Samstag, 20. April 2024

Frankreich, Laizismus-Gesetz von 1905

1) Einleitung

Am 9. Dezember des Jahres 1905 wurde in Frankreich das Gesetz zur Trennung von Kirchen und Staat verabschiedet. Die Dritte Republik wurde somit ein laizistischer Staat. Bis heute regelt dieses Gesetz, wenn auch in überarbeiteter Form, das Verhältnis zwischen dem französischen Staat und den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften. Nach der Revolution von 1789 war es ebenfalls Frankreich, von dem ein gesellschaftlicher Wandel ausging. Im Zuge der Revolution wurden die Ländereien der Kirche enteignet und die Kirchensteuer abgeschafft. Ihren politischen Einfluss konnte die Kirche jedoch wahren. Nach dem Ende des Monarchismus sollten nun auch die fortschrittsfeindliche (katholische) Kirche und ihre Institutionen die Macht abgeben. Kirchen- und Staatsinteressen sollten getrennt werden. Diese zweite Säkularisierung führte zu erheblichen Spannungen zwischen Konservativen und Laizisten. Die Diskussion um das Kirchentrennungsgesetz ist weiterhin aktuell, besonders im Bezug auf den Islam. Im Jahr 2005 wurde das Tragen von Kopftüchern oder anderen religiösen Symbolen an französischen Schulen verboten. 2010 wurde das Tragen von Burkas in der Öffentlichkeit verboten. Die Gewichtung des Laizismus in Frankreich zeigt die Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel „Der Staat und die Religionen“, das unter anderem vom jetzigen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy mitverfasst wurde.

Ich werde versuchen, das Laizismus Gesetz von 1905 in den Kontext der französischen Geschichte zu stellen sowie Teile des Gesetzesinhaltes und seine Auswirkungen bis in die heutige Zeit aufzuzeigen.  

2) Die Entstehung des Laizismus in Frankreich

„Die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft zu Religion und Kirche, die in der Dritten Republik zu einem bedeutenden innenpolitischen Problem wurde, hat – im Hinblick auf die schließlich erfolgte Trennung von Staat und Kirche – eine lange Vorgeschichte.“[1]

Zur Zeit des französischen Königtums der Bourbonen war die katholische Kirche nicht nur Staatsreligion sondern auch die einzig anerkannte Religionsgemeinschaft. Nach dem Ende der Religionskriege und der Vertreibung der Hugenotten gab es offiziell ab 1685 nur noch katholische Bürger.

Die französische Kirche wurde durch das Konkordat von 1516 weitestgehend unter dem Einfluss des jeweiligen Königs gestellt. „In ihm hatte Papst Leo X. (1513-1521) dem damaligen König Franz I. (1515-1547) das Privileg der Ernennung fast aller Bischöfe gewährt.“[2] Um zum Bischof geweiht zu werden, musste man adliger Herkunft sein. Der hohe Klerus gehörte nicht nur zum ersten Stand im Königreich, sondern war durch die Befreiung von Steuern und die Einahmen aus der Zehnte unermesslich reich.

„Die Revolution von 1789 fand somit ein konsequent durchgeführtes System der Verbindung von Staat und Kirche in der Form des Staatskirchentums vor.“[3] Zunächst wollten die Revolutionäre die Kirche und ihre Organisationen weitestgehend entmachten und sie dem neuen Staatssystem unterordnen, jedoch war eine Trennung vom Staat nicht vorgesehen.[4] Die Geistlichen sollten von nun an vom Volk gewählt werden und einen  Eid auf die neue Verfassung leisten. An die Stelle der gallikanischen Königskirche war nun die konstitutionelle Nationalkirche getreten, deren Kirchengut aufgrund der ruinösen Finanzlage des Staates enteignet wurde.[5] Die Mehrheit des französischen Klerus dachte jedoch weiterhin gallikanisch und königstreu, womit sie der neuen Verfassung  nicht nur skeptisch sondern auch ablehnend gegenüber standen.

„Nachdem die Revolution in ihr drittes Stadium eingetreten war, und der Nationalkonvent

(21. 9. 1792) und dessen neungliedriges Exekutivorgan der Wohlfahrtsausschuß (6. 4. 1792), die Herrschaft angetreten hatte, setzten sich die radikalen und kirchenfeindlichen, auf eine Verweltlichung des Staates ausgerichteten Kräfte immer stärker durch.“[6]  Diese Säkularisierung führte zu vier Dekreten, welche die Grundlage zur Trennung von Staat und Kirche bildeten. Kurz gefasst, es sollten alle finanziellen Anliegen der Kirche an den  französischen Staat unterbunden werden. Es wurden zwar die bereits erworbenen Pensionsrechte der Kultusdiener berücksichtigt, jedoch kam der französische Staat von nun an nicht mehr für die Kosten von Kult und deren Dienern auf. 

„Die erste, mit dem Gesetz vom 21. 2. 1795 eingeführte Trennung von Staat und Kirche in Frankreich dauerte je Jure sieben Jahre – vom 21. 2. 1795 bis zum 18. 4. 1802 -, dem Tage, da die Kirchenordnung Napoleons I. in Kraft trat.“[7] Wahrscheinlich wollte Napoleon mit diesem Gesetz seine Alleinherrschaft weiter manifestieren, indem er die enge Verbindung von Staat und Kirche wiederherstellte. Die adeligen Kleriker fanden nun eine ähnliche Rechtslage wie vor der Revolution vor, und standen somit in Napoleons Schuld.

„Die verschiedenen staatsrechtlichen Veränderungen, die das Land nach dem Sturz

Napoleons I. im 19. Jahrhundert durchgemacht hat, haben das von Bonaparte geschaffene kirchenrechtliche System im Prinzip nur unwesentlich berührt.“[8]

3) Rechtliche und politische Auswirkungen

Mit dem Kirchentrennungsgesetz vom 9.12.1905 wurde das Verhältnis von Staat und Kirche nicht nur auf eine neue Grundlage gestellt, sondern es führte zu einer völligen Trennung beider Institutionen. Dabei wurden auch Formulierungen aus der Trennungsgesetzgebung von 1794/95 verwendet.[9]

Die herausgehobene Stellung der katholischen Kirche wurde beendet: Die französische Republik erkannte und erkennt auf dieser Gesetzesgrundlage bis heute keine Religion mehr offiziell an, garantiert jedoch gleichzeitig die Freiheit des Gewissens und der Kultusausübung.[10] „Die Republik betrachtet die Kultusfreiheit als eine Folgerung aus dem Grundsatz der Gewissensfreiheit und der Gleichheit aller Staatsbürger.“[11]

Wie schon 1794/95 führte das Gesetz zum jeglichen Abbau von Fördermitteln seitens des Staates an die Kirche. Für Pensionäre trat ebenfalls eine Übergangsregelung in Kraft.

Laizität im französischen Sinne bedeutete die absolute Trennung von Staat und Kirche, jedoch auf Basis von liberal-demokratischen Spielregeln, die der Gesetzgeber vorgab.[12] Die Kirchen konnten somit nicht beliebig walten, sondern standen unter der Gerichtsbarkeit des Staates. „Der weitaus wichtigste Eingriff des Staates lag jedoch in der Vorschrift von Artikel 4, dass die Kirchen – und dies gehörte zu den umstrittensten Punkten des Gesetzes – Kultusvereine („associations cultuelles“) auf Gemeindebasis einrichten sollten, die die Besoldung der Geistlichen, die Ausübung der Gottesdienste und die Inbesitznahme der Immobilien (Kirchen, Pfarrhäuser, Priesterseminare, Presbyterien etc.) übernehmen konnten.“[13] Ein entsprechender Verein musste mindestens 7 Mitglieder umfassen, jedoch war es erlaubt, dass sich mehrere Vereine zu einer Union zusammenschlossen. Diese Gemeinschaften durften Spenden sammeln oder Beiträge erheben, auch der Finanzausgleich innerhalb einer Union war zulässig, jedoch war der Erhalt öffentlicher Subventionen ausgeschlossen. Die Kultusvereine waren ferner nicht nur für die (staatlich überwachte) Vermögensverwaltung, sondern auch für die Organisation der Gottesdienste und die Personalpolitik zuständig.[14] Die hierarchisch aufgebaute katholische Kirche konnte zwar ihre Organisationsstruktur beibehalten, da laut Gesetz sich die Religionsgemeinschaften selbst konstituieren konnten, jedoch wurden ihre Träger, also  Bischöfe und Erzbischöfe weder als juristische Personen noch als Verantwortliche für die Ausübung des Gottesdienstes erwähnt, worin der Hauptgrund für ihre Ablehnung des Kirchentrennungsgesetzes lag.[15]

Infolge des Gesetzes wurden etwa 2500 kirchlich geführte Schulen geschlossen und Ordensmitglieder durften nicht mehr als Lehrer arbeiten, Kruzifixe sowie religiöse Symbole wurden aus öffentlichen Gebäuden wie Schulen oder Gerichten entfernt.[16]

Die einzelnen Gesetzesteile und die entsprechenden Vollzugsvorschriften sowie deren Folgen und Auswirkungen auszuführen, würde den Rahmen dieses Referates bei weitem überziehen.

Es besteht die Hypothese, dass die sogenannte Dreyfus-Affäre ein wichtiger Katalysator für das Laizismus-Gesetz von 1905 war. Hierbei wurde einem jüdischstämmigen Hauptmann der Artillerie Spionage und damit Landesverrat vorgeworfen. Er wurde verurteilt und später wieder rehabilitiert. „Die Dreyfus-Affäre wird oft als Höhepunkt des Antisemitismus in Frankreich gesehen.“[17] „Vor allem die katholische Kirche hatte sich durch ihren Antijudaismus und ihre insgesamt reaktionär wirkende Haltung in den Augen vieler Franzosen so sehr kompromittiert, dass sich nicht nur im Parlament eine Mehrheit dafür fand, das Land radikal zu säkularisieren.“[18] Jedoch muss gesagt werden, dass die Dreyfus-Affäre zwar eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung dafür war, dass die von einer antiklerikalen Minderheit schon länger forcierte Vorstellung einer vollständigen Auflösung der Verbindung zwischen Staat und Kirche politisch gewollt und parlamentarisch mehrheitsfähig wurde.[19]

4) Entwicklung bis in die heutige Zeit

„Die öffentliche Debatte um das Kirchentrennungsgesetz blieb vor dem Ersten Weltkrieg weitgehend von gegenseitigen Schuldzuweisungen und Polemik geprägt; nur wenige unternahmen den Versuch einer objektiv-kritischen Analyse.“[20] Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Debatte sachlicher, da es andere Themen und Konflikte gab, die die französische Gesellschaft polarisierten.[21] 

Im Jahr 2005 fand eine Debatte um das Tragen von religiösen Symbolen, insbesondere von Kopftüchern, in französischen Schulen statt. Vor dem Hintergrund des Laizismus, der sich auch auf das Schulwesen bezieht, wurde ein Gesetz erlassen, dass Schülern das Tragen religiös geprägter Kleidung oder religiöser Symbole verbietet

Präsident Nicolas Sarkozy hat in verschiedenen Reden und in seinem 2008 erschienenden Buch „Der Staat und die Religionen“ eine Neubestimmung der französischen Laizität vorgeschlagen, die er offene oder positive Laizität nennt.[22] Damit sollen die Religionen mehr in die öffentliche Verantwortung genommen werden, auch um Fundamentalismus zu verhindern, jedoch sind laizistischen Verbände gegen eine Neupositionierung.[23]

Im Jahr 2010 wurde in Frankreich eine Debatte über ein Burka-Verbot in der Öffentlichkeit geführt. Präsident Nicolas Sarkozy vertrat dabei die Ansicht, die sogenannte Burka sei "ein Angriff auf die Würde der Frau".[24] Das im Herbst 2010 beschlossene Burka-Verbot ist seit dem 11.04.2011 in Kraft.

5) Literaturverzeichnis

- Weber, Klaus: Der moderne Staat und die katholische Kirche. Laizistische Tendenzen im staatlichen Leben der Dritten Französischen Republik, des Dritten Deutschen Reiches und der Volksrepublik Polen, Wingen, Essen 1967.

- Hoffman, Michael: Laizistisches Heiligtum oder historisches Relikt?. Einhundert Jahre Gesetz zur Trennung von Staat und Kirchen in Frankreich (1905-2005), in: Historisches Jahrbuch, Im Auftrag der Görres-Gesellschaft, hg. v. Franz J. Felten u.a., Freiburg, München 2007, S. 253-293. 

- http://de.wikipedia.org/wiki/Dreyfus-Affäre (eingesehen am 22.05.2011).

- http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Trennung_von_Religion_und_Staat_(Frankreich) (eingesehen am 22.05.2011)

- http://de.wikipedia.org/wiki/Laizismus (eingesehen am 22.05.2011).

- http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,690422,00.html (eingesehen am 22.05.2011).

[1] Weber, Klaus: Der moderne Staat und die katholische Kirche. Laizistische Tendenzen im staatlichen Leben der Dritten Französischen Republik, des Dritten Deutschen Reiches und der Volksrepublik Polen, Wingen, Essen 1967 S. 3.

[2] ebd., S. 4.

[3] ebd., S. 5.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl.ebd., S. 6.

[6] ebd.

[7] ebd., S. 7.

[8] ebd., S. 8.

[9] Vgl. ebd., S. 7/8.

[10] Vgl. Hoffman, Michael: Laizistisches Heiligtum oder historisches Relikt?. Einhundert Jahre Gesetz zur Trennung von Staat und Kirchen in Frankreich (1905-2005), in: Historisches Jahrbuch, Im Auftrag der Görres-Gesellschaft, hg. v. Franz J. Felten u.a., Freiburg, München 2007, S. 253-293.  S. 254.

[11] Weber, Klaus: a.a.O., S. 75.

[12] Vgl. Hoffman, Michael: a.a.O., S. 255.

[13] ebd.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. ebd.

[18] ebd.

[19] Vgl. Hoffman, Michael: a.a.O., S. 256.

[20] ebd., S. 266/67.

[21] Vgl. ebd. S. 268.

[22] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Laizismus (eingesehen am 22.05.2011)

[23] Vgl. ebd.

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