1) Einleitung
Mein Essay befasst sich mit dem Artikel „Die Bilderfrage“ von Gottfried Boehm, in: Was ist ein Bild, hg. v. Gottfried Boehm, München 2006 (4. Auflage), S.325-343.
Boehm unterteilte seinen Artikel in drei Abschnitte, denen ich chronologisch folgen werde. Um den Titel meines Essays (Analyse, Beschreibungen und Anmerkungen) gerecht zu werden, ergänze und erweitere ich die Aussagen Boehms mithilfe entsprechender Literatur. Jedoch steht Boehms Arbeit dabei immer im Vordergrund.
Im I. Abschnitt bemängelt Boehm das Fehlen einer „Bildwissenschaft“ und zeigt gleichzeitig auf, wie Wissenschaftler und Künstler dieser gerecht werden könnten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der „iconic turn“, der in der Moderne zu neuen künstlerischen Konzepten geführt hat.
In der Frage, woher Bilder ihre Macht nehmen, geht Boehm im II. Abschnitt auf das alttestamentarische Bilderverbot und seine Folgen ein. Auch das Verhältnis zwischen Religion und Kunst wird hier angeschnitten. Im III. Abschnitt beschreibt und kritisiert Boehm das gängige Ziel der Renaissancekünstler nach Realismus. Eine weitere Neuerung dieser Zeit war das Selbstporträt. Er geht fortfolgend auf die Kunst des 20. Jahrhunderts ein, die sich dem althergebrachten zu entziehen versuchte und eine neue Fülle von Bildern hervorbrachte. Dabei beschreibt er das Bild Weiß und Orange auf Gelb (1953) von Mark Rothko. Um Boehms Interpretation nachvollziehen zu können und einen Zusammenhang zur Vorlesung herzustellen, beschreibe ich Boehms These, den Begriff „Metapher“ in der Bild- bzw. Kunstanalyse zu verwenden, um so u. a. Struktur und Sinnhaftigkeit von Kunstwerken zu ergründen.
Ein Fazit habe ich außen vor gelassen, da die jeweilige Analyse innerhalb der einzelnen Abschnitte erfolgt.
2) I. Abschnitt
Zunächst geht Gottfried Boehm in seinem Beitrag die Bilderfrage darauf ein, dass dem Bildlichen im Vergleich zur Sprache, eine grundlegend wissenschaftlich fundierte Betrachtungsweise bzw. eine konsequent theoretische Analyseform, d. h. eine „Bildwissenschaft“ fehlt. „Denn, während sich die Sprache, besonders seit der Romantik, einer intensiven theoretischen Debatte erfreute, die sich in Sprachphilosophie, allgemeiner Sprachwissenschaft, Linguistik, Übersetzungstheorie etc. institutionalisierte, wurde dem Medium des Bildes keine vergleichbare Aufmerksamkeit zuteil.“[1] Die Erstauflage von „Was ist ein Bild?“ stammt aus dem Jahre 1994. Gibt man den Begriff „Bildwissenschaft“ im Campus-Katalog Hamburg ein, so zeigt die Ergebnisliste, dass die ersten Publikationen im Jahr 1998 veröffentlicht wurden. Zu Recht schreibt Boehm daher: „Vergeblich fahnden wir nach einer entwickelten >>Bildtheorie<< oder >>Bildwissenschaft<< und die kunsthistorische Ikonologie, die das gesuchte Programm einer >>bildlichen Logik<< scheinbar im Namen führt, baut doch primär auf sprachliche Referenzen des Bildes und kaum auf seine visuelle Präsenz.“[2] Nach Boehm repräsentiert die Sprache eine Meta-Instanz, die dazu führt, dass Bilder mit Worten beschrieben werden.[3] „Eine stumme, strikt visuelle Reflexion des Bildnerischen ist zwar nicht ausgeschlossen, wie die Geschichte – insbesondere der modernen Kunst – zeigt, sie bleibt aber am Rande.“[4] „Das enorme Arbeitsfeld einer Wissenschaft von Auge und Bild, welches sich vor uns abzeichnet, lässt sich jetzt nur andeuten und probeweise erkunden.“[5] „Damit zielt Boehm auf eine grundlegende Erörterung der Bilderfrage, jenseits des rein Akademischen.“[6] „Er sucht vielmehr die uralte kulturelle Institution des Bildes neu in den Blick zu nehmen und in diesem Zusammenhang das neu gesehene Bild auch neu aufzustellen.“[7] „Konkret ging und geht es dabei um einen Perspektivenwechsel, genauer, um eine Umwertung der begrifflich organisierten, logozentrischen Wahrnehmung zugunsten einer auch bildlich organisierten, autonom ikonischen oder besser ikonozentrischen Wahrnehmung – und damit zugleich um eine alte, offen gebliebene Rechnung, was die Geltung des bildenden Kunst angeht.“[8] Um diesen Perspektivenwechsel gerecht zu werden, muss sich das neue Arbeitsfeld der „Bildwissenschaft“ Arbeitsweisen- und Techniken aus verschiedenen, bereits vorhandenen Disziplinen wie beispielsweise der Kunstgeschichte, den Kulturwissenschaften, dem Kommunikationsdesign oder der Psychologie übernehmen. Wie ernst die „visuelle Wende“ im akademischen Betrieb genommen wird, belegt die Einrichtung vom Studiengang „Computervisualistik“ in Analogie zur Computerlinguistik.[9]
Zahlreiche Künstler haben zu einem Bewusstseinswandel in der Moderne beigetragen, indem Bilder alles andere als selbstverständlich betrachtet werden.[10] Bevor ein Künstler der Moderne bzw. Postmoderne gestaltet und indem er gestaltet, muss er die Frage stellen und beantworten, was für ihn überhaupt >>Bild<< sein soll: wie es wovon handelt?[11] Sowohl Künstler als auch Betrachter müssen sich in der augenblicklichen Situation, in einem Strom neuer Bilder, die Frage nach der Valenz von Bildlichkeit immer nachdrücklicher stellen.[12] „Es geht also nicht mehr um die herkömmliche Opposition von Anschauung und Denken, von Sinnlichkeit und Verstand.“[13] „Die Verschiebung findet vielmehr auf der Ebene der Anschaulichkeit selbst statt.“[14] „Als Resumé läßt sich festhalten: wie immer das Verhältnis von Kunst und Theorie vor der Moderne ausgesehen hat, unter modernen Vorzeichen werden die Reflexion und die produktive Verwandlung des Bildes notwendige Bestandteile der bildnerischen Arbeit selbst.“[15]
„Wie ein Verlust an Selbstverständlichkeit bzw. Tradition oft, so zeigt sich auch der jetzt eingetretene folgenreich und schmerzlich.“[16] „Die Moderne war deswegen nicht nur das Terrain künstlerischer Konzepte und Gedankenarbeit, sondern auch und ebenso sehr, verzweifelter Versuche, diese wieder abzuschütteln, ursprünglich und natürlicher zu werden, und sei es auf dem Wege einer surrealistischen Seelenwanderung oder eines künstlerischen Aktionismus.“[17]
„Kurz gesagt, ein Wandel im ikonischen Bewußtsein hat stattgefunden.“[18] Dieser „iconic turn“ ist in seiner Konsequenz immer noch bedeutsam.[19] „Es wird um Bilder und Bildlichkeit gestritten, werden Chancen und Gefahren des zentralen Kommunikations- und Erkenntnismittels im 21. Jahrhundert vehement gegeneinander ausgespielt.“[20] „Ja, es scheint sich der Einflussbereich des Bildlichen und damit der Bilddiskussion ständig zu erweitern, weitere Kreise zu ziehen.“[21] Diese Faktoren führen dazu, gründlicher zu erkunden, was Bilder sind, woraus sie bestehen, wie sie funktionieren und was sie mitteilen.[22]
„Die moderne Kunst bietet sich als unvergleichliche Werkstatt der Erkenntnis an, die uns gestattet, den konventionellen Bildbegriff kritisch zu befragen.“[23] Der Grund hierfür ist die unterschiedliche individuelle Sichtweise und subjektive Wahrnehmung des Betrachters. Eine vorausgesetzte Realität spiegelt sich (in welcher stilistischen Verzehrung auch immer) nachträglich in den Bildern.[24]
Bilder haben ihren Sinn nicht in sich selbst, sondern in dem Sachverhalt den sie spiegeln.[25] „Dieser Bildbegriff breitet sich dank Reproduktionsmedien unaufhörlich aus, gleichwohl verkürzt er das Phänomen auf unzuträgliche Weise.“[26] „Weder ältere noch die moderne Kunst läßt sich in diesem gängigen Modell verstehen, noch viel weniger die Rolle der Bilder in den frühen Hochkulturen.“[27] Gottfried Boehm versucht diesem Paradigma wie folgt zu begegnen: „der Weg der Analyse von jener der gewohnten Werke zu jener der ungewohnten Bilder, um das Leistungspotential von Bildlichkeit zu fassen und so aus der historischen Identität von Werk und Bild ihre aktuelle Differenz bzw. ihren Widerspruch als Parallelphänomen zu legitimieren.“[28]
„Wie ist es überhaupt möglich, mit bloßem Stoff (Pigmenten und Pinsel) appliziert auf einen materiellen Träger (Holz, Putz, Leinwand, Blech etc.), die höchsten Geheimnisse der Religion, des Geistes, oder eines aesthetischen Entzückens zu repräsentieren?“[29] „Wie ist es möglich, daß sich der Schmutz der Malfarbe als ein derart Gestaltbares, geradezu alchemisches oder magisches Medium erweist?“[30] „Woher nehmen Bilder ihre Macht?“[31] Ich denke hierzu passt folgendes Sprichwort: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.
3) II. Abschnitt
Um die Macht der Bilder zu verstehen, muss man das wohl älteste Dokument heranziehen, welches wir in der europäisch-mediterranen Kultur zur Bilderfrage besitzen: die Erzählung vom Bilderverbot im Alten Testament.[32] Auf dem Berg Sinai spricht Jahwe mit Moses und überantwortet ihm eine Folge von Geboten, an deren Anfang die Unvergleichbarkeit Gottes gefordert und auf dem Wege des Bilderverbots verbürgt wird.[33] „Jahwe ist ein unsichtbarer Gott, kein Urbild, sondern eine unerfaßbare Macht, die Moses ihre Gunst sprechend erweist.“[34] Diese Macht ist war nicht bildlich zu erfassen, jedoch zeigt sie ihre Kraft über alles Irdische in Form einer Wolke oder über dem brennenden Dornbusch. „Was Moses vom Sinai herunterträgt ist kein Äquivalent der göttlichen Gestalt oder ihres Wesens, sondern eine bildlose Botschaft in bildferner Form“[35] „Unter diesen Geboten befindet sich zuvorderst ganz ausdrücklich die ikonoklastische Intervention.“[36] „In Exodus 20.4 heißt es: >>Du sollst Dir kein Bild machen… Du sollst Dich nicht vor diesen Bildern niederwerfen und sie verehren. Denn ich, Jahwe, Dein Gott, bin ein eifernder Gott.<<“[37]
„Es liegt auf der Hand, daß ein Gott, der durch magische Praktiken wie Beschwörung oder Opfer unter Kontrolle gebracht werden kann, aus der Funktion eines Richters und Befreiers in die Funktion eines beliebig manipulierbaren Dämonen, wie des Geistes aus Aladins Wunderlampe, abgleitet.“[38]
Moses hatte seinem älterem Bruder Aaron während seiner Abwesenheit, die Führung des Volkes überlassen. „Der wußte sich keinen anderen Rat als dem aufbrechenden, alten Bedürfnis nach einer bildlichen Verehrung des Göttlichen dadurch zu willfahren, daß er ein goldenes Kalb aufrichten ließ.“[39] Dieser Götze ist Bestandteil der mehr als 2500 Jahre währenden Debatte um das Bilderverbot, indem es nicht darum geht, sich zwischen einem magischen und einem hochkulturellen Gottesbild zu entscheiden, sondern um eine Debatte innerhalb der monotheistischen, hochkulturellen Religionen.[40]
„Was aber läßt sich aus der Erzählung des Bilderverbots lernen?“[41] Zunächst muss gesagt werden, dass es sich beim Bilderverbot weder um ein Denk-, noch ein Sprach- oder Kunstverbot handelt.[42] „Hier geht es nicht um die Sinnlichkeit von Kunst und Kultur, sondern um die prekäre Sinnlichkeit der Religion und des religiösen Kultes.“[43] Das Bilderverbot möchte vor allem sicherstellen, dass die notwendige Analogie zwischen dem Schöpfer und seinem Wesen nicht umkehrbar wird.[44] „Der Mensch darf nicht von sich aus auf seinen Schöpfer schließen.“[45] „Daher kann es nichts in der Welt geben, das Gott gleich, ihm ähnlich oder seine „Erscheinung ist, so dass es selbst Verehrung und Anbetung beanspruchen dürfte.“[46] „Als verheerend muß aber der reziproke Versuch gelten, von jenem göttlichen Reflex im Menschen aus die Realität Gottes zu modellieren, ihre Andersartigkeit mit anthropomorphen oder zoomorphen Zügen auszustatten.“[47] Solche „Hybriden“ aus Mensch- und Tiergestalt finden sich beispielsweise in der jüdischen Kunst des Mittelalters.[48]
Die Auseinandersetzungen in Form eines Bilderstreits gab es im alten Israel, im frühmittelalterlichen Byzanz und während der Reformation.
Heute ist man sich weitestgehend darüber einig, dass das Bilderverbot im alten Israel nur im Zusammenhang mit der Kultzentralisation in Judäa und Jerusalem zu erklären ist, eine Annahme, die auch für den byzantinischen Bilderstreit vertreten wird.[49]
„Die Erzählung vom Bilderverbot enthält eine theologische Lehre, aber auch Einsichten in die Eigenart des Bildes.“[50] „Zuvorderst wird ihm eine gewaltige Macht zuerkannt.“[51] „Nur deshalb ist es erforderlich, ihm mit Verboten zu begegnen, das Feld der theologischen Argumente zu verlassen und dasjenige der Vorschriften zu betreten.“[52] „Bilder waren unerwünscht, sobald sie größeren Zulauf erreichten als die Institutionen selbst und ihrerseits im Namen Gottes agieren begannen.“[53] Genau hier liegt die Macht der Bilder, in der Verschmelzung ihres Inhaltes mit dem Dargestellten.[54]
„So sehr man geneigt ist, dem Bilderverbot des Moses eine überlegene Einsicht schon deshalb anzuerkennen, weil es deutlich macht, daß es Undarstellbares gibt, solches das außerhalb jedes Vergleiches, jenseits der möglichen Reichweite der Bilder steht, - Aarons Position im Bilderstreit ist vermutlich die ältere und sie ist für das Verständnis des Bildes ganz unverzichtbar.“[55]
Die Theologie des Bilderverbotes erneuerte sich später im Christentum. „Die Reserviertheit gegenüber dem Bild resultierte nicht nur aus dem biblischen Bilderverbot, sondern auch aus der Ablehnung des römischen Staatskultes.“[56] „Dieser insistierte auf der mit religiösen Gesten vorgenommenen Huldigung der Kaiserstatuen und beschwor einen Konflikt mit dem Glaubensbekenntnis der Christen, die dem Kaiser nur geben wollten, was des Kaisers ist – also keine religiöse Verehrung.“[57] Dies führte dazu, dass sich eine christliche Bildkunst erst im Laufe des 2. Jahrhunderts entwickelte.[58] Ab da an kam es zu einer Aufwertung der kultischen Bedeutung von Bildern.[59] „Kultbilder gelten vor allem in der Ostkirche als weltimmanente Erscheinung von Transzendenz.“[60] „Sie vermitteln die Teilhabe am Göttlichen und verdienen – wie die Ikonenfrömmigkeit zeigt – selbst religiöse Verehrung.“[61]
4) III. Abschnitt
Das gängige Ziel der Renaissancekünstler war der Realismus. „Unbestritten ist, daß sich die Malerei damals auf neue Weise der sichtbaren Welt öffnete.“[62] Einer der bedeutendsten Renaissancekünstler, Leonardo Da Vinci, begründete im Wettstreit der Künste den Vorrang der Malerei gegenüber der Dichtung folgend: „Bilder, betonte er, könnten nämlich das, was die diskursive Sprache nur mittels einer sukzessiven Folge von Sätzen sozusagen „Glied für Glied und nacheinander“ für den Verstand „erstehen“ lassen kann, „ganz und gleichzeitig“ vor Augen stellen, d. h. etwas unmittelbar anschaulich machen, was sich – als solche simultane Einheit – „aller sprachlichen Substitution“ widersetzt.“[63] „Für Leonardo diente dabei die „Schönheit des“ menschlichen „Antlitzes“ als Beispiel, die für ihn „einzig und allein in der göttlichen Proportion aller Teile […] zur gleichen Zeit“ besteht, was freilich nur im Bild der Malerei gezeigt, niemals jedoch in einer Folge von Sätzen zum Ausdruck gebracht werden kann.“[64] Folglich könnte man sagen, dass mit zunehmender Komplexität und /oder Realitätsnähe eines Bildes, wird dessen sprachliche Beschreibung umso schwieriger zu vergegenwärtigen. Boehm stellt nun die Frage nach dem Sinn des Realismus.[65] „Wäre es darum, um ein illusionstiftendes Bild gegangen, das sich idealenfalls von der Realität, die es darstellte, gar nicht mehr unterscheiden ließe, das Bild würde sich mit der Erreichung dieses Ziels selbst aufheben.“[66] „Man müsste sagen: Bild soll nicht sein, Realität soll sein, genauer: das Bild soll Realität werden.“[67] „Denkt man diesen Gedanken zu Ende, stellt man überrascht fest, daß die vollendete Abbildlichkeit, d. h. der Illusionismus, mit der perfekten Ikonoklastik konvergiert.“[68] „Mitten im gelungenen Abbild nistet eine bildaufhebende Kraft.“[69]
„Die Renaissancekünste, die man damals als neue Medien verstand, trugen so unübersehbar wie die Virtuosität des Scheins in sich und waren so offen an den Beweis der Kunst gebunden, daß die den Bildbegriff der Kirche nicht mehr rechtfertigen“[70]. „Sie wurden deshalb zur Ausstattung der Altäre verwendet, auf welche die auratischen Bildreliquien zurückkehrten.“[71]
Eine weitere wichtige Entwicklung der Renaissance ist das selbstständige Eigenporträt.[72]
Dürer’s Holzschnitt >>Der Zeichner<< illustriert dies durch seine Darstellungsweise, vor allem aber das Thema.[73] Durch sein Selbstbildnis emanzipiert sich der Künstler (Dürer)[74] „Erst ein Künstler, der sich seines Standes bewusst ist, wird sich so wichtig nehmen, dass er ein Konterfrei von sich selbst anfertigt.“[75]
Ein praktischer Aspekt für diese Entwicklung war, dass zu dieser Zeit von Venedig ausgehend, erstmals größere und flachere Spiegel produziert werden konnten.[76]
Um dem Realen möglichst nahe zu kommen, mussten die Künstler der Renaissance, die Kunst der systematischen Verzerrung beherrschen.[77] „Falschheit hinzunehmen ist die Voraussetzung eines >>realistischen<<, d. h. >>richtigen<< Bildsehens“[78]
„Die perspektivische Rationalisierung des Bildes war eine folgenreiche und faszinierende Leistung“[79] „Sie beherrscht unser Alltagssehen und die banalen Reproduktionsmedien weitgehend.“[80] „Die Kunst der moderne versucht sie in angestrengter und konsequenter Arbeit zu unterminieren.“[81] Die Malerei des 20. Jahrhunderts hat mit der Überschreitung des Bildes ihre Möglichkeiten neu entdeckt.[82] So hat sie eine Fülle von Bildtypen hervorgebracht, deren Interpretation ganz neue semiotische Probleme mit sich bringt.[83] So beispielweise Collagen, deren Technik zunächst versuchweise von Braque und Picasso ausging und u. a. im Dadaismus und Surrealismus sehr beliebt war.[84] Die Entwicklung neuer Medien erweiterte das Repertoire der Mittel, so daß Fotomontagen und die heute durch Computereinsatz möglichen Mischungen aus Real- und Trickaufnahmen als moderne Nachfahren der Collagen gelten können.[85]
Nach Boehm ist Negation die Grundlage aller bildlichen Erscheinung.[86]
Boehm beschreibt das Bild Weiß und Orange auf Gelb (1953) von Mark Rothko folgend: „Gemäß der Logik der Farbe präsentiert sich das Bild insgesamt als etwas, das sich gleichermaßen verhüllt und enthüllt.“[87] Diese Bilderfahrung bezeichnet Boehm als Numinos.[88] Für mich lässt sich in diesem Bild jedoch keineswegs etwas Allmächtiges oder Gottähnliches erkennen. Selbst dann nicht, wenn man die Metapher von Numinos wörtlich nimmt und in dem Bild einen gestaltlosen, fast atmosphärischen Gott wieder erkennen vermag.
Jedoch will ich mich nicht vor Boehm verschließen, der weiter ausführt: „Er ist damit so ungreifbar und verborgen wie Jahwe, - im Unterschied zu ihm besitzt er zugleich aber eine sinnliche, ästhetische Existenz.“[89] „Rothko gelingt es mithin das ikonoklastische Gebot mit einer angemessenen und einer starken Bildpraxis zu versöhnen.“[90] „Präsenz und Diffusion (als Platzhalter von Alterität) halten sich auf geheimnisvolle Weise die Waage.[91] Um diese Zusammenhänge nachvollziehen zu können, muss man die Begrifflichkeit Boehms verstehen.
„Ist es die seit Leonardo Da Vinci von vielen Autoren die betonte Fähigkeit des Bildes zur szenischen Simultaneität nur als solche, die man als Quell ikonischen Sinns zu betrachten hat?“[92] „Dass der rekurrente Hinweis auf sie allein wohl kaum ausreicht, hat Gottfried Boehm deutlich gemacht.“[93] „Wie er betonte, kann nämlich ein anderer Begriff als der der anschaulichen Simultaneität – ein Begriff, den man gewöhnlich zur Erklärung des Ursprungs von sprachlichem Sinn heranzieht – für das Verständnis der Konstitutionsprozesse von ikonischem Sinn vielleicht sogar noch aufschlussreicher sein: der Begriff der „Metapher“, der nach Boehm „als ein besonders geeigneter Kandidat“ erscheint, „strukturelle Einsichten in die Funktionsweise von ‚Bildern’ zu eröffnen“; und zwar – dies ist wichtig – nicht nur in die Funktionsweise von Kunstbildern in der Tradition der europäischen Malerei, sondern in diejenige aller Arten von Bildern, „ob sie“ – wie er schreibt, „nun gemalt, skulptiert, gebaut, gestellt, gespielt oder getanzt“, oder ob sie – wie man hinzufügen könnte – in Worten ausgedrückt seien.“[94] „Denn wie es scheint, lassen sich die Sinnentstehungsprozesse in beliebigen Arten von Bildern in wichtiger Hinsicht zumindest auch als metaphorische Prozesse beschreiben, welche die dabei jeweils verwendeten (sprachlich oder visuellen) „Erscheinungsfaktoren“ in die anschauliche Simultanität eines Bildes verschmelzen.“[95] „Tatsächlich ist Boehms These, dass „die Metapher möglicherweise geeignet“ sein könnte, „das strukturelle Muster von „Bildlichkeit“ schlechthin „abzugeben“, bereits vortheoretisch ein hohes Maß an Plausibilität zueigen.[96]
Zuletzt geht Boehm auf den Künstler Barnett Newman ein. Das beschriebene Bild scheint so abstrakt zu sein, dass es den Beobachter, besonders bei der Nahansicht, überfordert.[97] „Das kalkulierte Scheitern des Betrachters am Bild verweist ihn auf sich selbst zurück.“[98] „Das Bild Newmans will insoweit gar nichts zeigen (auch nicht bloße Farbflächen), es will in reiner Form wirken, im Beschauer etwas auslösen.“[99] Die Frage, die ich mir hierbei stelle ist, hat ein leeres Blatt Papier nicht dieselbe Wirkung? „Es hebt sich als Bild vollständig auf, in dem Augenblick, da ihm dies gelingt.“[100] Boehm scheint fasziniert, dass die Metapher von Newmans Bild für jeden Betrachter anders ist, und so der traditionelle Bildbegriff nicht greift. „Wohl nicht zufällig finden wir bei Kant einen Hinweis, der uns auf die ikonoklastische Fährte zurückführt, die Lehre des Bilderverbotes bestätigt.“[101] „Das Gefühl des Erhabenen, so sagt er, sei zwar niemals etwas anderes als eine bloß negative Darstellung, >>die aber doch die Seele erweitert<<.“[102] Dann fährt er fort: >>Vielleicht gibt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuch der Juden, als das Gebot: Du sollst Dir kein Bildnis machen, noch irgend ein Gleichnis…<<.[103] Die moderne bildende Kunst scheint diesem Paradigma zu folgen.
5) Literaturverzeichnis
-Boehm, Gottfried: Die Bilderfrage, in: Was ist ein Bild, hg. v. Gottfried Boehm, München 2006, S. 325-343.
-Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001.
-Hoppe-Sailer, Richard; Winter, Gundolf; Volkenandt, Claus: Logik der Bilder. Präzens – Repräsentation – Erkenntnis, in: Logik der Bilder. Präzens – Repräsentation - Erkenntnis, hg. v. Richard Hoppe-Sailer, Claus Volkenandt, Gundolf Winter, Bonn 2005, S. 9-14
-Majetschak, Stefan: Sichtbare Metaphern. Bemerkungen zur Bildlichkeit von Metaphern und zu Metaphorizität in Bildern, in: Logik der Bilder. Präzens – Repräsentation - Erkenntnis, hg. v. Richard Hoppe-Sailer, Claus Volkenandt, Gundolf Winter, Bonn 2005, S. 239-253.
-Fellman, Ferdinand: Von den Bildern der Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Bilder, in: Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Klaus Rehkämper, Wiesbaden 2004, S. 187-195.
- Posner, Roland; Schmauks, Dagmar: Die Reflektiertheit der Dinge und ihre Darstellung in Bildern, in: Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Klaus Rehkämper, Wiesbaden 2004, S. 15-31.
- Brumlik, Micha: Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot, Frankfurt am Main 1994.
-Höhn, Hans-Joachim: Verbieten? Bilder?. Theologisch-ethische Aspekte der „Bilderverbotes“, in: Bilderverbot. Recht, Ethik und Ästhetik der öffentlichen Darstellung (=Frankfurter Vorlesungen zur Kommunikationsfreiheit, Bd. 1), hg. v. Günter Frankernberg, Peter Niesen, Münster 2004, S. 42-69.
- Deresch, Wolfgang: Sichtbar zu machen das Unsichtbare: Studien zum Verhältnis von Religion und Kunst, Hamburg 2011.
[1] Boehm, Gottfried: Die Bilderfrage, in: Was ist ein Bild, hg. v. Gottfried Boehm, München 2006, S.325-343,
S. 325/326.
[2] Ebd., S. 326.
[3] Vgl. ebd.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Hoppe-Sailer, Richard; Winter, Gundolf; Volkenandt, Claus: Logik der Bilder. Präzens – Repräsentation – Erkenntnis, in: Logik der Bilder. Präzens – Repräsentation - Erkenntnis, hg. v. Richard Hoppe-Sailer, Claus Volkenandt, Gundolf Winter, Bonn 2005, S. 9-14, S. 10.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Vgl. Fellman, Ferdinand: Von den Bildern der Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Bilder, in: Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Klaus Rehkämper, Wiesbaden 2004, S. 187-195, S. 187.
[10] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 326.
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. Hoppe-Sailer, Richard; Winter, Gundolf; Volkenandt, Claus: a.a.O., S. 10.
[13] Fellman, Ferdinand: a.a.O., S. 187.
[14] Ebd.
[15] Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 326.
[16] Ebd., S. 327.
[17] Ebd.
[18] Ebd.
[19] Vgl. Hoppe-Sailer, Richard; Winter, Gundolf; Volkenandt, Claus: a.a.O., S. 9.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 327.
[23] Ebd.
[24] Vgl. ebd.
[25] Vgl. ebd.
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Hoppe-Sailer, Richard; Winter, Gundolf; Volkenandt, Claus: a.a.O., S. 11.
[29] Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 327.
[30] Ebd.
[31] Ebd.
[32] Vgl. ebd., S. 328.
[33] Vgl. ebd.
[34] Ebd.
[35] Ebd.
[36] Ebd.
[37] Ebd.
[38] Brumlik, Micha: Schrift, Wort und Ikone. Wege aus dem Bilderverbot, Frankfurt am Main 1994, S. 28.
[39] Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 328/329.
[40] Vgl. Brumlik, Micha: a.a.O., S. 28.
[41] Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 329.
[42] Vgl. Höhn, Hans-Joachim: Verbieten? Bilder?. Theologisch-ethische Aspekte der „Bilderverbotes“, in: Bilderverbot. Recht, Ethik und Ästhetik der öffentlichen Darstellung (=Frankfurter Vorlesungen zur Kommunikationsfreiheit, Bd. 1), hg. v. Günter Frankernberg, Peter Niesen, Münster 2004, S. 42-69, S. 46.
[43] Ebd.
[44] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 329.
[45] Ebd.
[46] Höhn, Hans-Joachim: a.a.O., S. 46/47.
[47] Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 330.
[48] Vgl. Höhn, Hans-Joachim: a.a.O., S. 47/48.
[49] Vgl. Brumlik, Micha: a.a.O., S. 29.
[50] Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 330.
[51] Ebd.
[52] Ebd.
[53] Höhn, Hans-Joachim: a.a.O., S. 42.
[54] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 330.
[55] Ebd.
[56] Höhn, Hans-Joachim: a.a.O., S.50.
[57] Ebd.
[58] Vgl. ebd.
[59] Vgl. ebd.
[60] Ebd.
[61] Ebd.
[62] Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 336.
[63] Majetschak, Stefan: Sichtbare Metaphern. Bemerkungen zur Bildlichkeit von Metaphern und zu Metaphorizität in Bildern, in: Logik der Bilder. Präzens – Repräsentation - Erkenntnis, hg. v. Richard Hoppe-Sailer, Claus Volkenandt, Gundolf Winter, Bonn 2005, S. 239-253, S. 239.
[64] Ebd.
[65] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 336.
[66] Ebd.
[67] Ebd.
[68] Ebd.
[69] Ebd,
[70] Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001, S. 47.
[71] Ebd.
[72] Vgl. Deresch, Wolfgang: Sichtbar zu machen das Unsichtbare: Studien zum Verhältnis von Religion und Kunst, Hamburg 2011, S. 42.
[73] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 336.
[74] Vgl. Deresch, Wolfgang: a.a.O., S. 42.
[75] Ebd.
[76] Vgl. ebd.
[77] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 337.
[78] Ebd.
[79] Ebd., S. 338.
[80] Ebd.
[81] Ebd.
[82] Vgl. ebd.
[83] Vgl. Posner, Roland; Schmauks, Dagmar: Die Reflektiertheit der Dinge und ihre Darstellung in Bildern, in: Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Klaus Rehkämper, Wiesbaden 2004, S. 15-31, S. 26.
[84] Vgl. ebd., S. 26/27.
[85] Ebd., S. 27.
[86] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 340.
[87] Ebd., S. 342.
[88] Vgl. ebd.
[89] Ebd.
[90] Ebd.
[91] Ebd.
[92] Majetschak, Stefan: a.a.O., S. 240.
[93] Ebd.
[94] Ebd,
[95] Ebd.
[96] Ebd.
[97] Vgl. Boehm, Gottfried: a.a.O., S. 342.
[98] Ebd., S. 342/343.
[99] Ebd., S. 343.
[100] Ebd.
[101] Ebd.
[102] Ebd.
[103] Ebd.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen