus und die Öffentlichkeit: Wie nahm der „normale Bürger“ das Bauhaus wahr? Zu Anfang war das Bauhaus vor allem Insidern ein Begriff. Die Publika der Ausstellungen 1923 in Weimar und 1926/27 in Dessau setzten sich aus Fachleuten und kulturell Interessierten zusammen. In Zeitungsartikeln jener Zeit wechseln Bewunderung und Unverständnis. Manche sahen im Bauhaus den Beweis der kulturellen Erneuerungsfähigkeit Deutschlands nach dem Krieg (gerade international wurde es positiv rezipiert), andere erblickten darin die Zersetzung der abendländischen Kultur. Ein Beispiel: 1923 wurde das Musterhaus Am Horn von der örtlichen Bürgerschaft teils skeptisch beäugt – ein Reporter schrieb von „kalten weißen Räumen, in denen man nicht wohnen mag“. Allerdings erreichten bestimmte Bauhaus-Designs schon in den späten 20ern ein gewisses Chic-Image bei der städtischen Bohème: Die Stahlrohrmöbel Breuers wurden von trendbewussten Kreisen in Berlin oder Frankfurt nachgefragt; Bauhaus-Stoffe fanden Eingang in exklusive Interieurs. Das Bauhaus hatte somit auch Stilcharakter für eine moderne städtische Mittelschicht, was nicht immer dem Ideal des „für alle“ entsprach, aber zu seiner Aura beitrug.

Wirtschaftliche Bedingungen: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Inflation Anfang der 20er, Weltwirtschaftskrise ab 1929) wirkten sich natürlich auf das Bauhaus aus. In Krisenzeiten schrumpfte die staatliche Förderung (so z.B. 1924 in Thüringen, 1932 in Dessau, wie beschrieben) – das Bauhaus war mehrfach von Schließung oder Kürzungen bedroht, nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern auch aus Sparzwängen. Die Werkstätten sollten teilweise selbsttragend wirtschaften, was nur begrenzt gelang (eine permanente Herausforderung, da Innovation und Gewinn selten Hand in Hand gehen). Hannes Meyer etwa versuchte, durch Industrieaufträge Geld ins Haus zu holen – zum Beispiel sollten Bauhaus-Schüler für eine Lampenfabrik serienreife Modelle gestalten, oder die Weberei produzierte Textilien auf Bestellung. Dennoch blieb das Bauhaus finanziell auf staatliche Zuschüsse angewiesen. Das Scheitern, diese Abhängigkeit zu überwinden, machte es auch verwundbar, als politisch der Wind drehte.

Fazit in diesem Aspekt: Die Bauhaus-Kultur war zutiefst eingebettet in die gesellschaftlichen Diskurse ihrer Zeit: Demokratisierung, Emanzipation, Industrialisierung, Wohnungsfrage, Bildung für alle – all diese Themen spiegeln sich im Bauhaus wider. Das Bauhaus war kein Elfenbeinturm, sondern nahm dezidiert Stellung zu sozialen Fragen (z.B. die Wohnungsnot, die Gleichstellung der Frau in der Ausbildung, die Rolle der Kunst in der Gesellschaft). Diese Stellungnahmen wurden teils enthusiastisch begrüßt, teils heftig angefeindet. Letztlich zeigt das Schicksal des Bauhauses – gefeiert in den „goldenen“ 20ern, zerschlagen 1933 – auch, wie fragil progressive Kultur im Angesicht autoritärer Politik ist.

Frauen am Bauhaus

Die Rolle der Frauen am Bauhaus ist ein vielschichtiges Kapitel, das in den letzten Jahrzehnten intensiver beforscht wurde. Einerseits war das Bauhaus eine der ersten Kunstschulen in Europa, die Frauen offiziell in nennenswerter Zahl aufnahm – ein großer Schritt zur Gleichberechtigung. Andererseits stießen die Frauen am Bauhaus auf strukturelle Barrieren und Vorurteile, die viele ihrer Möglichkeiten einschränkten.

Pionierinnen der Koedukation: Als das Bauhaus 1919 eröffnete, meldeten sich überraschend viele Frauen zum Studium an – zeitweise stellten Frauen über 1/3 der Bauhäusler. Gropius hatte anfangs keine Quoten oder Beschränkungen gesetzt. Im Gründungsprogramm heißt es ausdrücklich: „Als Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht...“[93]. Damit gewährte das Bauhaus Frauen erstmals den freien Zutritt zu einer öffentlichen Kunstschule (bis dahin gab es separate Damenakademien oder Beschränkungen). Diese Öffnung war ein Markenzeichen des frühen Bauhauses und entsprach dem Geist der jungen Demokratie (1919 wurde auch das Frauenwahlrecht eingeführt). Einige talentierte Künstlerinnen – etwa Johanna Erbtö, Dörte Helm, Marguerite Friedlaender – gehörten zur ersten Student*innengeneration.

Werkstattzuweisung und Vorurteile: Allerdings zeigte sich bald, dass die Egalität ihre Grenzen hatte. Schon 1920/21 kam es zur informellen Praxis, Frauen bevorzugt in bestimmten „passenden“ Werkstätten unterzubringen. Gropius und die Meister hegten (aus heutiger Sicht rückständige) Ansichten über Geschlechterrollen in der Arbeit. In einem Interview 1921 äußerte Gropius: „Nach unseren Erfahrungen ist es nicht ratsam, dass Frauen in schweren Handwerksbetrieben wie Tischlerei... arbeiten. Gegen Ausbildung von Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“[103]. Dieses Zitat manifestiert die Haltung, Frauen seien physisch und vielleicht auch intellektuell nicht für Disziplinen wie Bau oder Tischlern geeignet, sondern eher für filigrane, „heimische“ Tätigkeiten. Folglich wurde vielen weiblichen Studierenden nahegelegt (oder direkt angewiesen), in die Weberei oder Töpferei zu gehen[104]. Die Weberei avancierte regelrecht zur „Frauenklasse“: Der Großteil der Bauhaus-Frauen fand sich dort wieder. Das hatte zwei Seiten: Einerseits entstand so ein konzentrierter Raum weiblicher Kreativität, andererseits war es eine Form von geschlechtsspezifischer Segregation, die Frauen von vermeintlich schwerwiegenderen Künsten fernhielt wie Architektur, Möbeldesign oder Metallarbeit. Die Töpferei in Dornburg (bis 1925) war ebenfalls stark weiblich geprägt, ging aber 1925 zu Ende (die Töpferei wurde beim Umzug nach Dessau nicht fortgeführt).

Herausragende Künstlerinnen und ihr Kampf: Trotz dieser Hürden gibt es herausragende Bauhaus-Frauen, die sich in männerdominierten Bereichen durchsetzten. Marianne Brandt ist ein prominentes Beispiel: Sie kam 1923 ans Bauhaus, zunächst in die Metallwerkstatt – als einzige Frau dort. Brandt musste sich ihren Platz hart erkämpfen, denn die Metallwerkstatt galt als „ungeeignet“ für Frauen (schwere Lötarbeiten etc.). Doch Brandt überzeugte durch Talent und Fleiß. Sie wurde die rechte Hand Moholy-Nagys und entwarf bahnbrechende Metallobjekte (Teekannen, Lampen). 1928 übernahm sie kommissarisch sogar die Leitung der Metallwerkstatt, als Moholy ging – ein enormer Erfolg, der zeigt, dass Frauen in Leitungspositionen am Bauhaus möglich waren, wenn auch selten. Gunta Stölzl ist ein weiterer Name: Sie war von Anfang an in der Weberei und so fähig, dass sie 1927 zur Meisterin der Weberei ernannt wurde – die erste und einzige weibliche Werkstattleiterin in der Bauhaus-Geschichte[66]. Unter ihrer Führung wurde die Weberei eine der produktivsten Werkstätten. Allerdings bekam auch Stölzl Gegenwind: 1931 legte sie ihr Amt entnervt nieder und verließ das Bauhaus, nach Streitigkeiten (u.a. Neid und Misogynie mancher Kollegen spielten eine Rolle).

Weitere bemerkenswerte Frauen: Anni Albers, die 1925 ans Bauhaus kam, entwickelte sich in der Weberei zur Innovatorin (Einsatz neuartiger Materialien, abstrakte Wandbehänge). Sie heiratete Josef Albers, blieb aber als eigenständige Künstlerin bedeutend; nach der Emigration wurde sie in den USA eine angesehene Textildesignerin und Autorin. Alma Siedhoff-Buscher brillierte in der Holzbildhauerei/Tischlerei, wo sie trotz Skepsis aufgenommen wurde. Sie entwarf Möbel für das Kinderzimmer im Haus Am Horn und ihr legendäres Schiffbauspiel (1923) – eines der wenigen Bauhaus-Produkte speziell für Kinder. Gertrud Arndt kam als angehende Architektin ans Bauhaus, fand aber keinen Anschluss in der Bauabteilung und wechselte notgedrungen in die Weberei; später machte sie jedoch durch Fotografien auf sich aufmerksam (ihre „Maskenporträts“ von 1930 zählen heute zur Bauhaus-Fotografie). Lilly Reich, zwar keine Studentin, sondern Mitarbeiterin von Mies, war auch eine bedeutende Designerin, die z.B. an der Barcelona-Möbelkollektion mitwirkte – aber sie kam erst 1932 ans Bauhaus und war eher extern bekannt.

Generell gilt: „Trotz dieser Hürden erkämpften sich Frauen wie Marianne Brandt und Gertrud Arndt ihren Weg in Tischlerei, Metallwerkstatt und Architektur.“[105] Viele Ausnahmen bestätigten die Regel. Aber die meisten weiblichen Bauhäusler blieben in traditionell weiblich konnotierten Bereichen. Das führte dazu, dass das Bauhaus in den späten 1920ern, so Ulrike Müller, „mehr und mehr zur Männerdomäne“ wurde[106]. Anfangs war das Bauhaus geschlechtergemischter, doch im Laufe der Zeit – insbesondere mit dem Weggang vieler Frauen und dem Zuzug neuer, oft männlicher Studierender – verschob sich das Verhältnis. In Dessau gab es Jahrgänge, wo der Frauenanteil deutlich sank.

Alltag und Anerkennung: Wie empfanden die Frauen selbst ihre Situation? Berichte zeigen ein gemischtes Bild. Einige fühlten sich sehr wohl am Bauhaus, genossen die Freiheit und das kameradschaftliche Klima (im Gegensatz zu alten Akademien, wo Frauen gar nicht zugelassen waren). Die lockere Lebensart, in Hosen zu arbeiten, die Haare kurz geschnitten (die berühmten Bubiköpfe der „Bauhaus-Mädels“), und gemeinsam Kunst zu machen, war für viele ein Aufbruchserlebnis. Andere litten unter der Geringschätzung und der sturen Zuweisung. Benita Otte etwa schrieb enttäuscht, sie habe Architektur studieren wollen, aber sei in die Weberei abgeschoben worden, was sie nicht glücklich machte.

In den 1960er Jahren, als man retrospektiv aufs Bauhaus blickte, meldeten sich einige Frauen zu Wort. Gunta Stölzl reflektierte 1965, dass nach dem Umzug nach Dessau der Leistungsdruck stieg und Frauen es schwerer hatten, sich in tragenden Positionen zu behaupten. Sie erzählte auch vom Aufschwung der Weberei: Um größere Aufträge zu bewältigen, wurden in Dessau sogar weibliche Angestellte in der Produktionswerkstatt beschäftigt, während die Studentinnen hauptsächlich die Entwürfe lieferten[107]. Das zeigt, dass die Weberei erfolgreich in den Markt drängte – und dies unter weiblicher Führung, was in der damaligen Zeit eine Ausnahmeerscheinung war.

Werke und Vermächtnis: Die Bauhaus-Frauen haben zahlreiche Werke geschaffen, die heute als Klassiker gelten: Neben den erwähnten Beispielen (Stoffe, Lampen, Möbel, Spielzeug) kann man auch die abstrakten Wandbehänge von Albers oder die fotografischen Arbeiten von Lucia Moholy und Florence Henri nennen. Viele dieser Arbeiten wurden jedoch lange Zeit den männlichen Kollegen zugeschrieben oder gar nicht ausgestellt. Erst spät erhielten Bauhaus-Frauen die gebührende Anerkennung. Ausstellungen wie „Die Bauhaus-Frauen“ (z.B. 2019 zum Jubiläum) und Publikationen[108] rückten sie ins Licht. Heute weiß man, dass das Bauhaus ohne die Beiträge der Frauen ärmer gewesen wäre – sei es in der Textilkunst, im Alltagsdesign oder in der typografischen und fotografischen Dokumentation.

Fazit: Das Bauhaus bot Frauen Chancen zur künstlerischen Ausbildung, die anderswo kaum zu finden waren – insofern war es eine progressive Einrichtung. Jedoch stieß die formale Gleichberechtigung in der Praxis an Grenzen, die von zeitbedingten Rollenbildern gesetzt wurden. Die Frauen am Bauhaus mussten erhebliche „Kämpfe“ ausfechten, um sich in bestimmten Disziplinen durchzusetzen[105]. Einige schafften es und wurden Wegbereiterinnen moderner Gestaltung, andere blieben im Verborgenen oder verließen die Schule frustriert. Die Bauhaus-Kultur war also auch in diesem Aspekt voller Widersprüche: emanzipatorisch im Anspruch, aber nicht frei von patriarchalen Reflexen in der Umsetzung. Dennoch darf man das Verdienst nicht schmälern, dass hier – Jahrzehnte vor den großen Wellen der Frauenbewegung – ein Experiment stattfand, in dem Frauen und Männer gemeinsam an einer neuen Gestaltungswelt arbeiteten. Das Bauhaus hat, wenn auch unvollkommen, einen Grundstein gelegt für die Frauen in Kunst und Design im 20. Jahrhundert.

Repression und Exil nach 1933

Nach der erzwungenen Auflösung des Bauhauses 1933 begann die Phase der Repression und Diaspora. Die Nationalsozialisten hatten die Institution zerschlagen, doch die Idee des Bauhauses ließ sich nicht so leicht auslöschen – sie lebte im Exil weiter. Zunächst aber traf viele Bauhäusler das Schicksal der Verfolgung im Dritten Reich.

Schließung und Diffamierung: Unmittelbar nach 1933 wurde das Bauhaus in NS-Propaganda als Beispiel entarteter, kulturbolschewistischer Umtriebe angeführt. Die Gestapo überwachte ehemalige Bauhaus-Angehörige; einige wurden inhaftiert, verhört oder zumindest in ihrer Berufsausübung behindert. Maler wie Paul Klee – der 1931 bereits vom Bauhaus weggegangen und Professor in Düsseldorf geworden war – wurden 1933 aus ihren Stellen entlassen (Klee emigrierte in die Schweiz, seine Werke wurden später als entartet diffamiert). Wassily Kandinsky, seit 1932 in Berlin, ging 1933 nach Paris ins Exil. Oskar Schlemmer verlor seine Lehrtätigkeit in Breslau 1932 und zog sich zurück; seine spätere Teilnahme an der Ausstellung „Entartete Kunst“ (1937 wurden dort einige seiner Bilder gezeigt) machte ihm das Arbeiten in Deutschland unmöglich.

Verfolgte und Opfer: Die nationalsozialistische Rassen- und Politideologie traf viele Bauhäusler hart. Besonders jüdische und ausländische Angehörige sahen keine Zukunft mehr in Deutschland. László Moholy-Nagy (ungarisch-jüdischer Abstammung) ging 1934 nach Amsterdam, später nach London und schließlich 1937 in die USA. Marcel Breuer emigrierte erst nach England (1935) und dann in die USA (1937). Ludwig Hirschfeld-Mack, Bauhaus-Schüler (Erfinder der Farbenlichtspiele), floh nach England, wurde aber 1940 als „feindlicher Ausländer“ nach Australien deportiert (er überlebte dort und wurde Kunstlehrer). Mindestens 21 ehemalige Bauhäusler wurden jedoch Opfer des NS-Terrors und kamen in Konzentrationslagern oder Gefängnissen ums Leben[84]. Beispiele: Friedl Dicker-Brandeis (Schülerin in Weimarer Bauhaus, später Künstlerin) starb 1944 in Auschwitz; Franz Ehrlich, Bauhaus-Architekt und KPD-Mitglied, wurde ins KZ gesperrt (er überlebte, gestaltete aber zynischerweise im Lager Buchenwald das Tor mit – die Schrift „Jedem das Seine“ am Tor wurde von ihm in einer Bauhaus-Schrift entworfen[109]). Diese groteske Episode – Bauhaus-Design im KZ – hat der Architekturhistoriker Jean-Louis Cohen dahingehend kommentiert, dass „der nüchterne Funktionalismus des Bauhauses sogar in der Architektur des KZ Auschwitz hervortrat“[110], vermittelt durch den ehemaligen Bauhaus-Schüler Fritz Ertl, der SS-Architekt wurde. Das zeigt, dass Teile der Bauhausästhetik auf perverse Weise von den Nazis benutzt wurden, obwohl sie die Bewegung vernichtet hatten.

Emigration und internationale Verbreitung: Etwa ein Viertel der Bauhausmitglieder emigrierte nach 1933[111]. Diese Bauhaus-Diaspora trug entscheidend dazu bei, dass die Bauhaus-Ideen weltweit Verbreitung fanden. Die wichtigsten Zentren des Exils waren:

  • USA: Hierhin ging eine ganze Reihe prominenter Bauhäusler. Walter Gropius emigrierte 1934 nach England und 1937 weiter in die USA, wo er Professor an der Harvard Graduate School of Design wurde[112]. In Harvard prägte er eine Generation amerikanischer Architekten, verbreitete die Bauhaus-Lehre und beauftragte Marcel Breuer als Kollegen. Breuer selbst ging 1937 ebenfalls in die USA, gründete später mit Gropius ein Büro und wurde ein anerkannter Architekt (u.a. Whitney Museum in New York). Josef Albers verließ 1933 Deutschland und ging an das neu gegründete Black Mountain College in North Carolina – eine progressive Kunsthochschule, wo er ein Lehrerteam zusammenstellte, das stark vom Bauhaus inspiriert war[113]. Er und seine Frau Anni Albers brachten dort die Bauhaus-Pädagogik ein (Werkstattunterricht, experimentelle Herangehensweise). Das Black Mountain College gilt als „Reimport“ des Bauhauses in Amerika[113]. Mies van der Rohe emigrierte 1938 in die USA und wurde Leiter der Architekturabteilung am Illinois Institute of Technology (IIT) in Chicago. Er entwarf in den USA berühmte Gebäude (Seagram Building in New York, 1958; Crown Hall in Chicago, 1956) und prägte den International Style maßgeblich weiter. László Moholy-Nagy ging 1937 nach Chicago und gründete dort mit Unterstützung von Industrie und Emigranten das New Bauhaus[114]. Dieses „Neue Bauhaus“ war der direkte Versuch, die Bauhaus-Idee fortzuführen – Moholy führte das Curriculum der Grundlagenkurse etc. fort. Nach Startschwierigkeiten wurde daraus das Institute of Design (ID), das später Teil des IIT wurde[114]. Somit gab es in Chicago faktisch eine Bauhaus-Nachfolgeeinrichtung. Auch Herbert Bayer emigrierte 1938 in die USA und arbeitete erfolgreich als Grafikdesigner und Ausstellungsgestalter; er trug mit Ausstellungen (z.B. 1938 Bauhaus 1919–1928 im MoMA) zur Verbreitung des Bauhaus-Erbes bei.
  • Palästina/Israel: Eine bemerkenswerte Konzentration von Bauhaus-Absolventen (oft jüdischen Glaubens) fand sich in den 1930er Jahren im britischen Mandatsgebiet Palästina ein. In Tel Aviv entwarfen aus Deutschland geflüchtete Architekten (wie Arieh Sharon, Shmuel Mestiechkin, Munio Gitai) ab Mitte der 30er Jahre über 4000 Gebäude im Internationalen Stil[115]. Die sogenannte „Weiße Stadt“ Tel Aviv besitzt heute die größte Ansammlung von Bauhaus-Stilgebäuden weltweit und ist UNESCO-Welterbe[115]. Zwar waren nicht alle Architekten dort direkt Bauhäusler, aber viele hatten die Bauhaus-Ästhetik verinnerlicht. Das Bauhaus wirkte hier als architektonischer Export für ein ganz neues städtisches Umfeld.
  • Sowjetunion: Ein Teil der Bauhaus-Emigranten, vor allem Hannes Meyer und einige seiner Schüler (wie Konrad Püschel, Philipp Tolziner), ging Anfang der 1930er in die Sowjetunion, im Glauben, dort die soziale Baukunst umsetzen zu können. Meyer arbeitete einige Jahre in Moskau in der Städteplanung. Allerdings gerieten diese Emigranten ab ca. 1936 in die Mühlen Stalins: Meyer wurde 1936 aus der UdSSR ausgewiesen, andere wie Beyer oder Korn blieben länger, manche wurden Opfer der stalinistischen Säuberungen (der Architekt Franz Ehrlich kehrte rechtzeitig zurück und geriet dann in NS-Haft, eine tragische Ironie). Insgesamt war der Einfluss in der UdSSR begrenzt, da dort ab 1932 der Sozialistische Klassizismus vorherrschte und die konstruktivistische Moderne beendet wurde.
  • Weitere Länder: Zahlreiche Bauhäusler verstreuten sich über die Welt. Margarete Schütte-Lihotzky (die zwar nicht am Bauhaus war, aber dem Neuen Bauen nahestand) ging nach der Haft durch Nazis nach Istanbul; Selman Selmanagić (Bauhaus-Absolvent) kehrte nach Jugoslawien zurück; Max Bill (Schweizer Bauhäusler) ging nach Zürich etc. Einige gingen nach Lateinamerika: Xavier Moyssen nach Mexiko, Ise Gropius (Gropius' Frau) nach USA usw. Besonders in den USA konzentrierte es sich, weshalb man durchaus von einer „Amerikanisierung der Bauhaus-Ideen“ sprechen kann.

Weiterleben im Ausland: Dank dieser Emigranten fand das Bauhaus also ein neues Leben in verschiedenen Kontexten. In den USA wurden die Bauhaus-Ideen zum Fundament der modernen Design-Ausbildung. Viele amerikanische Universitäten übernahmen das Konzept des Foundation Course (Grundlagenschulung nach dem Vorbild des Vorkurses). Architekten wie Gropius und Mies beeinflussten maßgeblich den Stil von Nachkriegsmoderne und Corporate Architecture.

Rezeption im nationalsozialistischen Deutschland: Im Reich selbst wurden Bauhaus und ähnliche Strömungen vollständig unterdrückt. Stattdessen propagierte das NS-Regime eine arische Monumental- und Heimatstil-Architektur (Albert Speer) und figurative Propagandakunst. Dennoch ist es interessant, dass einige Bauhaus-Konzepte technisch weiterwirkten: So nutzten die Nazis rationelle Bautechniken, wie Gropius sie mitentwickelt hatte (z.B. im Siedlungsbau oder in Kasernen) – aber ohne deren ästhetische Konsequenzen. Ein extremes Beispiel war die bauliche Organisation der KZ: Der Historiker Cohen argumentiert, dass die nüchterne, funktionale Lagerarchitektur bei Auschwitz mit von einem Bauhäusler (Fritz Ertl) geprägt wurde[110] – ein dunkles Paradox, dass die rationalistische Form hier zum Instrument unmenschlicher Zwecke wurde.

Zusammengefasst: Nach 1933 wurde das Bauhaus im Deutschen Reich zum Feindbild erklärt, seine Protagonisten verfolgt oder ins Exil getrieben. Doch gerade dadurch gelangte das Bauhaus in die Welt und entfaltete eine noch größere Wirkung – ironischerweise bewahrte erst die Vertreibung seine Ideen vor der Vernichtung. Im Heimatland wurde das materielle Erbe teils zerstört (man plante sogar den Abriss des Dessauer Gebäudes, der nur wegen Ressourcenmangel nicht erfolgte[69]; es brannte 1945 aus). Erst nach dem Krieg sollte Deutschland wieder zum Boden für die Bauhaus-Tradition werden, wie im nächsten Abschnitt dargestellt.

Internationale Wirkung und Rezeption

Trotz seines gewaltsamen Endes in Deutschland setzte das Bauhaus zu einem beispiellosen Siegeszug um die Welt an. Die internationale Wirkung der Bauhaus-Bewegung ist kaum zu überschätzen – in Architektur, Designpädagogik, Kunst und Populärkultur. Auch die spätere Rezeption in Deutschland gestaltete sich interessant, da Ost- und Westdeutschland das Erbe unterschiedlich bewerteten, bevor es ab den späten 20. Jahrhundert umfassend gewürdigt wurde.

Verbreitung durch Emigranten: Wie oben beschrieben, sorgten die in alle Winde verstreuten Bauhäusler für die globale Diffusion der Ideen. In den USA wurde das Bauhaus geradezu zur Legende: Gropius, Mies, Moholy-Nagy, Albers etc. lehrten an renommierten Institutionen und beeinflussten Generationen von Studenten. Viele heute selbstverständliche Methoden in Kunst- und Designschulen weltweit – etwa der vorkursähnliche Grundlagenunterricht – stammen direkt aus dieser Traditionslinie. Architektur: Der International Style, der ab den 1940ern die Skylines prägte (glatte Vorhangfassaden, rechteckige Hochhäuser, offene Grundrisse), wurde wesentlich von ehemaligen Bauhaus-Architekten geprägt. Mies van der Rohes Grundsätze („weniger ist mehr“) fanden breite Anwendung. Gropius formte mit der Gropius-Gruppe (Breuer, nachmals andere) in Harvard eine ganze Schule moderner Architekten, darunter Philip Johnson und Paul Rudolph. Design: Moholy-Nagys New Bauhaus (später Institute of Design) in Chicago führte die interdisziplinäre Lehre fort und gilt als Keimzelle des Industriedesigns als eigenem Berufsbild in den USA[113]. Viele US-Designer der Nachkriegszeit (Charles Eames, Ray Eames, etc.) griffen auf Bauhaus-Grundprinzipien zurück – man denke an das Eames-Chair-Design, das ohne Breuers Vorläufer kaum denkbar wäre.

In Israel hinterließen die Bauhaus-Ideen ein einmaliges städtebauliches Ensemble: Tel Avivs Weiße Stadt aus den 1930er Jahren, mit ihren weiß verputzten Flachdachbauten, Balkonschattenspielen und klimatisch angepassten modernistischen Wohnungen, verkörpert die Bauhaus-Prinzipien in einem neuen kulturellen Kontext[115]. Die Anerkennung durch die UNESCO 2003 zeugt von der nachhaltigen Bedeutung[115]. Auch in anderen Ländern des Nahen Ostens beeinflussten Emigranten (z.B. in den 1940ern in der Türkei, wo einige deutsche Architekten lehrten) die Architekturmodernisierung.

In Südamerika sind ebenfalls Spuren: Zum Beispiel ging der Architekt Franz M. Jansen, ein Bauhaus-Schüler, nach Argentinien und verbreitete dort moderne Entwurfsmethoden. Der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer wurde zwar nicht direkt vom Bauhaus geschult, aber er stand in der Tradition der internationalen Moderne, zu der das Bauhaus zählte.

Nachkriegsdeutschland – zwei Narrative: Nach 1945 kehrten Bauhaus-Ideen „re-importiert“ nach Deutschland zurück[116]. In der frühen Bundesrepublik entdeckten Architekten und Designer das Bauhaus als wertvolles Erbe. Bereits 1950 wurde in Darmstadt das Bauhaus-Archiv gegründet (zunächst von Hans Maria Wingler), das später nach Berlin umzog und als zentrale Sammlung dient[117]. 1953 gründeten westdeutsche Designer um Max Bill (Bauhaus-Schüler) die Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG Ulm)[118]. Diese Schule verstand sich explizit als Nachfolgerin des Bauhauses, angepasst an die Nachkriegszeit. In Ulm wurde die Lehre des Bauhauses modernisiert weitergeführt – mit Betonung auf funktionales Design, Systemdenken, Wissenschaftlichkeit (die HfG verzichtete allerdings bewusst auf freie Kunst und fokussierte auf Produkt- und visuelles Design)[118]. Ulm brachte bedeutende Designer hervor und prägte z.B. Industriedesign bei Braun (Dieter Rams) oder visuelle Kommunikation. Die Ulmer Schule trug so die Fackel des Bauhauses in Westdeutschland weiter.

Im Architekturstil der jungen BRD schlug sich das Bauhaus ebenfalls nieder: Die Architekten des West-Berliner Hansaviertels (Interbau 1957) etwa orientierten sich an Bauhaus und Le Corbusier – flache Dächer, offene Grundrisse, nüchterne Fassaden. Die Bundesrepublik stilisierte das Bauhaus zu einem Symbol des aufgeklärten, weltoffenen Deutschlands, gerade in Abgrenzung zur Nazi-Vergangenheit. 1968 organisierte das Württembergische Landesmuseum eine große Bauhaus-Ausstellung, 1976 wurde in Dessau zum 50. Jahrestag des Gebäudes eine Feier abgehalten (daran waren auch West-Institutionen beteiligt trotz kaltem Krieg).

In der DDR hingegen war die Haltung zum Bauhaus zunächst ablehnend. Offiziell galt im Stalinismus (bis Mitte der 1950er) die Moderne als „formalistisch“ und „bourgeoise Dekadenz“, und man propagierte den sozialistischen Klassizismus. Zudem interpretierte man im Osten das Bauhaus – etwas paradox – als Produkt kapitalistischer Industrieästhetik, die den Massen nicht gerecht wurde; also als „imperialistischen Stil“[116]. Diese Sicht veränderte sich allmählich: In den 1960ern begann man auch in der DDR, insbesondere die Hannes-Meyer-Phase positiv zu sehen, da Meyer Marxist war und das Bauhaus als proletarischer machen wollte. Ende der 1960er wandte sich die DDR wieder stärker der Moderne zu (nach dem Ende des stalinistischen Zuckerbäckerstils). Dessau lag in der DDR, und man begann, das Erbe vor Ort zu pflegen: 1976 wurde das restaurierte Bauhausgebäude als Hochschule wieder eröffnet (für Gestaltungskurse), es gab auch Ansätze einer Forschung. Dennoch blieb die DDR-Rezeption ambivalent – erst in den späten 1970ern erkannte man das ideologische Potential, Hannes Meyer als „rotes Bauhaus“ Held darzustellen (z.B. Publikationen wie „Das rote Bauhaus“ erschienen).

Wiedervereinigung und weltweite Renaissance: Nach 1990 wurde das Bauhaus-Erbe gesamtdeutsch und international gefeiert. 1994 gründete Sachsen-Anhalt die Stiftung Bauhaus Dessau, die seitdem im wiederhergestellten Gebäude residiert[119]. Weimar eröffnete 1995 ein Bauhaus-Museum, Berlin baute sein Bauhaus-Archiv zum Museum aus. 1996 erklärte die UNESCO die Bauhausstätten in Weimar und Dessau (das Gebäude, die Meisterhäuser, Haus Am Horn etc.) zum Weltkulturerbe[120]. Dies alles zeigt, dass das Bauhaus mittlerweile als kulturelles Erbe ersten Ranges anerkannt ist – ähnlich wie klassische Denkmäler.

In den späten 20. Jahrhundert erlebten Bauhaus-Entwürfe eine Renaissance am Markt: Seit den 1970ern kamen lizensierte Reeditionen vieler Bauhausmöbel und -leuchten auf den Markt[121]. Firmen wie Tecnolumen oder Knoll stellten die Wagenfeld-Lampe, Breuer-Stühle, Brandt-Teekannen etc. wieder her und verkauften sie erfolgreich. Diese Re-Editionen haben bis heute das Bild geprägt, es gäbe „DEN Bauhausstil“ – oft reduziert auf Chrom, Leder, Schwarz-Weiß[121]. Allerdings wird dabei mitunter die ursprüngliche Vielfalt (etwa farbige Möbel nach De Stijl-Manier, etc.) ignoriert. Trotzdem: Bauhausdesign wurde endgültig massenkompatibel – ironischerweise manchmal als teurer Luxus (z.B. original lizenzierte Wagenfeld-Lampen, die sich dann doch nicht jeder leisten kann).

Jubiläumsfeiern: 2019, zum 100. Jahrestag der Gründung, feierte Deutschland das Bauhaus mit einem großen Programm, national wie international[122][123]. Drei neue Bauhaus-Museen wurden eröffnet (in Weimar, Dessau und der Ausbau des Archivs in Berlin)[124]. Weltweit gab es Ausstellungen und Veranstaltungen, von London über Sao Paulo bis Lagos[123]. Deutschland inszenierte das Bauhaus-Jubiläum, mit Worten des Goethe-Instituts, als „größte Kulturleistung des 20. Jahrhunderts“ und „bedeutendsten Architekturexport des Landes“[125]. Diese vielleicht überschwängliche Selbstverortung zeigt den Stolz, den man heute auf das Bauhaus hat – als positive Facette deutscher Geschichte zwischen den Weltkriegen.

Kritische Einordnung: Trotz aller berechtigter Feier muss man die Bauhaus-Rezeption auch nüchtern betrachten. Nicht alles, was im Nachhinein als Bauhaus-Stil firmiert, war genuin Bauhaus. Viele Strömungen liefen parallel – De Stijl, russischer Konstruktivismus, Le Corbusier – das Bauhaus war Teil eines größeren Netzwerkes der Moderne. Kunsthistorisch problematisch ist es daher, „Bauhaus“ als isolierten Stilbegriff zu verwenden[96]. Wie bereits erwähnt, sprechen Laien oft vom „Bauhausstil“ für alles Kantige, Weiße, Reduzierte[96]. Aber streng genommen ist das Bauhaus keine monolithische Stilrichtung, sondern ein Schulexperiment mit vielen Richtungen, dessen Beiträge in Strömungen wie Funktionalismus, Neue Sachlichkeit und Internationaler Stil aufgehen[126]. Das hinderte die Populärkultur allerdings nicht daran, Bauhaus zum Synonym zu machen.

Tatsächlich hält die Resonanz des Bauhauses bis heute an und prägt unser Bild der Moderne[127]. Vom Smartphone (dessen minimalistisches Design man mit Bauhaus-Prinzipien in Verbindung bringt) bis zum IKEA-Möbel (flach verpackte, funktionale Möbel für jedermann – eine Idee, die auf Bauhaus- und Werkbundvorstellungen zurückgeht) – überall spürt man Nachwirkungen. Sogar die digitale Welt verehrt die klare Bauhaus-Ästhetik (man denke an Google’s primärfarbiges Design einiger Logos etc.).

Zusammengefasst hat das Bauhaus nach 1933 eine erstaunliche Karriere erlebt: Vom verfehmten Avantgarde-Projekt zum globalen Kulturerbe. Seine Ideen überlebten in der Fremde und kamen gereift zurück. Heute wird das Bauhaus international als Geburtsstätte des Modernismus angesehen, als Ort, an dem Visionen für eine bessere gestaltete Umwelt formuliert wurden. Dabei wird es teils romantisch verklärt – die Realität (Konflikte, Abbrüche, Unvollendetes) tritt hinter dem Mythos zurück. Doch auch kritische Historiker erkennen an, dass das Bauhaus als Idee – die Versöhnung von Kunst und Leben – epochal war.

Fazit

Die Bauhaus-Kultur der 1920er Jahre in Deutschland stellt im historischen Kontext ein einzigartiges Laboratorium der Moderne dar. In nur anderthalb Jahrzehnten gelang es dem Bauhaus, grundlegende Impulse für Architektur, Design, Kunst und Pädagogik zu geben, deren Wirkung weit über seine Zeit hinausreicht. Zusammenfassend lässt sich feststellen:

Das Bauhaus vereinte visionäre Kraft mit praxisnaher Reform. Erstmals wurde an einer Schule systematisch versucht, die Kluft zwischen freier Kunst und Handwerk/Industrie zu überbrücken und eine gesamtheitliche Gestaltungslehre zu entwickeln. Gropius’ Anspruch, „Architekten, Maler, Bildhauer – wir alle müssen zum Handwerk zurück!“[15], formulierte das Credo einer neuen Einheit von Kunst und Technik. Diese Leitidee hat die Lehrmodelle im Bereich Gestaltung weltweit revolutioniert und den Künstler-Designer hervorgebracht, der ästhetische und funktionale Verantwortung verbindet.

Die Leistungen des Bauhauses sind vielfältig: In der Architektur schuf es Ikonen des Neuen Bauens – vom Bauhausgebäude Dessau bis zum Haus Am Horn – und etablierte die Formensprache der Moderne (Flachdach, Weißer Kubus, offene Grundrisse) im Kanon der Architekturgeschichte. Im Produktdesign brachte es zeitlose Klassiker hervor (Breuer-Stühle, Wagenfeld-Lampe, Brandt-Teekanne), die bis heute produziert und genutzt werden. In der Kunstpädagogik führte es den Vorkurs ein, der als methodisches Fundament noch Generationen von Kunst- und Designstudierenden geprägt hat. Gesellschaftlich propagierte es eine Demokratisierung von Gestaltung – die Vision, formschöne und qualitativ gute Objekte für den Alltag aller Menschen zu gestalten, nicht nur für Eliten. Diese demokratische Designkultur ist heute im Prinzip verwirklicht, von Möbelhäusern bis zu Alltagsprodukten, selbst wenn die konkrete Umsetzung oft der Marktdynamik folgt.

Kritisch betrachtet gab es jedoch auch Grenzen und Widersprüche: Nicht alle utopischen Ansprüche des Bauhauses ließen sich einlösen. So blieb der volksnahe Massenwohnungsbau trotz Meyers Bemühungen eher Fragment – Bauhaus-Siedlungen waren begrenzt und kosteten oft mehr als gehofft[64]. Die Idee, durch industrielles Design preiswerte Qualitätsprodukte für jedermann zu schaffen, konnte erst mit Jahrzehnten Verzögerung (und außerhalb Deutschlands) realisiert werden; zur Bauhaus-Zeit selbst blieben viele Produkte in Prototypenstadien oder Luxus-Kleinserien hängen. Auch intern war das Bauhaus kein konfliktfreier Raum: Ideologische Spannungen (Kunst vs. Technik, Individualismus vs. Kollektivismus) führten zu Richtungsstreits, etwa Gropius vs. Itten oder später Meyer vs. etablierte Meister. Die soziale Utopie stieß an reale Barrieren – sei es ökonomisch (Druck der Geldgeber, Verkaufszwang) oder politisch (Anfeindungen von Rechts).

Ein besonders eklatantes Defizit zeigte sich in der Geschlechterfrage: Trotz fortschrittlicher Rhetorik behandelte man Frauen in der Ausbildung nicht wirklich als völlig gleichberechtigt; viele talentierte Designerinnen wurden in konventionelle Bahnen gedrängt[104]. Hier offenbarte sich, dass auch im Bauhaus die Zeitumstände (Patriarchat der 1920er) ihre Schatten warfen. Dennoch schufen gerade die Bauhaus-Frauen – Gunta Stölzl, Marianne Brandt, Anni Albers u.a. – Großartiges und brachen manche Türen auf, wofür ihnen postum Anerkennung gezollt wird[106].

Die historische Gesamtbewertung des Bauhauses fällt gleichwohl sehr positiv aus: Es war ein Brennpunkt der kulturellen Moderne, in dem sich die intellektuellen, künstlerischen und sozialen Strömungen der Weimarer Republik fokussierten. Das Bauhaus verkörpert den Optimismus jener Jahre, den Glauben an Gestaltung als Mittel zur Weltverbesserung. In der Weimarer Republik stand es für Weltoffenheit und Avantgarde[6], wie kein zweites Institut. Zugleich spiegelt sein Schicksal die Verwundbarkeit solcher Avantgarden in Zeiten politischer Extreme: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bedeutete das abrupte Ende dieser hoffnungsvollen Epoche. Die Feindschaft des NS-Regimes gegen das Bauhaus – bis hin zur physischen Zerstörung von Werken und Verfolgung von Personen – zeigt, wie sehr Kunst und Gestaltung zum ideologischen Kampfplatz werden können. Ironischerweise haben die Nazis mit der Vertreibung der Bauhausangehörigen unfreiwillig zur globalen Verbreitung der Bauhaus-Ideen beigetragen.

Heute, mit dem Abstand von 100 Jahren, erkennt man im Bauhaus einen Ursprung vieler Selbstverständlichkeiten unserer gestalteten Umwelt. Ob man ein Smartphone in der Hand hält, in einem modernen Bürogebäude arbeitet oder schwedische Möbel zusammenbaut – überall hallen Bauhaus-Prinzipien nach (Reduktion, Funktionalität, Standardisierung gepaart mit Ästhetik). Das Bauhaus hat „die Welt neu gedacht“, wie das Motto zum Jubiläum 2019 lautete[124], und in vieler Hinsicht ist diese neue Gedankenwelt Realität geworden.

Natürlich war das Bauhaus kein allein seligmachendes Projekt; es stand auf den Schultern früherer Reformbewegungen (Arts and Crafts, Werkbund) und war Teil eines internationalen Netzwerks der Moderne. Doch es gelang dem Bauhaus in selten gesehener Dichte, Talente, Ideen und Experimentierfreude zu bündeln, sodass ein wirkungsmächtiger kultureller Impuls entstand. Dieser Impuls wirkte weit in die Zukunft: Die Nachkriegsmoderne, die digitale Designkultur, ja das gesamte Berufsfeld des Designers wären ohne das Bauhaus so nicht denkbar.

Abschließend kann man sagen: Die Bauhaus-Kultur der 1920er war revolutionär in Ansatz und Wirkung, wenn auch nicht perfekt in der Umsetzung. Sie lehrte uns, Gestaltung ganzheitlich zu denken – vom Städtebau bis zum Teelöffel – und immer den Menschen ins Zentrum zu stellen. Ihr Erbe ist lebendig und dient weiterhin als Inspirationsquelle und Maßstab. Damit hat das Bauhaus sich seinen Rang als „Bedeutendste Kulturleistung des 20. Jahrhunderts“ im Selbstbild Deutschlands[125] in vieler Augen verdient – auch wenn solche Superlative stets vereinfachen. Unbestreitbar aber bleibt: Das Bauhaus war mehr als eine Schule, es war ein Kulturphänomen und steht sinnbildlich für die kreative Aufbruchsstimmung der Weimarer Zeit sowie für die langfristige Triumph der Moderne über reaktionäre Kräfte.

In seinem Streben nach einer besseren Verschmelzung von Kunst und Gesellschaft bleibt uns das Bauhaus bis heute Auftrag und Vorbild. Wie Gropius schrieb: „Erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft... der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird“[14]. Dieses Pathos mag historisch klingen, doch die Kernidee – dass Zusammenarbeit und gute Gestaltung die Zukunft formen können – hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Das Bauhaus hinterlässt somit nicht nur Werke, sondern vor allem den Geist einer optimistischen, innovationsfreudigen Gestaltungskultur, der in einer immer komplexeren Welt relevanter denn je erscheint.

Quellen: Die vorliegenden Ausführungen stützen sich auf eine Vielzahl von Primär- und Sekundärquellen. Zitiert wurden unter anderem zeitgenössische Dokumente und Erinnerungen (etwa Gropius’ Manifest und spätere Aussagen[14][91]), Darstellungen aus der Fachliteratur und Museen (wie Beiträge des Deutschen Historischen Museums[128][129], des Goethe-Instituts[1], des Deutschlandfunks[130][106] sowie insbesondere die Wikipedia-Artikel zum Bauhaus und seinen Persönlichkeiten[15][52][74]). Diese Belege untermauern die dargestellten Fakten und liefern O-Töne, die die Atmosphäre und den Diskurs jener Zeit nachvollziehbar machen. Sie zeigen das Bauhaus in all seinen Facetten – als künstlerische Avantgarde, pädagogisches Experiment, politisches Streitobjekt und letztlich weltweites Kulturerbe. Damit ermöglichen sie eine fundierte wissenschaftliche Würdigung dieses einzigartigen Kapitels der deutschen Kulturgeschichte.


[1] [3] [122] [123] [124] [125] Bauhaus und das Antlitz des 20. Jahrhunderts - Magazin - Goethe-Institut Bulgarien

https://www.goethe.de/ins/bg/de/kul/mag/21510014.html

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https://de.wikipedia.org/wiki/Bauhaus

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https://www.deutschlandfunk.de/100-jahre-bauhaus-einheit-von-handwerk-und-kunst-100.html

[42] [44] [54] [55] [57] [58] [60] [67] [68] [69] [70] [72] [76] [77] [88] [102] Bauhausgebäude Dessau – Wikipedia

https://de.wikipedia.org/wiki/Bauhaus_Dessau

[46] [47] File:Bauhausgebäude Dessau.jpg - Wikimedia Commons

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bauhausgeb%C3%A4ude_Dessau.jpg

[50] [51] [98] [128] [129] LeMO Zeitstrahl - Weimarer Republik - Kunst und Kultur - Bauhaus

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/kunst-und-kultur/bauhaus

[100] [101] File:Bauhaus 3 Chair.jpg - Wikimedia Commons

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bauhaus_3_Chair.jpg