Einleitung: Ein Team von Forschern am MIT – in Zusammenarbeit mit Microsoft und Google – hat einen neuartigen „Periodentafel“-Ansatz für Machine Learning (ML) entwickelt[1]. Ähnlich wie die chemische Periodentafel der Elemente soll dieses Periodensystem des maschinellen Lernens helfen, disparate Lernverfahren in einem gemeinsamen Rahmen zu systematisieren und sogar Lücken für noch unentdeckte Methoden aufzuzeigen[2][3]. Das zugrunde liegende Framework trägt den Namen Information Contrastive Learning (I-Con)[1]. I-Con vereinheitlicht über 20 klassische ML-Algorithmen – von Klassifikations- und Regressionsmethoden über Clusteranalyse bis hin zu dimensionaler Reduktion und selbst großen Sprachmodellen – unter einem einzigen mathematischen Dach[1]. Dieser Artikel erläutert die Struktur und Funktionsweise dieser „Periodentafel“, gibt aktuelle Anwendungsbeispiele für ihren Nutzen und vergleicht sie mit ähnlichen Ansätzen zur systematischen Einordnung von KI-Verfahren. Die Darstellung richtet sich sowohl an technisch-wissenschaftliche Leser als auch an allgemein technisch Interessierte – sie ist also erklärend, aber nicht oberflächlich.
1. Struktur und
Funktionsweise der Periodentafel des ML
Im
Kern basiert das I-Con-Framework auf einer einfachen, aber leistungsfähigen
Idee: Maschinelles Lernen lässt sich als das Lernen von Beziehungen
zwischen Datenpunkten auffassen[4].
Unterschiedliche Algorithmen konzentrieren sich dabei auf unterschiedliche
Arten von Beziehungen – doch die grundlegende Mathematik ist stets ähnlich[4].
I-Con zeigt, dass viele populäre Verfahren nur Variationen eines gemeinsamen
Prinzips sind: Ein ML-Algorithmus versucht, bestehende Zusammenhänge in den
Daten durch ein vereinfachtes Modell abzubilden, und zwar so, dass die
Abweichung zwischen den echten Beziehungen und den im Modell gelernten
möglichst gering ist[5][6].
Diese Abweichung wird formell durch die Kullback-Leibler-Divergenz
gemessen – ein Maß dafür, wie stark sich zwei Verteilungsmuster unterscheiden[6].
Vereinfacht gesagt minimiert jeder Algorithmus eine bestimmte Fehlerfunktion,
welche genau diesen Unterschied zwischen „Daten-Wirklichkeit“ und „Modell-Vorstellung“
der Datenbeziehungen ausdrückt[7].
Kategorisierung nach Beziehungen und Annäherungsmethoden: Um die Vielfalt der ML-Algorithmen greifbar zu machen, haben die
Forscher ein zweidimensionales Kategorienschema eingeführt[8]. Dimension
1 beschreibt die Art der realen Beziehung („Supervisory Signal“),
die ein Algorithmus ausnutzt – z. B. Nähe im Merkmalsraum, Zugehörigkeit zur
selben Klasse, gemeinsame Nachbarschaft in einem Graphen oder gepaarte
Ähnlichkeit zwischen Datenpunkten[9][10]. Dimension
2 beschreibt die Art und Weise, wie der Algorithmus diese Beziehungen im
Modell annähert („Learned Representation“) – etwa durch Gruppierung in
Cluster, durch Abstände in einem Merkmalsraum, durch Zuordnung zu Kategorien
oder durch andere projektionelle Verfahren[8][10].
Jedes bekannte Lernverfahren lässt sich als Kombination dieser beiden Achsen
begreifen und somit in einem Feld der Tabelle verorten[11][12].
Abb. 1: Schematische Darstellung einiger Beziehungstypen (Spalten) in Daten und Approximationsarten (Zeilen) im I-Con-Framework【28†】. Beispielsweise basieren (A) räumliche Beziehungen auf Abständen im Merkmalsraum (z. B. Nachbarn innerhalb einer Gauß- oder Student-t-Verteilung), (B) diskrete Paar-Beziehungen auf Zuordnungen wie positiven Paaren (etwa Datenaugmentierungen desselben Objekts) oder cross-modalen Paaren (z. B. Bild-Text-Zuordnungen) bzw. Label-Zugehörigkeit, (C) Cluster-Beziehungen auf gemeinsamer Gruppenzugehörigkeit und (D) Graph-Beziehungen auf Nachbarschaften in einem Netzwerk【28†】. I-Con definiert diese Kategorien formaler als Verteilungen, die Nachbarschaften zwischen Punkten darstellen (z. B. kontinuierliche Distanzgewichte vs. binäre Zugehörigkeiten), was dann die Zeilen der Periodentafel bestimmt. Jeder Algorithmus erhält ein Feld in der Tabelle entsprechend der Kombination aus genutzter Beziehungsart und gewählter Annäherungsmethode.
Durch diese Strukturierung konnte das Team über 20 verschiedene
Lernverfahren in das System einordnen[1].
Einige Beispiele:
·
Clustering (z. B. K-Means): berücksichtigt die räumliche Nähe
zwischen Punkten und bildet Cluster als Annäherung – Datenpunkte werden
gruppiert, sodass nahe beieinander liegende Punkte im selben Cluster landen[11][13].
·
Dimensionsreduktion (z. B. PCA oder t-SNE): betrachtet ebenfalls Distanzähnlichkeiten
in hochdimensionalen Daten und projiziert die Punkte in niedrigere
Dimensionen, wobei die Nachbarschaften möglichst erhalten bleiben[11][14].
·
Graph-Algorithmen (z. B. Spektrales Clustering): nutzen Graph-Konnektivität
(Wer ist mit wem verbunden?) und ordnen Punkte Clustergruppen zu,
basierend auf den Verbindungen im Graphen[11].
·
Überwachtes
Lernen (z. B. Klassifikation mit Kreuzentropie):
basiert auf Label-Beziehungen (gehören zwei Datenpunkte zur selben
Klasse?) und platziert Datenpunkte im Merkmalsraum so, dass gleiche
Klassen nahe beieinander liegen[15][16].
(Ein Spam-Filter etwa lernt, E-Mails mit dem Label „Spam“ zusammenzuhalten und
von „Nicht-Spam“ zu trennen[17].)
·
Selbstüberwachtes
Lernen (z. B. Kontrastives Lernen): nutzt Ähnlichkeitspaare,
etwa ob zwei Datenpunkte aus der gleichen Quelle stammen (etwa zwei Ansichten
desselben Bildes). Es zieht ähnliche Paare zusammen und stößt unähnliche auseinander
im Merkmalsraum[11].
·
Große
Sprachmodelle (LLMs, z. B. Transformermodelle):
betrachten Sequenz-Beziehungen, d. h. welche Wortfolge auf einen
gegebenen Text folgt, und lernen eine hochdimensional eingebettete
Darstellung, in der kontextpassende Wörter nah beieinander liegen[1][16].
Trotz
der sehr verschiedenen Aufgaben zeigen sich in I-Con wiederkehrende
“Verbindungstypen”, was die Einordnung in tabellarische Form ermöglicht[18].
Jede Zelle der Tabelle steht für eine bestimmte Kombination aus Datenbeziehung
und Approximationsmethode. Abbildung 2 zeigt eine vereinfachte
Version dieser Periodentafel des ML. Hier sind die bekannten Algorithmen als
farbige Felder mit ihren Namen und (häufig) dem Jahr der ursprünglichen Veröffentlichung
eingetragen.
Abb. 2: Schematische Periodentafel des maschinellen Lernens (vereinfacht nach Hamilton et al., 2025)【27†】. Die Spalten (oben, Supervisory Signal) repräsentieren verschiedene Arten von „echten“ Beziehungen zwischen Datenpunkten – von kontinuierlichen Distanzgewichten (Gauß- und Student-t-Verteilungen, Uniform k-Neighbors) über Paar-Beziehungen (Positive Pairs, Cross-Modal Pairs) und Klassengleichheit (Uniform over Classes) bis zu expliziten Zuordnungen zwischen Daten und Labels (Data-Label Pairs). Die Zeilen (links, Learned Representation) entsprechen den Annäherungs- bzw. Modellierungsstrategien, wie diese Beziehungen intern abgebildet werden – beispielsweise kontinuierliche Gaußsche Verteilungen verschiedener Varianzgrenzen, Student-t-Verteilungen, diskrete Cluster-Zugehörigkeiten usw. Jedes Feld der Tabelle entspricht einem Algorithmus oder einer Verlustfunktion. Farbcodiert sind u. a. Dimensionsreduktion (blau), Clustering (orange), selbstüberwachtes Lernen (SSL) auf ein modality (rosa) oder mehreren Modalitäten (violett), sowie überwachtes Lernen (grün). Man erkennt, dass viele historisch getrennt entwickelte Methoden – von Pearson’s PCA (1901) bis zu modernen Contrastive-Learning-Methoden (2020er) – in diesem Schema nebeneinander Platz finden und oft nur durch die Art der Nachbarschaftsdefinition oder Approximation differieren【27†】. Die grauen Felder markieren teils theoretische Kombinationen, in denen noch kein etablierter Algorithmus existiert – genau diese Lücken dienen als Inspirationsquelle für neue Entwicklungen.
Ein periodisches System mit Lücken:
Eine der spannendsten Eigenschaften dieser Einordnung ist ihre Vorhersagekraft.
So wie Dmitri Mendelejews Periodensystem der Elemente einst Lücken für
unentdeckte chemische Elemente ließ, enthüllte auch die ML-Periodentafel unbesetzte
Felder – Kombinationen von Beziehungstyp und Algorithmusprinzip, für die es
bislang kein bekanntes Verfahren gab[2][19].
Die Forscher berichten, dass nach Eintragung aller vertrauten Methoden noch
etliche „Leerstellen“ übrig blieben[19].
Diese Lücken sind jedoch keine theoretischen Kuriositäten: Vielmehr
deuten sie auf Algorithmus-Konzepte hin, die plausibel existieren könnten,
aber noch nicht erfunden wurden[19].
I-Con liefert somit eine Art Landkarte oder Baukasten, in dem
ML-Wissenschaftler gezielt nach neuen Verfahren suchen können, anstatt sich nur
auf Intuition oder Zufall zu verlassen[20].
„Es ist nicht nur eine Metapher“, betont Erstautorin Shaden Alshammari. „Wir
beginnen, maschinelles Lernen als strukturiertes System zu begreifen – als
einen Raum, den wir gezielt erforschen können, statt uns blind durchzuraten.“[21]
Um das abstrakte Konzept greifbar zu machen, zogen die Entwickler von
I-Con einen anschaulichen Vergleich heran[22][23]: Stellen
wir uns ein großes Festbankett vor. Jeder Gast (Datenpunkt) hat Freunde
(ähnliche Datenpunkte) im Saal. Die Gäste sollen nun auf Tische verteilt
werden, wobei möglichst Freunde am selben Tisch sitzen[23].
Natürlich kann keine Sitzordnung alle Freundschaften perfekt
berücksichtigen, aber eine gute Anordnung setzt so viele Freunde wie möglich
zusammen. In dieser Analogie entsprechen die echten sozialen Netzwerke der
Gäste den wahren Datenbeziehungen, und die Tischgruppen repräsentieren
die Cluster oder Kategorien, die ein Algorithmus im Modell bildet[23].
Unterschiedliche ML-Algorithmen ähneln nun verschiedenen Strategien der
Sitzordnung – etwa streng nach Cliquen (Clustering), nach gemeinsamen
Interessen (Features), nach einem Hauptevent (Label) oder zufällig gemischt
etc.[24][25].
I-Con ist dann wie ein universelles Regelwerk im Hintergrund, das
aufzeigt, dass all diese Strategien letztlich dasselbe Ziel haben: Möglichst
viele echte Verbindungen (Freundschaften) in der vereinfachten Struktur
(Tischverteilung) abzubilden[26][27].
2. Konkrete
Anwendungsbeispiele und Nutzen in der Praxis
Die
Periodentafel des ML ist nicht nur eine theoretische Spielerei – sie hat
bereits in ersten Experimenten zu greifbaren Verbesserungen von KI-Modellen
geführt. Ein eindrucksvolles Beispiel lieferte das MIT-Team selbst, indem es
eine der identifizierten Lücken im Tableaus füllte[28][29]:
·
Neuer
Bildklassifizierungs-Algorithmus (ohne Labels): In
einem bisher leeren Feld der Tabelle kombinierten die Forscher Elemente aus der
kontrastiven Repräsentationslern-Methode mit solchen der Clusteranalyse.
Konkret übernahmen sie einen Debiasing-Trick aus dem Contrastive
Learning und integrierten ihn in einen Clustering-Algorithmus[29][30].
Das Ergebnis war ein neues Verfahren zur Bilderkennung, das ganz ohne
menschliche Labels auskommt. In Tests auf dem populären
ImageNet-1K-Datensatz (eine große Benchmark für Bildklassifikation) erzielte
dieser Ansatz eine 8 % höhere Genauigkeit als der bisherige Stand der
Technik für unlabelte Bildklassifikation[31][29].
Mit anderen Worten: Durch geschicktes Verschmelzen zweier zuvor getrennter
Methoden entdeckte man ein leistungsfähigeres Modell, das in der Lage ist,
ungekannte Bilder allein aufgrund inhärenter Strukturen zu gruppieren und
korrekt zu klassifizieren – ein bedeutender Fortschritt für unüberwachtes
Lernen in der Computer Vision.
Diese
Verbesserung um 8 % ist bemerkenswert, da Fortschritte auf bekannten
Benchmark-Datensätzen oft nur in kleinen Schritten gemessen werden. Sie
unterstreicht, welches Potenzial in der kreativen Kombination bisher
getrennter Ansätze steckt, wenn man dabei von einem vereinheitlichenden
Rahmen wie I-Con geleitet wird[28][29].
Der erwähnte Debiasing-Kunstgriff veranschaulicht das: In ihrem
Framework interpretiert I-Con eine bestehende Technik aus dem Contrastive
Learning – nämlich gezielt schwache Ähnlichkeiten zwischen allen
Datenpunkten einzuführen, um Überanpassungen an triviale Gemeinsamkeiten zu vermeiden
– als allgemeines Werkzeug, das sich auch auf ganz andere Lernprobleme
übertragen lässt[30].
Ursprünglich wurde dieses Verfahren entwickelt, um verzerrte Darstellungen in
selbstüberwachten Modellen zu verhindern; angewandt auf einen
Clustering-Algorithmus erhöhte es dort die Robustheit und Genauigkeit der
Gruppierungen deutlich[32][33].
Durch I-Con ließ sich also erkennen, dass ein „Bias-Korrektur“-Element aus
Methode A (Kontrastives Lernen) der Methode B (Clustering) genau das fehlende
Puzzlestück liefern konnte, um deren Leistung zu steigern.
Darüber hinaus zeigt das I-Con-Framework sein Potential als Ideen-Inkubator:
Die Forscher betonen, dass das Periodensystem flexibel erweiterbar ist – neue
Reihen und Spalten können hinzugefügt werden, um weitere Beziehungstypen
oder Approximationstechniken abzudecken, sofern die Zukunft der KI neue
Paradigmen hervorbringt[34][35].
Denkbar sind etwa zusätzliche Dimensionen für temporale Zusammenhänge
(Zeitreihen oder dynamische Systeme) oder für multimodale Beziehungen
(das gleichzeitige Lernen aus z. B. Bild und Text)[35].
Tatsächlich enthält die heutige Tabelle bereits erste multimodale Ansätze –
z. B. CLIP, ein Modell, das Bilder und Texte in einen gemeinsamen Raum
einbettet, erscheint als eigener Eintrag (Kategorie „Cross-Modal Pairs“)[15][36].
Solche Fälle verdeutlichen, dass I-Con keine starre Klassifikation ist,
sondern ein lebendes Gerüst, das mit dem Fortschritt der KI mitwachsen
kann[35][18].
Für die ML-Community könnte dies eine erhebliche Beschleunigung des
Innovationsprozesses bedeuten. Anstatt mühsam jeden neuen Lernansatz von
Grund auf neu zu entwickeln, kann man das Periodensystem zu Rate ziehen, um gezielt
existierende Elemente zu kombinieren oder systematisch nach Lücken zu
suchen, die vielversprechend erscheinen[37][38].
I-Con dient damit als Kompass in der unüberschaubaren Landschaft der
Verfahren. Mark Hamilton, Mitautor der Studie, beschreibt es als „Toolkit,
das es Forschern erlaubt, neue Algorithmen entwerfen, ohne alte Ideen jedes Mal
neu erfinden zu müssen“[39][40].
Dieses systematische „Remixen“ von Ideen hat nicht nur bei der
Bildklassifikation Früchte getragen, sondern ließe sich prinzipiell auf
beliebige ML-Bereiche anwenden – sei es bei Datenvorverarbeitung, Bias-Reduktion
(wie gezeigt) oder sogar im Entwurf von Architekturen für Neuronale Netze.
Ein weiterer Nutzen liegt in der Wissensvermittlung und Übersicht:
Für Nachwuchsforscher und Studierende kann die Periodentafel des ML als
visuelle Landkarte dienen, um die Vielzahl an Algorithmen und Loss-Funktionen
einzuordnen[41][42].
Anstatt Dutzende Lernmethoden als isolierte „Rezepte“ zu betrachten, können sie
erkennen, welche grundlegenden Prinzipien dahinterstehen und wie Methoden
miteinander verwandt sind. Dies fördert ein tieferes Verständnis und
verhindert, dass das Rad immer wieder neu erfunden wird – ein nicht zu
unterschätzender Vorteil in einem Feld, in dem jährlich zigtausende Paper
veröffentlicht werden und der Überblick schwerfällt[42].
Die positive Resonanz aus der Fachwelt bestätigt die Bedeutung dieses
Ansatzes. Yair Weiss, Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem, der
nicht an der Arbeit beteiligt war, kommentiert: „In einer Zeit, in der scheinbar
unendlich viele ML-Papers erscheinen, sind Arbeiten, die existierende
Algorithmen vereinheitlichen und verbinden, von enormer Wichtigkeit –
und doch äußerst selten. I-Con ist ein exzellentes Beispiel für einen solchen
vereinheitlichenden Ansatz.“[43]
Dieser Zuspruch unterstreicht, dass das I-Con-Periodensystem einen Nerv
getroffen hat: Es bringt Ordnung in das Chaos, zeigt verborgene Zusammenhänge
auf und ebnet den Weg für gezielte neue Entdeckungen, anstatt nur auf
Trial-and-Error zu setzen[40][43].
3. Vergleich mit
ähnlichen Ansätzen zur Systematisierung des maschinellen Lernens
Der
Gedanke, eine einheitliche Struktur oder Theorie für die Vielzahl von
KI- und ML-Methoden zu finden, ist nicht völlig neu – doch bisherige Ansätze
unterscheiden sich teils stark in Ziel und Ausführung. Im Folgenden werden
einige bedeutende vergleichbare oder konkurrierende Konzepte vorgestellt
und dem I-Con-Framework gegenübergestellt:
- Paradigmen-Ansatz („Master-Algorithmus“ nach Domingos): Eine eher philosophische Einordnung stammt von Pedro Domingos,
der 2015 in seinem Buch The Master Algorithm fünf große „Stämme“
des maschinellen Lernens beschrieb[44]. Diese Gruppen – Symbolisten (induktive Logik), Konnektionisten
(neuronale Netze), Evolutionäre (genetische Algorithmen), Bayes’sche
Lernende (probabilistische Modelle) und Analogisten (instanzbasiertes
Lernen) – repräsentieren unterschiedliche Schulen mit jeweils eigenen Meister-Algorithmen[44]. Domingos spekulierte, dass sich diese Ansätze zu einem
ultimativen „Master-Algorithmus“ vereinen ließen, der die Stärken
aller fünf Tribes kombiniert[44]. Im Gegensatz zur Periodentafel des ML war dies allerdings kein
konkretes technisches Framework, sondern eher eine Vision. Während
Domingos’ Idee die Vereinigung der ML-Paradigmen auf hoher Ebene
anstrebt, liefert I-Con eine feinkörnigere, mathematisch präzise
Vereinigung auf Ebene der Loss-Funktionen und Algorithmen. Beide teilen
das Ziel einer einheitlichen Sicht, doch I-Con geht den praktischeren Weg,
indem es tatsächlich Formalismen und Strukturen bereitstellt, in denen man
vorhandene Methoden einordnen und neue gezielt ableiten kann.
- Periodensystem der KI nach Hammond (2019): Bereits einige Jahre vor I-Con wurde ein sogenanntes „Periodensystem
der Künstlichen Intelligenz“ von Kristian Hammond vorgestellt[45], unterstützt vom deutschen Digitalverband Bitkom. Hammonds System
zielte allerdings vorrangig darauf ab, KI-Funktionalitäten modular zu
beschreiben, um Unternehmen und Entscheidern einen Überblick zu geben.
Er definierte 28 „KI-Elemente“, die als Bausteine für
Anwendungen dienen, und ordnete sie drei Oberkategorien zu – Assess
(Bewerten), Infer (Folgern) und Respond (Reagieren)[45][46]. Diese Gruppen entsprechen typischen Verarbeitungsschritten in
KI-Prozessen. Beispielsweise galt „Audio Recognition (Ar)“ als
Element in der Assess-Kategorie, das Geräusche erkennt und klassifiziert[47]. Hammonds Periodensystem hat also eher den Charakter eines Baukastens
für Anwendungsfunktionen. Zwar steckt auch hier die Idee dahinter, KI
in atomare Komponenten zu zerlegen, die man beliebig kombinieren
kann, um komplexe Lösungen zu bauen[46]. Allerdings unterscheidet es sich deutlich vom I-Con-Framework:
Hammond orientiert sich an funktionalen Anwendungsbausteinen (wie
Spracherkennung, Bildanalyse, Entscheidungsfindung), während I-Con auf algorithmischer
Ebene ansetzt und die theoretischen Lernprinzipien
strukturiert. Man könnte sagen, Hammonds Tabelle ist für das Verständnis
der Fähigkeiten von KI-Systemen nützlich (und um Angebote
verschiedener KI-Produkte zu vergleichen)[48][49], während I-Con für das Verständnis der Lernmethoden und ihrer
Mathematik bahnbrechend ist. Beide verwenden die
Periodentafel-Metapher, aber mit unterschiedlichem Fokus: Praxisnahe
KI-Komponenten vs. wissenschaftliche Algorithmen-Theorie.
- Information-Bottleneck-Framework (2025):
Ganz aktuell – quasi zeitgleich mit I-Con – wurde von einer Gruppe
Physiker an der Emory University ein weiterer vereinheitlichender
Rahmen vorgeschlagen, der ebenfalls explizit als eine Art „Periodensystem
der KI-Methoden“ beschrieben wird[50]. Dabei handelt es sich um das Variational Multivariate
Information Bottleneck (VMIB), veröffentlicht 2025 in der Journal
of Machine Learning Research. Dieser Ansatz basiert auf der
Informationstheorie und formuliert ein allgemeines Prinzip: KI-Modelle
sollten unterschiedliche Eingabedaten so weit komprimieren, dass nur die
für die Vorhersage wesentlichen Informationen erhalten bleiben[50][51]. Die Entwickler fanden heraus, dass viele erfolgreiche
KI-Verfahren auf genau dieses simple Grundprinzip zurückgeführt werden
können – ein Abwägen zwischen Datenkompression und Rekonstruktionstreue[52][53]. Im Training entspricht das der Feinjustierung einer
Loss-Funktion, die bestimmte Information ignoriert und andere bewahrt.
Nemenman et al. beschreiben ihr Framework als einen stufenlos
verstellbaren „Regler“, der je nach Problem mehr oder weniger
Details durchlässt[54]. Interessanterweise erklären sie: „Das ergibt gewissermaßen
ein Periodensystem der KI-Methoden. Verschiedene Verfahren landen in
verschiedenen Zellen, je nachdem welche Information ihre Loss-Funktion
behält oder verwirft.“[50]. So ließen sich z. B. extrem datenkomprimierende Verfahren
(wie stark reguläre Klassifikatoren, die nur Label-relevante Features
speichern) von eher rekonstruktionsorientierten Verfahren (wie
Autoencoder, die möglichst viel vom Input bewahren) durch diesen
“Info-Regler” unterscheiden und einordnen. Das VMIB-Framework hat in
ersten Demonstrationen gezeigt, dass es Loss-Funktionen systematisch
herleiten kann und damit oft effizientere Lernprozesse mit weniger
Trainingsdaten erlaubt[55][56]. Obwohl sich die technischen Details unterscheiden, teilen VMIB
und I-Con eine wichtige Philosophie: Suche nach einer einheitlichen
Informationsgeometrie, die diverse Algorithmen verbindet[57][58]. VMIB tut dies, indem es die Menge an beibehaltenen vs.
verworfenen Informationen als Ordnungskriterium nutzt; I-Con tut es, indem
es die Art von Beziehungen und deren Nachbildung als Ordnungskriterium
nutzt. Man kann diese Ansätze als komplementär ansehen – beide
bringen ein physikalisch-mathematisches Ordnungsprinzip ins KI-Wirrwarr,
jedoch mit unterschiedlicher Perspektive (Dateninformation vs.
Datenbeziehungen). Gemeinsam ist beiden, dass sie den Entwurf neuer
Algorithmen erleichtern sollen: VMIB gibt Entwicklern ein Prinzip an
die Hand, mit dem sie für eine gegebene Aufgabenstellung die passende
Loss-Funktion zusammenstellen können[59][60], während I-Con konkrete kombinatorische Rezepte liefert,
wie bewährte Methoden zu neuen kombiniert werden können[37].
- Einheitsmodelle („Foundation Models“):
Neben den theoretischen Vereinheitlichungsbestrebungen gibt es in der
KI-Forschung auch den Trend, praktisch immer allgemeinere Modelle
zu schaffen, welche viele Aufgaben zugleich bewältigen können. Beispiele
sind große vortrainierte Modelle wie GPT-4 oder Multimodal-Modelle
à la CLIP oder Gato, die Sprach-, Bild- und andere Aufgaben
in einem System vereinen. Diese sogenannten Foundation Models
werden durch riesige Datensätze und Rechenleistung trainiert, um
anschließend in vielseitiger Weise einsetzbar zu sein. Ihr Ziel ist
gewissermaßen ein universeller KI-Baukasten, der durch Anpassung
(Fine-Tuning) für spezielle Aufgaben genutzt werden kann. Im Kontext der
Diskussion um Vereinheitlichung lässt sich das so einordnen: Foundation
Models integrieren verschiedene Anwendungsdomänen und Datentypen
in einem Modell, während Frameworks wie I-Con oder VMIB verschiedene Algorithmusprinzipien
in einer Theorie integrieren. Mit anderen Worten, Foundation Models
liefern eine empirische Einheitslösung (eine einzige Netzwerk-Architektur
lernt alles Mögliche), ohne jedoch die Vielfalt der Algorithmen formal zu
erklären. I-Con hingegen bietet eine theoretische
Einheitsbeschreibung, die beleuchtet, warum unterschiedliche
Lernansätze funktionieren und wie sie zueinander in Beziehung stehen[40]. Diese beiden Ansätze sind nicht widersprüchlich, sondern
ergänzen sich: So ist CLIP als multimodales Contrastive-Learning-Modell
selbst ein Baustein in I-Cons Periodentafel, und auch große Sprachmodelle
lassen sich als ein Spezialfall in diesem Rahmen sehen[1]. I-Con könnte künftig sogar dabei helfen, gezielt neue
Foundation Models zu entwerfen, indem man systematisch überlegt,
welche Art von Datenbeziehungen ein allgemeines Modell noch integrieren
könnte.
Zusammengefasst
lässt sich sagen, dass I-Con derzeit einen der umfassendsten und formal
präzisesten Versuche darstellt, maschinelles Lernen zu ordnen und zu
vereinheitlichen. Frühere Konzepte wie Domingos’ Master-Algorithmus oder
Hammonds KI-Periodensystem legten Grundsteine für ein holistisches Denken über
KI, waren aber entweder konzeptionell abstrakt oder auf bestimmte
Anwendungsszenarien begrenzt. Neuere forschungsnahe Ansätze wie das
Information-Bottleneck-Framework teilen I-Cons wissenschaftlichen Geist und
verstärken den Trend hin zu vereinheitlichenden Theorien in der KI.
Diese konkurrierenden Ideen zeigen, dass die Community erkannt hat: In der
Menge der Teildisziplinen und Modelle liegen tiefergehende gemeinsame
Prinzipien verborgen – diese aufzudecken, kann der Schlüssel zu
effizienteren, verständlicheren und gezielter einsetzbaren KI-Systemen sein.
Fazit und Ausblick
Die Periodentafel des
maschinellen Lernens markiert einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg, KI
als systematische Wissenschaft zu begreifen. Indem das I-Con-Framework über
20 verschiedene Algorithmen – von über hundert Jahren Forschung – auf eine
einheitliche Gleichung und Struktur zurückführt, legt es die verborgene
Ordnung im scheinbaren Wildwuchs der ML-Methoden frei[61]. Was früher als
disparate Sammlung von Techniken erschien, erweist sich nun als eng verknüpft
durch einen gemeinsamen Informationsgehalt. Ähnlich wie das chemische Periodensystem
Wissen strukturiert und Vorhersagen über neue Elemente ermöglichte, organisiert
I-Con bestehendes ML-Wissen, prognostiziert neue Verfahren und dient als
Kompass für Innovationen[61].
Für Praktiker bedeutet dies eine neue Ära des informationsgeleiteten
Experimentierens: Anstatt im Dunkeln zu stochern, kann man fundiert fragen: „Welche
Kombination von Beziehungen und Darstellungsweisen wurde noch nicht
ausprobiert?“ – und genau dort ansetzen, wie das 8 %-Beispiel eindrucksvoll
zeigte[29][30]. Zugleich macht die
verständliche Struktur es einfacher, Wissen zu vermitteln und
Zusammenarbeit zu fördern, da Forscher unterschiedlichster Spezialisierungen
eine gemeinsame Sprache finden, um ihre Methoden einzuordnen[42]. Die Öffnung dieses
„Baukastens“ könnte auch eine Demokratisierung der KI-Entwicklung
fördern[62][63]: Wenn die Prinzipien
bekannt und modular verfügbar sind, können auch kleinere Teams ohne gigantische
Ressourcen neue Ideen generieren – analog zu einem Chemiker, der mit dem
Periodensystem im Hinterkopf gezielt neue Verbindungen kreiert.
Allerdings gehen mit rascher Innovation auch Verantwortungsfragen
einher[62]. Wenn neue Algorithmen
schneller ersonnen werden können, muss ebenso sichergestellt werden, dass sie verlässlich
und ethisch unbedenklich sind. Die Entwickler von I-Con betonen, dass
Transparenz und Verständnis – die ihr Framework ja verbessert – letztlich auch
dazu beitragen, KI vertrauenswürdiger zu machen[64][60]. Ein systematisches
Fundament erleichtert es, Annahmen hinter Algorithmen offen zu legen (z. B.
welche „Verbindungen“ ein Modell lernt und welche nicht) und so bias-behaftete
oder ungeeignete Methoden frühzeitig zu identifizieren[65][66].
Insgesamt lässt die Periodentafel des ML hoffen, dass das Feld
der künstlichen Intelligenz übersichtlicher und gezielter steuerbar
wird. Während sie natürlich noch nicht alle Rätsel des Lernens löst – sie ist
kein „Master-Algorithmus“ im Alleingang –, so zeigt sie doch, dass selbst in
einem so komplexen Gebiet wie ML einfache, elegante Strukturen entdeckt
werden können[67]. Diese Strukturen helfen
uns, besser zu verstehen, wie Lernen eigentlich funktioniert: Im Kern
scheint Lernen „die Kunst zu sein, Beziehungen abzubilden“[68]. Mit I-Con und ähnlichen
Rahmenwerken sind wir einen Schritt weiter, dieses Herzstück der KI zu
erkennen. Die Forschungsgemeinschaft steht nun am Anfang, diesen Raum
systematisch zu erkunden – und die freien Felder der Periodentafel mit
den Entdeckungen von morgen zu füllen[67][68].
Quellen: Fachartikel und Pressemitteilungen
von MIT und Microsoft Research[69][1]; Tech-News und Blogs
(TechExplorist, TechRepublic)[70][71]; wissenschaftliche
Publikationen (ICLR 2025 I-Con Paper, JMLR 2025)[72][50]; Expertenkommentare[43]. (Alle Quellen zuletzt
abgerufen im Dezember 2025.)
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https://www.microsoft.com/en-us/research/articles/a-periodic-table-for-machine-learning/
[2] [28] [31] [32] [34] [39] [40] [43] [69] “Periodic table of machine learning” could fuel AI discovery | MIT
News | Massachusetts Institute of Technology
https://news.mit.edu/2025/machine-learning-periodic-table-could-fuel-ai-discovery-0423
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MIT Researchers | by Qasim Al-Ma'arif | Medium
[17] [33] [70] A periodic table of machine learning
https://www.techexplorist.com/periodic-table-machine-learning/99078/
[38] [71] 20+ Machine Learning Methods in Groundbreaking Periodic Table From
MIT, Google, Microsoft
https://www.techrepublic.com/article/news-machine-learning-periodic-table/
[44] The Master Algorithm - Wikipedia
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Master_Algorithm
[45] [46] [47] [48] [49] »Periodensystem der Künstlichen Intelligenz« - Automation -
Elektroniknet
https://www.elektroniknet.de/automation/periodensystem-der-kuenstlichen-intelligenz.162972.html
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https://techxplore.com/news/2025-12-periodic-table-ai-methods-aims.html
[72] I-Con: A Unifying Framework for Representation Learning | OpenReview



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